Was ist Perfektionsdruck? Wie begegnet man ihm? Erklärung

Was ist Perfektionsdruck, Wie begegnet man ihm, Erklärung


Perfektionsdruck, besser bekannt als Perfektionismus, ist der Zwang, sich keine Fehler zu erlauben. Aus rein psychologischer Sicht ist er mit den Zwangsstörungen zumindest verwandt und kann dementsprechend therapiert werden. Rein begrifflich lässt sich der momentane Perfektionsdruck, eine konkrete Handlung perfekt auszuführen, vom generalisierten Perfektionismus abgrenzen.

Perfektionsdruck und Perfektionismus als Persönlichkeitsmerkmal

Die milde, bei vielen Menschen anzutreffende Form des Perfektionismus hat drei grundsätzliche Merkmale:

  • Die betreffende Person legt sehr hohe Maßstäbe an ihre eigenen Handlungen an. Dennoch kann sie Fehler von anderen Menschen tolerieren. Perfektionismus hat eine narzisstische Komponente, er ist Ich-bezogen.
  • Die angelegten Maßstäbe sind rigide.
  • Der persönliche Selbstwert hängt ausschließlich von den eigenen Leistungen ab.

Da es sehr viele Menschen gibt, die sich überwiegend über ihre Leistungen definieren, gibt es Perfektionismus auch in milder Form. Daher schlagen manche Psychologen vor, ihn von gewöhnlicher Gewissenhaftigkeit abzugrenzen. Immerhin führt Perfektionsdruck zu hohen Leistungen. Außerdem wird in bestimmten Bereichen Perfektion erwartet und verlangt. Dies betrifft beispielsweise Künstler, Sportler, Wissenschaftler, führende Manager und sogar die Bediener technischer Anlagen, die sich in der Tat bestimmte Fehler nicht erlauben können. Die Psychologie nennt auch eine Grenze, ab welcher Perfektionismus pathologisch wird: Diese besteht im Auftreten von Versagensangst. Gewöhnliche Perfektionisten, die auch als besonders gewissenhafte Zeitgenossen bekannt (und geschätzt) sind, leiden nicht unter ihrem aktuellen Perfektionsdruck. Pathologische Perfektionisten haben bei wichtigen Tätigkeiten stets Angst, sie nicht zu schaffen, wenn sie nicht jede Handlung perfekt ausführen.

Woher kommen Perfektionsdruck und Perfektionismus?

Der temporäre, aktuelle Perfektionsdruck entsteht situativ und kann wohlbegründet sein. Unter ihm stehen auch Personen, die ansonsten keine Perfektionisten sind, schon gar keine pathologischen. Beispiele wären:

  • Sportler im entscheidenden Wettkampf
  • Künstler auf der Bühne
  • Manager und Politiker bei essenziellen Entscheidungen
  • Sanitäter und sonstige Erstretter am Einsatzort
  • Polizisten und Feuerwehrleute in kritischen Situationen
  • Schüler*innen vor wichtigen Prüfungen

Dass in diesen Situationen ein gewisser Perfektionsdruck entsteht, ist vollkommen normal. Es ist wirklich hilfreich, sich so perfekt wie möglich zu verhalten. Geborene Perfektionisten können unter solchen Situationen besonders stark leiden, weil sie jedes eigene Versagen als besonders tiefe persönliche Schuld empfinden. Dieses Leiden ist ihnen nicht unbedingt anzusehen und muss auch keine negative Auswirkung auf das Ergebnis haben, im Gegenteil:

Als Perfektionisten bereiten sie sich auch besonders gründlich auf die Situation vor und können allein deshalb sehr gut abschneiden. Doch im Gegensatz zu den Nicht-Perfektionisten geraten sie praktisch täglich mehrmals in eine Lage, in der sie vermeintlich perfekt agieren müssen. Sie bereiten beispielsweise auch ihren Einkauf sehr genau vor und leiden darunter, wenn sie einen Artikel auf dem Zettel vergessen haben oder wenn sie ihren Zeitplan nicht einhalten konnten. Der Nicht-Perfektionist winkt dann hingegen ab und geht schlimmstenfalls morgen noch mal einkaufen.

Die Perfektionisten fühlen auf die beschriebene Weise, weil ihnen ein sicheres, positives Gefühl der eigenen Identität fehlt. Sie müssen sich diese immer wieder durch Leistung bestätigen. Unter Umständen und je nach sozialem Kontext wollen sie manchmal nicht perfekt sein (auch aus Einsicht in das eigene Unvermögen), wollen aber so wirken. Das kann dazu führen, dass sie mit Manipulationen eine vermeintliche Leistung vortäuschen. Dies ist aber nicht auf alle Perfektionisten zu verallgemeinern. Es gibt unter ihnen auch Personen, die perfekt sein wollen, auch wenn das niemand sonst bemerkt. Sie leben zum Beispiel als Singles in einer penibel aufgeräumten Wohnung, die sie sehr oft zwanghaft reinigen und die kaum jemand außer ihnen selbst betreten darf.

Ausprägungen des Perfektionismus

Perfektionismus hat mehrere Ausprägungen, die mehr oder minder pathologisch sind. Er kann von einer Freude am vollkommenen Gelingen ebenso wie von der Angst vor Versagen und Ablehnung angetrieben werden. Er hat eine konstruktive und destruktive Komponente. Konstruktiv ist das Streben nach Verbesserung, welches tatsächlich zu wertvollen Leistungen führt (auch für die Gemeinschaft), destruktiv sind der Hang zu aufwendigen Zwangshandlungen (wie Putzzwang) und Vermeidungsstrategien, um nicht in Situationen zu geraten, die aus Sicht der/des Betroffenen nicht perfekt zu meistern sind. Damit können sich Perfektionisten wichtige Wege verbauen, was als „Lebensirrtum“ nach Alfred Adler bekannt ist. Das Konstrukt des Perfektionsstreben lässt sich mit zwei Dimensionen beschreiben:

  • perfektionistisches Streben (Streben nach Vollkommenheit)
  • perfektionistische Besorgnis (übertriebene Fehlervermeidung)

Perfektionistisches Streben gilt als gesund und funktional, reine perfektionistische Besorgnis gilt als pathologisch. Das gleichzeitige Vorhandensein beider Dimensionen kann zu Dysfunktionalität führen, weil jemand, der alle Fehler vermeiden möchte, auch nicht mehr handelnd nach einem Erfolg streben kann. Wenn Perfektionisten an ihrer Außendarstellung „basteln“, um auch dort perfekt zu erscheinen, wo sie es nicht sein können, erzeugen sie manchmal Abneigung und Feindseligkeit im sozialen Umfeld. Die Perfektionisten leiden unter der Angst, durchschaut zu werden. Ihr Umfeld mag möglicherweise ihre andauernden Bemühungen um Perfektion nicht sonderlich. Dies verstärkt sich, wenn die perfektionistische Person eine Führungsposition innehat und ihre Untergebenen mit perfektionistischen Vorgaben quält.

Beobachtungen zum Perfektionismus

Im Jahr 1956 nahm der Verhaltenstherapeut Albert Ellis das perfektionistische Verhalten in eine Liste von zwölf irrationalen Überzeugungen auf. Ellis schuf die erste anerkannte Definition des Perfektionismus als absolutes Streben nach Perfektion, vollkommener Leistungsfähigkeit und intelligenter Aktion in allen relevanten Bereichen. Wegen der relevanten pathologischen Ausprägungen des Perfektionismus entwickelten Psychologen in den nachfolgenden Jahrzehnten diagnostische Methoden, mit denen sich der Hang zu Perfektionismus messen lässt. Die Perfektionismus-Skala von Frost deckt funktionalen und dysfunktionalen Perfektionismus auf. Die HMPS-Skala von Flett und Hewitt („Self Oriented-Perfectionism and Socially Prescribed-Perfectionism“) bestimmt anhand von 35 Fragen die generelle Stärke des Perfektionismus. Untersuchte Fragestellungen sind unter anderem:

  • persönliche Standards
  • Sorge um Fehler
  • Zweifel an Handlungen,
  • elterliche Erwartungen
  • Umgang mit Kritik
  • Streben nach absoluter Ordnung

Weitere Ansätze sind die Burns Perfectionism Scale, EDI (Eating Disorder Inventory), PCI (Perfectionism Cognitions Inventory) mit 25 Fragen, die Perfektionismus-Subskala von Garner sowie MOCI (Measure Obsession & Compulsions) von Hodgson und Rachman.

Therapieansätze: Perfektionsdruck

Die Therapie zielt auf die Ursachenforschung, das Etablieren eines leistungsunabhängigen Selbstwertgefühls und das Erlernen flexibler Verhaltensweisen. Letzteres ist wichtig, weil Perfektionisten nur in einem streng strukturierten Tagesablauf zurechtkommen. Indem dieser aufgebrochen wird, können sie nicht mehr nach ihren eigenen Maßstäben perfekt agieren und lernen dabei, dass ihnen das nicht schadet.

Autor: Pierre von BedeutungOnline

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