Ein Impfling ist jemand, der gerade geimpft wurde oder noch zu impfen ist. Es handelt sich um einen Begriff, der im Zusammenhang mit dem Corona-Virus häufig zu lesen ist. Häufiger als je zuvor. Geimpft wird schon lange, gegen verschiedene Krankheiten. Jedoch wurde kaum über „Impflinge“ berichtet, eventuell über zu Impfende, über Impfkandidaten oder über schon Geimpfte. Diese Tatsache hat eine tiefgründigere Bedeutung.
Was bedeutet Impfling? Bedeutung, Definition, Erklärung
Zum einen ist es sehr bequem, von „Impflingen“ zu sprechen. „Zu Impfende“ klingt etwas sperriger, weil es sich um zwei Wörter handelt. Außerdem kommt hinzu, dass es mehr Zeit kostet, zwei Wörter zu schreiben oder auszusprechen als eines. Das allein könnte schon ein Grund sein, weshalb heutzutage von „Impflingen“ die Rede ist. Schließlich leben wir in einer Zeit, in der niemand mehr Zeit zu haben scheint. Jede Sekunde, die die Lesezeit beispielsweise eines Online-Artikels verlängert, kann dazu führen, dass potenzielle Leser abgeschreckt werden.
Vermutlich steckt aber mehr hinter der mittlerweile inflationären Verwendung des Wortes „Impfling“. Denn ein zu Impfender ist etwas anderes als ein Impfling. Es scheint, als würde als Folge der Corona-Pandemie das Individuum als eigenständige, denkende Persönlichkeit aus den Augen verloren. Im Zuge der Impfungen ist zudem die Rede von Herdenimmunität und Herdenschutz. Es sind Begriffe mit seltsam unmenschlichen Konnotationen. Es ist auch die Wortwahl, weshalb beispielsweise Querdenker die Covid-19-Impfungen als ein einziges großes Menschen-Experiment betrachten.
Siehe auch: Was ist Impfneid?
Sind Impflinge wie Schafe, die auf einen Herdenschutz hoffen?
Begriffe wie Impflinge und Herdenschutz oder Herdenimmunität, die in der medizinischen, aber auch politischen und journalistischen Sprache verwendet werden, wirken alles andere als vertrauenserweckend auf die Adressaten. Schließlich werden sie nicht wie ernst zu nehmende Menschen auf Augenhöhe beschrieben, sondern eher wie dumme und naive Schafe, die alles mit sich machen lassen. Zudem sind Herdentiere in erster Linie Nutztiere, was die Sache nicht besser macht.
Das Suffix „-ling“ ist kein Diminutiv. Es ist keine Verniedlichungsform, wie es im ersten Moment vielleicht erscheinen mag. Ein Diminutiv ist eine Verkleinerungsform von Substantiven. Diminutive mit den Anhängseln -chen oder -lein sind zum Beispiel das Pferdchen oder das Pferdlein, das Häuschen oder das Häuslein. Im Übrigen sind Diminutive von Substantiven immer sächlich. Das ist auch dann der Fall, wenn die Stammform maskulin oder feminin ist. In der Verkleinerungsform ist das Geschlecht immer neutral. Beispiel: die Katze bzw. das Kätzchen, der Vogel bzw. das Vögelchen oder der Baum bzw. das Bäumchen.
Bei dem „-ling“ handelt es sich um ein Affix. Affixum ist die Partizipform des lateinischen Wortes affigere („anheften“) und bedeutet „angeheftet“. Sprachwissenschaftlich gesehen ist -ling ein unselbstständiger, angehefteter Bestandteil eines Wortes, der sich vorne, in der Mitte oder hinten befinden kann. Entweder handelt es sich dann um ein Präfix, ein Infix oder ein Suffix. Ein Affix dient zur Erweiterung eines vorhandenen Wortes oder Wortteils, eines Substantivs ebenso wie eines Adjektivs oder eines Verbs. Ein Affix kann umgekehrt nicht komplettiert werden und kann auch nicht alleine stehen. Beispiele: Impfen wird zu Impfling, lehren zu Lehrling oder prüfen zu Prüfling.
Schwächling, Feigling, Impfling
Substantive mit dem Suffix -ling gibt es viele. Allen gemeinsam ist das maskuline Geschlecht. Interessant wird es, wenn das -ling an Adjektive oder Verben angehängt wird. Zumeist werden damit Personen bezeichnet, die durch bestimmte negative Eigenschaften charakterisiert werden sollen. Hier eine kleine Liste mit Beispielen:
- Frühling
- Feigling
- Neuling
- Wüstling
- Rohling
- Primitivling
- Schwächling
- Jüngling
- Fremdling
- Höfling
- Findling
- Schößling
- Schädling
- Keimling
- Häftling
Handelt es sich um Tiere, Pflanzen, Dinge oder natürliche Erscheinungen, sind die Wörter mit dem ling-Suffix einfach nur Bezeichnungen. Der Frühling ist der Frühling und ein Frischling ist ein Frischling. Sobald es sich aber um eine Person handelt, wird sie negativ und abwertend beschrieben. Die Bezeichnungen haben eine missachtende Konnotation. Deutlich wird dies auch bei dem südbadischen Wort „Hämpfling“, das einen kleinen, schwächlichen Menschen bezeichnet.
Die durch ein Merkmal oder eine Eigenschaft charakterisierten Personen werden abgewertet. Es ist ein Unterschied, ob von einem Flüchtling gesprochen wird oder von einem Menschen, der auf der Flucht ist. Ebenso ist es ein Unterschied, ob jemand in mancher Hinsicht naiv ist oder als Naivling bezeichnet wird. Es handelt sich bei den „ling-Wörtern“ nicht um Verkleinerungen oder Verniedlichungen, sondern um Abwertungen. Unter diesem Aspekt erscheint der Begriff „Impfling“ unter einem völlig anderen Licht.
Weshalb werden Menschen, die noch zu impfen oder schon geimpft sind, abgewertet? Vermutlich aus demselben Grund, weshalb Bevölkerungsgruppen mit Herden gleichgesetzt werden. Sie werden von denen, die sie so bezeichnen, nicht auf Augenhöhe gesehen.
Was haben der Impfling und der Häuptling gemeinsam?
Ende März 2021 kam es zu einem interessanten Intermezzo bei der Landesdelegiertenkonferenz der Berliner Grünen. Die Spitzenkandidatin Bettina Jarasch musste heftige Kritik einstecken, weil sie erzählte, dass sie als Kind am liebsten Indianerhäuptling geworden wäre. Sie entschuldigte sich für diese Äußerung und rechtfertigte sie mit „unreflektierter Kindheitserinnerung“. Parteimitglieder empfanden den Begriff als diskriminierend, denn bei dem Begriff „Indianer“ handelt es sich um eine vorurteilbehaftete Fremdbezeichnung aus der Kolonialzeit. Die Diskussion um die Verwendung des Begriffs „Indianer“ läuft schon seit Jahren und noch immer gibt es Argumente dafür und dagegen.
Interessanter ist in diesem Zusammenhang aber die Tatsache, dass sich niemand an der Verwendung des Begriffs „Häuptling“ stört. Denn dieser Begriff ist ebenso fragwürdig wie „Indianer“. „Häuptling“ wurde im 17. Jahrhundert als Wort für Machthaber und Herrscher im kolonialen Raum erfunden. Die Afrikawissenschaftlerin Susann Arndt machte schon 2004 darauf aufmerksam, dass sich der Begriff aus dem Wortstamm Haupt- und dem Suffix -ling zusammensetzt und damit zu einem abwertenden Begriff wurde. „Häuptling“ und „Indianer“ sind Sammelbegriffe und Fremdbezeichnungen, mit denen die Eigenbenennungen der ehemals Kolonisierten noch heute ignoriert und sprachlich abgetan werden.
Mit den abwertenden „ling-Bezeichnungen“ können sich diejenigen, die sie verwenden, von den so Bezeichneten differenzieren und abheben. Sie können sich über sie erheben und sie von oben herab betrachten. Aus diesem Grund sollte auch der Begriff „Impfling“ überdacht und vermieden werden. Es handelt sich schließlich um zu impfende oder geimpfte Menschen. Letztendlich ist es eine Frage des Respekts. Menschen als Impflinge zu bezeichnen, wirkt selbstgefällig, anmaßend und oftmals spöttisch. In Zeiten einer Pandemie, in denen Impfungen Rettung bedeuten, sollte auf jegliche Provokationen und unüberlegte sprachliche Nachlässigkeiten dringend verzichtet werden. Die Folgen könnten zulasten aller gehen, wenn sich „Impflinge“ als Gegenreaktion weigern, sich impfen zu lassen.