Die Neidsteuer oder auch Reichensteuer bzw. Millionärssteuer ist eine populistische Wortschöpfung, die in Deutschland erstmals ab 2005 gebraucht wurde. Nach der damaligen Bundestagswahl begann in Deutschland eine Reformdiskussion zum Steuerrecht. Höhere Einkommen sollten einer stärkeren Progression unterliegen und dementsprechend deutlich höher besteuert werden. Gegner dieses Vorhabens verwendeten dann Begriffe wie Neidsteuer, die ausdrücken sollen, dass das Aufkommen durch so eine Steuer marginal sei, ihre Durchsetzung aber den Neid der Bezieher kleinerer Einkommen besänftigen soll.
Zuletzt verwandte öffentlichkeitswirksam Friedrich Merz (CDU) während seiner Kandidatur für den Parteivorsitz im Januar 2021 diesen Begriff. In anderen Ländern gibt es ähnliche Diskussionen.
Gibt es de facto eine Reichen- oder Neidsteuer?
Die GroKo aus CDU, CSU und SPD vereinbarte 2005 eine Erhöhung der Einkommensteuer für Spitzenverdiener, die durch das „Steueränderungsgesetz 2007“ auch eingeführt wurde. Der Einkommensteuersatz wurde für höhere Einkommen angehoben. Das Aufkommen durch diese Steuer war in den kommenden Jahren nicht sehr hoch:
- 2007: 650 Millionen Euro
- 2008: 790 Millionen Euro
- 2009: 1,03 Milliarden Euro
- 2010: 640 Millionen Euro
Das ist in Relation zum Gesamtsteueraufkommen in Deutschland (2010: 530 Milliarden Euro) nicht sehr viel Geld, auch die Zahl der betroffenen Steuerpflichtigen ist nicht sehr hoch. Diese Fakten scheinen zu bestätigen, dass es sich um eine Neidsteuer handelt. Jüngere Schätzungen aus Kreisen der SPD und der Linkspartei gehen von möglicherweise 10 Milliarden Euro aus, die im Jahr 2021 durch so eine Steuer zu generieren wären. Diese Schätzungen sind allerdings umstritten. Dass die „Neidsteuer“ relativ wenig Geld einbringt, lässt sich erklären: Die Zahl der betroffenen Steuerpflichtigen ist deutlich kleiner als die der per Definition als reich geltenden Personen. Es gibt hierfür verschiedene Definitionen und Erhebungen laut Jahreseinkommen und Vermögen, die zu einer Reichenquote von zwei bis acht Prozent der Bevölkerung führen. Von der Reichensteuer oder Neidsteuer sind aber nur also 0,22 Prozent aller Steuerpflichtigen betroffen.
Wie wird die „Neidsteuer“ ausgestaltet? Erklärung
Im Jahr 2019 wurde der Höchststeuersatz von 45 Prozent auf Einkünfte ab 265.327 Euro pro Jahr und einzelnem Steuerpflichtigen erhoben (Zusammenveranlagung von Paaren: 530.654 Euro). Inzwischen wurde die Grenze auf 274.613 Euro angehoben (siehe unten). Die Besonderheit ist dabei die Anhebung in einer Stufe. Ansonsten steigt der Steuersatz linear progressiv. Daher bezeichnet der Fiskus diesen Satz als Höchststeuersatz, während der Spitzensteuersatz von 42 Prozent progressiv erreicht wird. Es fehlen zwischen dem Spitzen- und dem Höchststeuersatz drei Prozent in der Progression. Das soll das Signal sein, dass man Reiche besonders stark besteuert.
Politische und gesellschaftliche Diskussionen um die Neidsteuer
Der Leiter des Instituts für Makroökonomie Gustav Horn bezeichnete die Steuer als „rein symbolische Politik“. Das Institut steht den Gewerkschaften nahe. Der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel unterstellt der Reichensteuer einen bloßen Placeboeffekt. Man hätte den Spitzensteuersatz generell auf 45 Prozent anheben sollen. Der CSU-Politiker Peter Ramsauer nennt die Steuer eine „ökonomisch unsinnige Neidsteuer“. Ihm pflichtet Karl Heinz Däke vom Bund der Steuerzahler bei. Däke macht erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken geltend. Franz Müntefering (SPD) befürwortet die Steuer, ebenso Gerald Weiß vom CDU-Arbeitnehmerflügel. Weiß sagte, es müsse Belastungsgerechtigkeit hergestellt werden. Der Reeder Peter Krämer initiierte einen offenen Brief an die Regierung, den unter dem Duktus, dass die Neidsteuer lächerlich sei, etliche prominente Unternehmer unterschrieben.
Wirtschaftswissenschaftler untersuchten etwa ab 2009 den Effekt der Steuer. Sie stellten fest, dass die Steuer kein stimmiges Modell repräsentiert und ungewollte Effekte erzielt. So werden beispielsweise Einkünfte und Vermögen exorbitant besteuert, die eigentlich der wirtschaftlichen Entwicklung von mittelständischen Betrieben dienen. In der Bevölkerung hingegen kommt die Neidsteuer gut an, womit sie ihren Zweck bestens erfüllt: Die Forschungsgruppe Wahlen stellte kurz nach ihrer Einführung unter eine Zustimmung von 71 Prozent der Befragten fest.
Jüngste Kommunikation der Neidsteuer
Das Thema verschwand etwa ab 2012 aus dem Fokus der Medien und damit auch der Öffentlichkeit, bis es Friedrich Merz (CDU) Anfang 2021 wieder aufgriff. Merz kandidierte zu diesem Zeitpunkt für den Vorsitz seiner Partei, der später an Armin Laschet fiel. Auf seinen öffentlichen Veranstaltungen polarisierte Merz mit seinen Statements, wie es das Publikum von ihm kennt. Merz gehört als Manager des Vermögensverwalters Blackrock zu den möglicherweise betroffenden Millionären des Landes. Natürlich wetterte er gegen die Neidsteuer.
Die SPD hatte das Thema für den Bundestagswahlkampf 2021 erneut auf die Agenda gesetzt, obgleich die Reichen- oder Neidsteuer ja nach wie vor existiert. Sie lässt sich allerdings natürlich immer wieder neu ausgestalten, und zwar durch die Senkung oder Anhebung der betreffenden Einkommensgrenze und durch den Steuersatz selbst. Im Jahr 2021 (Stand: März 2021) haben wir in Deutschland folgende Situation (alle Zahlen für den einzelnen Steuerpflichtigen):
- Der Spitzensteuersatz erreicht 42 Prozent für die Zone eines Einkommens zwischen 57.918 Euro bis 274.612,99 Euro.
- Ab 274.613 Euro greift in einer neuen Stufe der Höchststeuersatz von 45 Prozent. Das ist die Reichen- oder Neidsteuer.
Friedrich Merz wies neue Forderungen der SPD nach einer Vermögenssteuer als „reinen Klassenkampf“ zurück. In diesem Kontext verwendete Merz auf Twitter den Hashtag „ #Neidsteuer“. Dieser Begriff trendete auf Twitter sehr stark, allerdings kassierte Merz dafür naturgemäß Kritik aus dem anderen politischen Lager. Der damalige Vorsitzende der Linkspartei Bernd Riexinger unterstellte Merz „reinen Egoismus“, andere Politiker der Linken pflichteten ihm bei und forderte, gerade „Superreiche wie Friedrich Merz“ höher zu besteuern. Der Abgeordnete Stefan Liebich (Linke) plädierte sogar offensiv für die „Neidsteuer“, die er auch so benannte. Das weiß Liebich zu begründen. Nach seinen Kenntnissen besitzen die reichsten Deutschen, die nur ein Prozent der Bevölkerung ausmachen, ein Drittel des privaten Vermögens. Die FDP verwendet den Begriff der „Neidsteuer“ ebenfalls, allerdings um darauf zu verweisen, dass man damit exakt „den Finger auf die Wunde“ lege (Stephan Thomae, FDP). Die Regierung solle Existenzgründern lieber den Start erleichtern, anstatt sie per Neidsteuer ausquetschen zu wollen.
Fazit: Neidsteuer
Die hier publizierten Zahlen stammen aus unterschiedlichen Quellen und basieren teilweise auf Schätzungen. Daher müssen sie nicht vollkommen exakt sein. Dennoch lässt sich konstatieren, dass der Effekt eines Höchststeuersatzes, der in einer Stufe von drei Prozent über dem Spitzensteuersatz erreicht wird, eher optischer Natur ist. Wer sich knapp unter dem Grenzwert befindet, wird durch eine steuerwirksame Investition das Einkommen auch unter dieser Grenze halten und damit aktuell drei Prozent auf 274.613 Euro (= ~8.238 Euro) Steuern sparen. Aus diesem Grund handelt es sich bei nüchterner Betrachtung tatsächlich um eine Neidsteuer, welche über 70 Prozent der Bevölkerung bejahen, weil sie ihre Neidgefühle dämpft, die aber kaum einen nennenswerten fiskalischen Effekt erzielt.