Das am 4. März 2022 von der russischen Regierung verabschiedete Gesetzespaket zur Tätigkeit in- und ausländischer Medien stellt die Verbreitung von absichtlichen Falschinformationen über den Einsatz russischen Streitkräfte unter Strafe. Angedroht werden den Verbreitern solcher Nachrichten Geld- und Gefängnisstrafen. Letztere können bis maximal 15 Jahre Haft reichen. Mit Medien sind auch Social-Media-Kanäle von Privatpersonen gemeint. Damit können die Strafen auch gegen private Blogger und Vlogger verhängt werden, was mit Stand 9. März 2022 bereits geschehen ist.
Was verbietet das neue russische Mediengesetz konkret? Inhalt, Erklärung
Konkret geht es um die russischen Streitkräfte und um die Durchführung der sogenannten „militärischen Spezialoperation“, wie es im offiziellen russischen Sprachduktus heißt. Verboten sind:
- sogenannte „Falschinformationen“ über russische Streitkräfte (pauschalisierter Begriff, der jegliche Interpretation zulässt)
- Verunglimpfung der russischen Armee
- Verwendung der Begriffe „Angriff“, „Kriegserklärung“ und „Invasion“ für den russischen Einmarsch
- Verbreitung von Opferzahlen (zivile und militärische Opfer) sowie Angaben zu materiellen Schäden beider Seiten, die nicht von offiziellen staatlichen russischen Stellen stammen
- Zuweisung einer Schuld am Geschehen gegenüber dem russischen Staat oder einem seiner Vertreter
Was bedeutet der Wortlaut des Gesetzes in juristischer Hinsicht?
Juristisch verschafft das Gesetz dem russischen Rechtssystem eine Handhabe, gegen jede Person mit einer Geld- und/oder Gefängnisstrafe vorzugehen, die sich abweichend von der offiziellen russischen Linie zum Kriegsgeschehen äußert. Die Abweichung muss nicht groß sein, um bestraft zu werden. Diesen Schluss legen die schwammigen Punkte des Gesetzes nahe.
Es spielt auch keine Rolle, wo die betreffende Person ihre Äußerungen tätigt und welcher Staatsangehörigkeit sie ist. Das bedeutet konkret, dass auch ausländische Journalisten oder Privatpersonen unter dieses Gesetz fallen, und zwar selbst dann, wenn sie an ihrem heimischen Computer irgendwo in der Welt in einem Blog oder in einem Kommentar auf Facebook, Instagram, YouTube & Co. eine von der russischen Linie abweichende Meinung äußern. Gemeint sind allerdings alle Äußerungen ab dem Erlass des Gesetzes am 04.03.2022. Dementsprechend warnte das Auswärtige Amt Deutschlands unmittelbar nach diesem Erlass alle Bürger*innen hierzulande, sich ab sofort zu überlegen, was sie online zum Kriegsgeschehen posten.
Was könnte einem deutschen Blogger, Vlogger oder Verbreiter eines privaten Posts oder Kommentars drohen?
Das rein juristische Szenario sieht so aus: Wer gegen das Gesetz verstößt, kann nach entsprechenden Ermittlungen der russischen Behörden verurteilt werden und müsste sich darauf einstellen, dass die russische Justiz dieses Urteil durchsetzt, wenn diese Person russischen Boden betritt. Dass der deutsche Staat oder andere westliche Staaten jedoch Rechtshilfe leisten, wenn diese Person sich nicht in Russland oder einem mit Russland befreundeten Staat aufhält, ist undenkbar. Mit Russland befreundete Staaten sind derzeit unter anderem Belarus, Syrien, Eritrea, Kuba, Venezuela, Nicaragua, Nordkorea und China.
Wie wahrscheinlich ist so ein Szenario?
Für eine Privatperson, die beispielsweise in einem sozialen Netzwerk ihre Solidarität mit der Ukraine äußert und sich in diesem Kontext auch negativ zur russischen Armee, ihrer Führung (inklusive Wladimir Putin) und zu nicht von Russland gemeldeten Opfer- und Schadenszahlen äußert, ist die Wahrscheinlichkeit gering, von einer Strafverfolgung russischer Behörden betroffen zu sein. Diese würde ohnehin erst einsetzen, wenn diese Person irgendwann ins Hoheitsgebiet der russischen Justiz gelangt. Diese hätte mit der Strafverfolgung zwei Probleme:
- #1 Sie müsste solche Äußerungen überhaupt erst einmal filtern und würde sich dabei kaum auf ausländische Privatpersonen und einzelne Posts, sondern eher auf journalistische Äußerungen in großen Medien konzentrieren. Auszuschließen ist so eine Filterung dennoch nicht, denn soziale Netzwerke lassen sich digital nach jedem erdenklichen Stichwort filtern.
- #2 Wenn diese Person irgendwann nach Russland, Belarus oder einen anderen mit Russland befreundeten Staat reist, müsste das Interesse der russischen Behörden groß genug sein, diese Person bei der Einreise aufzuspüren und dann die Strafverfolgung aufzunehmen. Auch dieser Aufwand wäre erheblich, aber prinzipiell (auf digitalem Weg) zu stemmen. Dann stellt sich noch die Frage, inwieweit das russische Mediengesetz Verjährungsfristen vorsieht.
Nicht auszuschließen ist indes, dass die russischen Behörden irgendwann einmal gegen irgendeine ausländische Person ein Exempel statuieren. Doch die Wahrscheinlichkeit für jede einzelne Person, davon betroffen zu sein, ist prinzipiell sehr gering.
Was bedeutet das russische Mediengesetz für die unabhängige Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine?
Für die Berichterstattung aus Russland ist es der GAU, ansonsten spielt es keine Rolle, wie wir seit dem 4. März 2022 schließlich in unseren Medien besichtigen können: Sie berichten nach wie vor über den Krieg und beleuchten das Geschehen aus allen erdenklichen Perspektiven. Die Bundesregierung jedoch, Journalistenverbände und Medienunternehmen zeigten sich bezüglich der Arbeit unserer Journalisten in Russland besorgt.
Die westlichen Medien riefen in großer Zahl ihre Journalisten zurück, allerdings nicht komplett: Der WELT-Korrespondent Christoph Wanner etwa berichtet nach wie vor und wie gewohnt kritisch aus Moskau (Stand: 9. März 2022). Die Einordnung des Gesetzes durch das Berliner Auswärtige Amt fiel allerdings gravierend aus: Man konstatierte dort den kompletten Wegfall der Pressefreiheit in Russland, jedenfalls bezogen auf den Krieg in der Ukraine, und befürchtet seither „drakonische“ Strafen gegen Journalisten und Privatpersonen. Nun müsse man beobachten, wie die russische Justiz dieses Gesetz anwende, hieß es dazu aus dem Auswärtigen Amt. Man sei jedoch besorgt wegen der vielen unbestimmten Begriffe im Gesetzestext, die alle möglichen Auslegungen zuließen. Daher rate man Journalisten und Privatpersonen, mit der Situation „problembewusst und sensibel“ umzugehen. Dass die Sicherheit von Journalisten in Russland nicht mehr gewährleistet ist, steht für einige Insider außer Frage.
So forderte der DJV-Vorsitzende Frank Überall (Deutscher Journalisten-Verband) alle deutschen Auslandsreporter auf, Russland schnellstmöglich zu verlassen. ZDF-Chefredakteur Peter Frey nahm zur Entscheidung von ARD und ZDF Stellung, vorerst die Berichterstattung aus Russland auszusetzen: Man müsse die Journalisten vor Ort schützen, solange man nicht wisse, wie das russische Mediengesetz auf ausländische Korrespondent*innen angewendet werde.
Zuvor hatten schon BBC (Großbritannien), CNN, CBS, Bloomberg (alle USA) und CBC (Kanada) ihre Journalist*innen aus Russland abgezogen. BBC-Chef Tim Davie äußerte sich empört und besorgt zum Gesetz. Jedoch wolle sein Sender die russischsprachige Arbeit von Stationen außerhalb Russlands fortsetzen. Nur könne man nicht die eigenen Mitarbeiter*innen in Russland dem Risiko einer Strafverfolgung aussetzen.
Erste Verurteilungen nach dem neuen Mediengesetz (2022) in Russland
In Russland gab es schon kurz nach Inkrafttreten des Gesetzes erste Verurteilungen. Ein 26-jähriger Mann wurde zu einer Geldstrafe von 30.000 Rubel (knapp 200 Euro) verurteilt, weil er die russische Armee verunglimpft haben soll. Er hatte in der Kleinstadt Pljos ein Plakat gegen den Krieg aufhängen wollen. Dieselbe Strafe ereilte einen anderen Mann aus Kostroma wiederum wegen eines Plakates, das die Kosten des Krieges thematisiert hatte.
Solche Fälle listet das Portal Meduza auf, das bislang noch arbeitet und sich kritisch gegenüber der eigenen Staatsführung positioniert. Wer in Russland gegen den Krieg demonstriert, muss umgehend mit bis zu 15 Tagen Haft rechnen. Die Behörden hatten zwischen dem 24. Februar (Einmarsch der russischen Truppen) und dem 8. März 2022 landesweit rund 13.000 Menschen bei Protesten festgenommen.
Russland: Weitere Maßnahmen gegen die Medien
Am 8. März hat Russland den Zugang zu YouTube, Facebook und Twitter stark eingeschränkt, bestimmte Kanäle sind gesperrt. Facebook war teilweise gar nicht mehr erreichbar, jedoch sperrten die Russen wohl noch nicht das zu Facebook gehörende Instagram. Offen denkt Putin über ein inländisches russisches Internet ohne Kontakt zur restlichen Welt nach. Darüber hinaus sind kritische russische Medien sehr stark betroffen.
Das unabhängige Portal „Znak“ aus Jekaterinburg stellte seine Arbeit schon am 5. März 2022 ein. Von ihm kam das größte unabhängige Informationsangebot außerhalb der Metropolen Moskau und St. Petersburg, in denen es noch weitere unabhängige Medien gibt. Die Redakteure von Znak kommunizierten, dass man es ihnen schon vor dem 4. März 2022 sehr schwer und oft unmöglich gemacht hatte, unabhängig zu berichten.
Die „Novaja Gaseta“ gilt als wichtigstes unabhängiges Nachrichtenportal in Russland. Ihr Chefredakteur Dmitri Muratow erhielt 2021 den Friedensnobelpreis. Er gab am 6. März 2022 in Absprache mit seiner Redaktion bekannt, dass man ab sofort nicht mehr über das Geschehen in der Ukraine berichten werde. Der für seine unabhängige Berichterstattung sehr beliebte Radiosender „Echo Moskwy“ löste sich am 5. März 2022 auf:
Die Behörden hatten ihn mit einem Sendeverbot wegen seiner Berichterstattung zur russischen Invasion im Nachbarland belegt. Den unabhängigen Fernsehsender „Doschd“ verboten die Behörden gleich komplett, was auch seine wirtschaftlichen und juristischen Strukturen betraf. Westliche Medien wie die Deutsche Welle, Radio Free Europe und Voice of America sperrten russische Techniker vom russischen Internet aus.
Die Nachrichtenagentur dpa ließ diesen Vorgang eigene Experten für Cybersecurity überprüfen. Diese konnten unter anderem belegen, dass die Webseite dw.com schon vor dem offiziellen Inkrafttreten des russischen Mediengesetzes in der Nacht von Donnerstag, dem 3. März 2022, auf Freitag, dem 4. März (Veröffentlichung des Gesetzestextes) in Russland in allen Sendesprachen gesperrt worden war. Seither veröffentlicht die Deutsche Welle auf weiteren ausländischen Webseiten Beiträge zu technologischen Möglichkeiten, mit denen sich die russische Sperre umgehen lässt.
Fazit: Lässt sich die Wahrheit auf diese Weise unterdrücken?
Man möchte laut ausrufen: Nein, das geht nicht! Doch so einfach ist es leider nicht. Nachrichten basieren auf einer Informationsfülle aus verschiedenen Quellen, Meinungen werden gemacht. Wenn man die Quellen abschneidet und nur noch eine dem Diktator genehme Meinung verbreiten lässt, hilft ihm das. Putin genießt in seinem Volk nach wie vor mehrheitlich eine große Zustimmung. Mit dem Schlag gegen die Medien dürfte er seine Position festigen.