Wer über gewaltfreie Erziehung nachdenkt, meint schnell zu wissen, was das bedeutet. Doch wer zweimal hinguckt, fragt sich schnell: Wo fängt Gewalt an und wo hört sie auf?
Denn Gewalt ist nicht gleich Gewalt. Es gibt offensichtliche Gewalt wie physische Gewalt wie z.B. ein Klaps auf den Po oder ein Schlag. Es gibt aber auch psychische Gewalt. Diese ist weniger offensichtlich, zeigt sich aber z.B., wenn man schlecht über das eigene Kind redet oder sich über es lustig macht.
Um die Frage nach der gewaltfreien Erziehung zu beantworten, ist es sinnvoll, erst einmal einen Blick auf die Bedeutung des Wortes „Erziehung“ zu werfen.
Was versteht man unter Erziehung?
Erziehung ist eine Form der Sozialisierung in von Kindern in unserem System. Dabei werden Werte und Glaubenssätze vermittelt, die die Basis für das spätere Leben darstellen. Außerdem bedeutet Erziehung, gewisse Verhaltensweisen und Dinge zu vermitteln, die etwa im Umgang mit anderen Menschen von Bedeutung sind.
Kann man „nicht“ erziehen“?
Erziehung findet in der Kindheit statt. Im Umgang mit den ersten Sozialisationsphasen und Menschen erziehen die Großeltern, die Eltern oder andere im näheren Umfeld die Kinder. Auch Tagesmütter und Kita-Mitarbeiterin haben einen Einfluss auf die Erziehung.
Doch werden wirklich alle Kinder erzogen? Nicht zwangsläufig!
Immerhin leben wir in einer Leistungsgesellschaft. Eltern gehen kurz nach der Geburt der Kinder wieder arbeiten. Sie bringen ihre Kinder in eine Tagesstätte und hoffen dort auf die gute Erziehung der Tagesmütter. Leider sind diese oft überfordert und können aufgrund großer Gruppen nicht auf alle Kinder eingehen, so dass Erziehung durchaus untergehen kann, wenn sie weder zuhause noch in der Betreuung stattfindet. Die Folge sind verzweifelte Eltern, die ihre Kinder im Stress und wegen des zunehmenden Frusts auch mal anschreien.
Gehören Anschreien und der Klapser auf den Po bereits zu Gewalt?
Experten und Pädagogen sind sich an dieser Stelle einig. Anschreien oder ein Klaps auf den Po sind Ausdruck von Gewalt. Für viele Eltern ist der Klaps auf den Po leider noch Bestandteil der Erziehung. Auch ein lauter Ton und ein Schimpfen sind an der Tagesordnung. Es sollte das Ziel aller sein, Kinder gewaltfrei zu erziehen und das bedeutet auch auf diese und andere Ausrutscher vollständig zu verzichten!
Wie sieht also gewaltfreie Erziehung aus?
In Deutschland ist die gewaltfreie Erziehung im Grundgesetz verankert. Um genau zu sein, finden wir im §1631 BGB den die rechtliche Bestimmung, dass Kinder Anrecht auf eine gewaltfreie Erziehung haben. Der Gesetzgeber definiert die gewaltfreie Erziehung dabei als:
- Keine körperlichen Bestrafungen
- Keine seelischen Verletzungen
- Keine entwürdigenden Maßnahmen
Leider ist dies für viele Eltern auch im 21. Jahrhundert noch Auslegungssache. Besonders bildungsschwache und wenig integrierte Familien halten sich weniger an die Gebote der gewaltfreien Erziehung und nutzen weiterhin den Ausrutscher der Hand als Erziehungsmaßnahme.
Dabei bestätigen Mitarbeiter der Jugendämter, dass zum Schutze der Kinder jede kleinste Aggression gegenüber einem Kind zu unterlassen ist!
Siehe auch: Was sind Kinderrechte?
Körperliche Gewalt versus verbale / psychische Gewalt
Der Begriff Gewalt wird von vielen mit körperlicher Gewalt verstanden. Doch zur Gewalt zählt auch die verbale Gewalt. Während die körperliche Gewalt vor allem die Ohrfeige, den Tritt, das Schubsen oder Rütteln eines Kindes beschreiben, geht es bei der verbalen Gewalt um das Gesagte und wie etwas gesagt wird. Auch das Anschreien und Beschimpfen eines Kindes sind Maßnahmen der Gewalt und sind nach dem BGB verboten!
Nutzen Eltern in der Ansprache Schimpfwörter, die die Kinder erniedrigen oder seelische Folgen haben können, kann bereits das Jugendamt eingeschaltet werden, da das Kind in diesem und einem wiederkehrenden Fall unbedingt vor der verbalen Gewalt der Eltern zu schützen ist!
Gleiches gilt für Tonlage, Lautstärke und Wortwahl.
Ein Beispiel, dass die verbale oder psychische Gewalt verständlich macht. Man würde nie zu einem Erwachsenen sagen, „na haste dir wieder eingekackt“. Diese Aussage verletzt die Würde und setzt die Person herab. Aber zu einem Baby würde der Satz schon eher gesagt werden.
Was ist psychische Gewalt? Beispiele, Liste
Folgende Taten zählen zur psychischen Gewalt:
(Diese Liste ist inspiriert durch das Buch „Frei und verbogen“ von Susanne Mierau.)
- Abhängig machen
- Abhärtung
- Ablehnung
- Absprechen der eigenen Rechte
- Absprechen der eigenen Wahrnehmung
- Abwertung
- Ängstigung / Angst machen
- Beschämung, Entwürdigung, Erniedrigung
- Beschimpfungen
- Bevorzugung und Vernachlässigung
- Diskriminierung und diskriminierendes Denken (Ageismus, Ableismus, Adultismus, Rassismus,…)
- Drohung / bedrohen
- Einschüchterung
- Isolation
- Liebesentzug
- Machtdemonstrationen (Siehe: Adultismus)
- Schutzverweigerung
- Überwachung
- Unter Druck setzen
- Vergleiche mit anderen
- Vermittlung von Schuldgefühlen
- vorenthaltene Zuwendung / emotionale Abwendung
- wiederholte Überforderung oder Unterforderung
Kinder haben Schutz- und Geborgensheitsbedürfnisse. Durch psychische Gewalt werden diese Bedürfnisse missachtet. Das Kind erlebt psychische Gewalt als Bedrohung, was zu Stressreaktionen und Vertrauensverlust führt. Schlimmer noch: psychische Gewalt kann die Entwicklung des Kindes beeinträchtigen.
Das schwerwiegende ist, dass das Kind eigentlich Schutz bei den Eltern sucht, wenn es sich bedroht fühlt, aber wenn diese Bedrohung von den Eltern ausgeht, ist es ihnen ausgeliefert.
Was ist gewaltfreie Erziehung dann?
Gewaltfreie Erziehung stellt eine Erziehung auf Augenhöhe dar. Der Fokus liegt dabei auf dem Umgang und der Kommunikation. Um gewaltfrei erziehen zu können, sollten Eltern sich auf die Kinder einlassen und das Gespräch mit diesen suchen.
Kinder wissen nicht, was richtig und was falsch ist. Oft wollen sie sich ausprobieren oder adaptieren das Verhalten von anderen Kindern. Anstatt mit den Kindern zu schimpfen, ist es wichtig und richtig, sie aufzuklären. Zur Aufklärung gehören ein gegenseitiges Verständnis und die Vermittlung von Werten. Doch die Aufnahme dieser Werte ist für Kinder ein Lernprozess, der sich langsam etabliert. Oft müssen Lerneinheiten auch wiederholt werden.
Hat ein Kind sich anders als von den Eltern erwartet oder erhofft verhalten, sollten die Eltern das Gespräch suchen. Dieses sollte zeitnah, bestenfalls unmittelbar nach dem Vorfall oder der Situation stattfinden. Die Eltern sollten dabei nicht wertend sein. Auch Sätze, wie „Das geht so nicht.“ sind nicht Ziel einer gewaltfreien Erziehung. Viel wichtiger ist es, den Sachverhalt zu erklären und das Kind zu fragen, warum es in dem Moment so gehandelt hat. Was hat es dabei gedacht? Warum hat das Kind etwas gesagt? Und wieso war es vielleicht aggressiv?
Nachdem das Kind ausgesprochen hat, können die Eltern dem Kind die Möglichkeit geben zu reflektieren. Oft reicht schon die Frage danach, ob das Kind so behandelt werden möchte. Oder wie das Kind sich in diese Situation durch ein anderes Kind gefühlt hätte? Das schafft den Aufbau von Empathie.
Nachdem das Kind sensibilisiert ist, können Eltern und Kinder gemeinsam nach einem Idealverhalten oder einem Wunschverhalten suchen und dieses für die Zukunft definieren.
Strafen sind unnütz und dienen eher dem Trotz als der Erziehung
Strafen sind wenig hilfreich. Sie machen Angst und helfen nicht, das Kind zu einer inneren Überzeugung und Verständnis zu bringen.
Sinnvoller ist eine Vereinbarung zu schließen, was geschieht, wenn man sich nicht an das Abkommen handelt. So kann nach dem Gespräch und dem gegenseitigen Verständnis vereinbart werden, warum das Verhalten nicht gut ist und wie man es vermeiden kann. Dies beinhaltet auch das gemeinsame Festlegen einer Verstoß-Maßnahme. Der Vorschlag sollte vom Kind ausgehen. Dies kann beispielsweise sein, den Tisch abzuräumen, wenn das Kind erneut so reagiert oder handelt.
Damit dieses Verhalten nicht wieder vorkommt, sollte alles schriftlich festgehalten werden und in ein Tagebuch, wie wir miteinander umgehen möchten notiert werden. So können Eltern in Zukunft die Seite aufschlagen und mit dem Kind drüber reden. Das hilft mehr als die Ohrfeige und der Klaps auf den Hintern, die in keinem Fall angewendet werden sollten.
Das bezieht sich auch schon auf Kleinkinder und Babys. Eltern sollten sie nicht anschreien oder schütteln. Schon das Schütteln ist eine gefährliche Form der Gewalt. Viel besser ist es, dem Baby ruhig zu erklären, was man denkt und warum man was tut. Es versteht vielleicht noch nicht alles, aber es fühlt die Empathie durch die ruhige und besonnene Stimme. Das gibt Kindern Sicherheit und motiviert, die Eltern als Vorbilder zu sehen und ihr Verhalten entsprechend anzupassen.