Ein originales musikalisches Kind aus den vielen Townships in Südafrika
Wortwörtlich übersetzt steht der Ausdruck Amapiano in der Bantusprache isiZulu bzw. Zulu für „die Klaviere“, was für manche aufmerksame Beobachter vielleicht an der Wortendung deutlich werden kann. Musikalisch bezeichnet Amapiano einen Stil der House-Musik, der ab 2012 in Südafrika entstand. Es handelt sich um eine Mischung aus Deep House, Jazz und Lounge-Musik, die sich durch üppige Synthesizer und breite perkussive Basslinien auszeichnet. Das Genre wurde im Übergang zu den 2020er-Jahren unter den „Millennials“ und der sog. „Generation Z“ in Südafrika sofort populär und ist es bis heute. Amapiano ist an hohen Melodien am Klavier oder Keyboard, eher schleppenden und recht langsamen Bassläufen wie im ebenfalls südafrikanischen House-Musikstil „Kwaito“ sowie typischen Rhythmen der 1990er-Jahre aus dem lokalen Subgenre „Tribal House“ erkennbar.
Was ist Amapiano? Erklärung, Bedeutung, Definition
Obwohl Amapiano erstmals im Township Katlehong östlich von Johannesburg gespielt und dort populär wurde, gibt es doch noch immer viele Unklarheiten und Debatten über die genaueren Ursprünge. Es existieren verschiedene Berichte über die angebliche Herkunft des besagten Musikstils aus einem der vier großen Johannesburger Townships Soweto, Alexandra, Vosloorus oder Katlehong. Aufgrund der Ähnlichkeiten des Genres mit dem stilistisch ähnlichen „Bacardi“ behaupten einige Kenner auch, dass das Genre in Pretoria seinen Anfang nahm. Sich größtenteils widersprechende Aussagen darüber, wer das populäre Genre nun genau erfunden und maßgeblich geprägt haben soll, machen es so gut wie unmöglich, die exakten Ursprünge detailliert zu bestimmen.
Ein wichtiges Element des Genres ist die Verwendung der perkussiven Basslinie „Log Drum“, deren Erfindung dem Künstler und Musiker MDU alias TRP zugeschrieben wird. Dem Amapiano-Pionier, südafrikanischen DJ und Plattenproduzent Kabelo Petrus Motha („Kabza De Small“) von der Band „Scorpion Kings“ zufolge soll sein Freund und Kooperationspartner MDU/TRP beim intensiven Experimentieren mit neuen Plug-ins den Klang der „Log Drum“ erfunden und damit Amapiano revolutioniert haben.
Verbreitung und erste Popularität: Amapiano
In den Anfängen seiner Popularität ab etwa 2016 zirkulierte Amapiano als einzigartige südafrikanische Variante des House über qualitativ minderwertige Dateien in Messaging-Apps und Online-Foren. Die Musik wurde von Produzenten zu Hause mit begrenzten Ressourcen entwickelt und verbreitete sich schneller als erwartet von Telefon zu Telefon. Anfang 2019 konnte man schon nicht mehr durch die Straßen Südafrikas gehen, ohne die charakteristischen Melodien von Amapiano zu hören, die aus Autos und Lautsprechern in die Umgebung strömten. Der rasante Siegeszug von Amapiano aus dem Ghetto in den Mainstream wäre ohne die Reichweite des Internets undenkbar gewesen.
Indem die Produzenten die einfache Zugänglichkeit des Internets gekonnt nutzten und geschickt kultivierten sowie massenhaft Musik umsonst herausbrachten, weckten sie das Interesse der Leute und machten es diesen leichter, die neue Musik kostenlos zu konsumieren. So veröffentlichten die Produzenten fast täglich eine Flut von Musik und sprachen das schnell begeisterte Publikum durch Remakes bereits bekannter Hits zurück, um die Eigenart von Amapiano zu verkörpern. Dank Kooperationen halfen sich die Produzenten gegenseitig, treue Fangemeinden aufzubauen.
Zunächst war Ampiano noch mehrheitlich bis fast ausschließlich instrumental, erst als der weiter oben bereits erwähnte Kabza De Small Gesang hinzufügte, änderte sich das Genre grundlegend und viele Künstler eiferten seinem Beispiel nach. Synonyme für Ampiano mit oder ohne Gesang auf den Straßen Südafrikas sind die beiden Begriffe „Number“ und „Yanos“, wobei Letzterer vor allem von südafrikanischen Hip-Hop-Künstlern gerne genutzt wird, die dazu übergegangen sind, Amapiano-Musik zu machen.
Ab ca. 2017 gewann das Genre durch seinen fröhlichen und jazzigen Stil schnell weiter an Popularität. Zu dieser Zeit von vielen etablierten Musikkritikern noch oftmals als minderwertig abgetan, ist der typische Township-Groove heute die meistkonsumierte Musikrichtung Südafrikas, und sein Erfolg beruht auf dem Internet und dem Radio. Er ist zu einer hartnäckigen Graswurzel-Musikbewegung geworden. Auch wenn die heutzutage massenhafte Identifikation mit dem Stil eventuell etwas konformistisch erscheinen mag, liegt dessen Wert in der für Afrikaner kreativen, individuellen und kollektiven Freiheit. Die so beeindruckende Entwicklung und Erfolgsgeschichte von Amapiano lässt sich musikalisch womöglich durch dessen stilistisch vielseitige und teils paradoxe Eigenschaften erklären.
Aus zahlreichen stilistischen Vorfahren und Verwandten ist etwas Neues entstanden
Amapiano wirkt melodiös häufig relativ gefühlvoll, hell und unschuldig, die gelegentlich rauen und sich nahezu monoton wiederholenden Hooks verleihen dem Ganzen aber auch viel Kraft und Körper. Neben der unverkennbaren engen Verwandtschaft mit dem eingangs schon erwähnten Musikstil „Kwaito“ sorgen laut dröhnende Basslinien aus lokalem Deep House der 1990er-Jahre, traditionelle Percussion und spürbar vom Jazz beeinflusste Klavierklänge für ein überraschend heterogenes Hörerlebnis.
Vom artverwandten „Kwaito“ hat Amapiano das Midtempo sowie vertraute Drum-Patterns und Baselines aus R&B, Hip-Hop und House übernommen. Der intensive Einsatz von Vocal-Cuts und Orgel-Licks und vor allem das in zahlreichen Songs und Stücken vorherrschende Tempo von 115 Schlägen in der Minute (bpm) lassen Ampiano im Vergleich zu Kwaito deutlich entspannter wirken. Bei vielen Songs pausiert die Base- bzw. Kick-Drum bei einem Tempo von etwa 115 bpm auch mehrfach, was eine weniger aggressive und gefühlt träge Klangatmosphäre schafft. Gerade in diesen unorthodoxen Kompositionen liegt die Kraft des Sounds. Es ist auch erwähnenswert, dass sich der relativ neue Stil bereits in mehrere verschiedene Subgenres entwickelt hat, namentlich Dust/Street, Private School und Techno Amapiano.
Die frühen Amapiano-Kompositionen und -Mixe waren experimentell und repräsentierten einen Geist der Freiheit, der sich nicht an einen bestimmten Stil hielt, sondern von vielen Einflüssen geprägt war. Und das Fehlen von Gatekeepern führte zu einem organischen Wachstum über kulturelle Grenzen hinweg.
Innerhalb des Genres lassen sich inzwischen mehrere Ausprägungen unterscheiden. Dust oder Street Amapiano ist eine rauere Version mit besonders schweren und tiefen Baselines, während Private School Amapiano einen gefühlvolleren Charakter hat und typischerweise den Gesang in den Vordergrund stellt. Die aus Pretoria stammende Amapiano-Variante ist ausgeprägt poppig und eine neuere, experimentelle Techno-Variante, die den Kick in ihre Kompositionen einbezieht, ist auf dem Vormarsch. Diese Aufteilung in Substile und tendenziell leicht unterschiedliche Varianten kann auch durchaus als Erbe der ursprünglichen Entstehung in den Townships verstanden werden. In diesen Gegenden ist die musikalische Stimmung stark von vielfältigen Bezügen zu House, Jazz und Kirchenmusik geprägt. Anders als bei international sonst üblichen Arten von Popkonsum wurde Amapiano zuerst direkt vor Ort produziert, verteilt und variiert sowie statt bei kommerziellen Radiosendern auf der Straße und in lokalen Kneipen gehört.
Erst eroberte Amapiano die Nachbarländer und bald darauf den gesamten Kontinent
Seit ungefähr 2019 erfreute sich das Genre auf dem gesamten afrikanischen Kontinent zunehmender Beliebtheit und verzeichnete einen Anstieg der digitalen Streams und Chart-Erfolge auch in Ländern, die weit von seinem südafrikanischen Ursprung entfernt sind.
Im Jahr 2022 nahm schließlich der US-amerikanische Online-Musikshop „Beatport“ das Genre mit eigenen Charts und Wiedergabelisten in sein Angebot auf. Das Genre war und ist speziell auch auf Plattform „TikTok“ äußerst populär, wo verschiedene Challenges durchgeführt wurden, die die Tanzszene in Südafrika anheizten. Maßgeblichen Anteil am weltweiten Erfolg hatte auch der ebenfalls 2019 erschienene 26-minütige Dokumentarfilm „SHAYA!“ unter der Regie des Musikers und Filmemachers Thabang „Papercutt“ Moloto über die Anfänge von Amapiano auf Partys in den Townships und die anschließende, fast schon atemberaubend schnelle Ausbreitung als Hintergrundmusik in Einkaufszentren, an Taxiständen und überall im Internet.
In der Dokumentation wurde das Schaffen von heute berühmten Musikern wie Kabza De Small und JazziDisciples sowie MFR Souls und Mark Khoza gezeigt und gewürdigt. Als wichtige Pioniere gelten außerdem der 2020 im Alter von 42 Jahren verstorbene „DJ Papers 707“ (Vusi Mabuza), dessen individueller Tanzstil das heute in ganz Südafrika bekannten Bonmot „dance like Papers“ begründete sowie DJ „Da Kruk“ (Kutloano Nhlapo), welcher als einer der ersten Radiomoderatoren Amapiano-Künstlern Raum beim Jugendsender „YFM (99.2 FM)“ in Johannesburg gab.
Bald wurde Amapiano zusätzlich zur Musik zum Ausdruck eines Lebensstils mit eigener Kleidung und Sprache. Das eigentlich von Männern wie Mbali Sibeko und Nadeem „Dimpi Dimpopo“ Poen dominierte Genre hat mittlerweile aber auch eine Reihe von berühmten Frauen wie die Tänzerin Kamo Mphela sowie die in Simbabwe geborene Sängerin und inoffizielle „Königin des Amapiano“ Sha Sha hervorgebracht.
Als Pioniere sowie klangvolle Namen des Genres gelten darüber hinaus DJ Stokie, der den Sound in Soweto populär machte und DJ Maphorisa als erfolgreichster einheimischer Künstler auf Spotify Südafrika. Schon viel Beachtung bei den Fans und in der Fachpresse fanden bislang auch die stark am Hip-Hop angelehnten Amapiano-Experimente von heimischen Rappern wie Cassper Nyovest, Costa Titch, K.O., Khuli Chana, Kwesta, Riky Rick, Touchline und Zingah, die in einer so leidenschaftlich gerne tanzenden Nation wie Südafrika ihre Songs entsprechend gestalten. Überhaupt hat sich das Genre seine ursprüngliche stilistische Offenheit bewahrt und ist dadurch auch für Afrobeats-Stars wie Burna Boy, Tiwa Savage sowie Wizkid immer interessanter geworden.
Heutzutage ist Amapiano global bekannt und erfreut sich wachsender Beliebtheit
Im Zuge der musikalischen Eroberung des afrikanischen Kontinents hat sich Amapiano speziell in den dortigen Ländern Nigeria, Mosambik, Namibia, Kenia und Tansania als sehr erfolgreich erwiesen. Vor allem nigerianische Produzenten und Künstler haben sich den Sound zu eigen gemacht und veröffentlichen ihre eigenen Interpretationen von Amapiano auch unter den Bezeichnungen „Afropiano“ oder „Afro-Amapiano“.
Gleichermaßen günstig aufgenommen wurde das Genre in Ghana, wo der „Pon-Pon-Sound“ einen fruchtbaren Boden darstellt. Auch außerhalb Afrikas erfreut sich das Genre zunehmender Beliebtheit, so in erster Linie in Kanada, Spanien, Belgien, Großbritannien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. International bekannt geworden sind inzwischen auch Künstler wie DBN Gogo, Focalistic und Major League DJz sowie Labels wie Thupa Industry, Jozi Entertainment und PianoHub. Ganz und gar Amapiano gewidmet ist der YouTube-Kanal Groove Cartel, dessen Moderator AshMopedi als wahre Heimat der Musik die nordöstliche Provinz und Region Gauteng rund um Johannesburg und Pretoria nennt.