Bei einem Grabenwahlrecht werden Sitze in einem Parlament oder Posten mittels zwei verschiedener Wahlsysteme vergeben. Meistens handelt es sich dabei um eine Kombination aus Verhältniswahl und eine Direktwahl.
Kennzeichnend für das Grabenwahlsystem ist dabei, dass es zwischen den beiden Wahlsystemen keine Verrechnung gibt. Die Sitze und Posten werden jeweils unabhängig voneinander verteilt. Durch diesen „Graben“ zwischen den beiden Anteilen der Wahl hat das System auch seinen Namen bekommen. Im Englischen spricht man in dieser Hinsicht von „parallel voting“, weil beide Anteile der Wahl beim Grabenwahlrecht unabhängig voneinander ablaufen.
Grabenwahlsysteme: Beispiele, Länder
In Europa werden sowohl in Italien, Litauen und Russland als auch in der Ukraine die Abgeordneten der nationalen Parlamente per Grabenwahlsystem gewählt. Weitere Länder, in denen ein Grabenwahlrecht genutzt wird, sind:
- Albanien
- Armenien
- Aserbaidschan
- Georgien
- Japan
- Philippinen
- Südkorea
- Thailand
- Taiwan
- Mexiko
- Venezuela
- Senegal
- Seychellen
Grabenwahlrecht in Deutschland
In Deutschland wird derzeit per personalisiertem Verhältniswahlrecht gewählt. Das heißt, dass es ebenfalls zwei parallele Wahlsysteme, eine Verhältniswahl und eine Mehrheitswahl, gibt. Allerdings werden die Ergebnisse der beiden, anders als beim Grabenwahlrecht, miteinander verrechnet. Da beim personalisierten Verhältniswahlrecht alle Direktkandidaten in den Bundes- oder Landtag kommen, gleichzeitig aber die Ergebnisse der Verhältniswahl abgebildet werden müssen, werden viele Parlamente in Deutschland immer größer. Vor allem der Bundestag ist mittlerweile auf 736 anstatt 598 Abgeordnete angewachsen. (Siehe: Liste der größten Parlamente der Welt)
In der Diskussion um eine Wahlrechtsreform, um den Bundestag wieder zu verkleinern, brachte die Union erstmals 2019 ein Grabenwahlrecht ins Spiel. Die beiden Unionsparteien CDU und CSU würden von einem Grabenwahlsystem stark profitieren, weil ihre Kandidaten und Kandidatinnen viele Direktmandate erringen. Das gilt auch für die SPD, die ein Grabenwahlrecht allerdings ablehnt und mit der Ampelregierung eine andere Art der Wahlrechtsreform anstrebt.
1956 legte die Union unter Bundeskanzler Konrad Adenauer schon einmal einen Gesetzesentwurf für ein Grabenwahlsystem in Deutschland vor. Da dieses den damaligen Koalitionspartner FDP im Bundestag viele Sitze gekostet hätte, stellte sie sich gegen das Gesetz und es wurde abgelehnt. Langfristig entstand dadurch erstmals in Deutschland eine Koalition aus FDP und SPD, sodass das Grabenwahlrecht hierzulande auch bereits politische Gräben geschaffen hat.
Vorteile des Grabenwahlrechts
Während ein reines Mehrheitswahlrecht die Entstehung eines Zwei-Parteien-Systems fördert, erlaubt der zusätzliche Verhältniswahl-Anteil beim Grabenwahlrecht auch kleineren Parteien den Einzug ins Parlament. Während bei der Mehrheitswahl alle Stimmen, die nicht an den Gewinner des jeweiligen Wahlkreises gehen, verloren sind und keine Bedeutung mehr haben, sind bei der Verhältniswahl alle Stimmen wichtig und ausschlaggebend.
Indem beim Grabenwahlrecht in jedem Wahlkreis ein oder mehrere Direktmandate vergeben werden, werden die Bürger und Bürgerinnen des Landes sowie die Interessen der einzelnen Regionen direkt im Parlament repräsentiert. Die Garantie auf einen oder mehrere Abgeordnete im eigenen Wahlkreis erhöht die Motivation, sich mit den Wahlen zu beschäftigen und wählen zu gehen. Außerdem haben Einwohner dadurch einen direkten Ansprechpartner im Parlament für ihre Ängste, Sorgen und Anliegen.
Gleichzeitig sorgt ein Grabenwahlrecht dafür, dass ein Parlament immer die gewünschte Größe hat und zur Abbildung der Mehrheitsverhältnisse keine zusätzlichen Sitze eingeführt werden müssen – wie zum Beispiel durch die Überhangmandate beim personalisierten Verhältniswahlrecht in Deutschland. Insgesamt ist das Grabenwahlrecht also ein guter Kompromiss, um den Wählerwillen gut abzubilden, aber trotzdem keinen zu großen Parlamentsapparat dafür zu benötigen.
Nachteile des Grabenwahlrechts
In einem nach Grabenwahlsystem gewählten Parlament sind die großen Parteien in Hinblick auf ihren Anteil an Sitzen und ihren tatsächlichen Stimmanteil überrepräsentiert. Parteien mit vielen Mitgliedern können in jedem Wahlkreis einen Kandidaten oder eine Kandidatin stellen und dadurch in der Mehrheitswahl mehr Sitze erringen als kleine Parteien. Durch den fehlenden Ausgleich zwischen Mehrheits- und Verhältniswahl haben große Volksparteien daher in Grabenwahlsystemen mehr Sitze.
Das führt indirekt dazu, dass kleinere Parteien weniger Sitze haben und dadurch auch weniger bedeutend werden. Gleichzeitig erschwert das ihre Finanzierung. Langfristig ist durch ein Grabenwahlrecht daher eine Abnahme der Vielfalt in der Parteienlandschaft zu befürchten.
Japanisches Wahlrecht als Beispiel für ein Grabenwahlsystem
In Japan erfolgt sowohl die Wahl des Unter- als auch des Oberhauses per Grabenwahlsystem. Dabei werden im Unterhaus 289 der 465 Sitze über eine Mehrheitswahl in den jeweiligen Wahlkreisen gewählt. Die verbleibenden 176 Mandate werden auf Grundlage von Parteilisten bestimmt, wobei es hier wiederum elf verschiedene Wahlkreise gibt. Direktkandidaten können dabei auch auf der Parteiliste für die Verhältniswahl stehen, um ihren Einzug ins Parlament auch im Falle einer Niederlage abzusichern. Die Wahlen zum Oberhaus folgen einem ähnlichen Prinzip. Allerdings findet hier die Verhältniswahl landesweit statt.
Mit derzeit sieben Parteien im Unter- und neun verschiedenen Parteien mit Sitzen im Oberhaus hat Japan eine ähnlich vielfältige Parteienlandschaft wie Deutschland. In dieser Hinsicht scheint das Grabenwahlrecht in Japan dem deutschen personalisierten Verhältniswahlrecht also nicht unterlegen zu sein. Betrachtet man allerdings die Sitzverteilung im Unterhaus, wird klar, dass vor allem die großen Parteien vom japanischen Grabenwahlsystem profitieren: So besetzt die Regierungspartei LDP derzeit 56,4 % der Parlamentssitze, obwohl sie in der Verhältniswahl nur 34,7 % der Stimmen bekam. Dieser Zugewinn an Sitzen geht zulasten der kleineren Parteien, die in der Verhältniswahl alle mehr Stimmanteile bekamen, als sie nun tatsächlich im Parlament innehaben.