Warum sagt man „Dann ist Polen offen“? Woher kommt die Redewendung? Bedeutung, Definition, Erklärung

Warum sagt man Dann ist Polen offen, Herkunft Redewendung, Bedeutung, Definition, Erklärung

„Dann ist Polen offen“ – Ein Ausdruck nationaler Stereotype und von Rassismus?

Eine Redewendung mit Bezug auf eine andere Nationalität oder andere Gruppen ist immer eine problematische Angelegenheit. Oftmals werden in derartigen Wendungen rassistische, nationale oder soziale Vorurteile in Sprache gefasst.

Das deutsch-polnische Verhältnis war über die Jahrhunderte erheblich durch die nationale Konkurrenz belastet. Die deutsche Öffentlichkeit zeigte sich spätestens seit der Reichsgründung im Jahr 1871 stark durch eine anti-polnische Stimmung geprägt. Das wilhelminische Reich erhob offen Gebietsansprüche in Richtung Oder, Neiße und Schlesien. Der erste Weltkrieg endete im Jahr 1918 mit dem Versailler Vertrag, der eine Aufgabe von großen Teilen des Reiches im Osten und Westen bedeutete. Polen entstand als Staat neu.

Rassismus und rechte Ideologien

Den Höhepunkt der Polenfeindschaft bildete die Besetzung Polens im Zweiten Weltkrieg und der Krieg der Nationalsozialisten gegen die von ihnen postulierte slawische Rasse. Dies bedeutet, dass wir uns mit der Redewendung in einem linguistischen Minenfeld bewegen. In dieser Tradition beinhaltet „Dann ist Polen offen“ immer auch einen Ausdruck von Geringschätzung. Dabei weist die sprachliche Wendung eine eigene Geschichte auf, die deutlich länger in die Vergangenheit zurückreicht.

Herkunft der Redewendung „Dann ist Polen offen“

Das Sprichwort „Dann ist Polen offen“ wird erstmals in einem Wörterbuch erwähnt, das im Jahr 1855 in Schlesien erschienen ist. Die erste schriftliche Fixierung weist aber bereits auf viel ältere Wurzeln zurück, die bis ins ausgehende Mittelalter reichen. Im 15. Jahrhundert ist das polnische Königreich unter Kazimir IV. auf dem Höhepunkt seiner Macht und dominiert das östliche Mitteleuropa.

Danach beginnt ein jahrhundertelanger Niedergang einer europäischen Großmacht bis zum völligen Verlust nationaler Souveränität. Im Jahr 1795 teilen sich die neuen Mächte Preußen, Rußland und Österreich den verbliebenen polnischen Rumpfstaat in der dritten polnischen Teilung auf und Polen verschwindet für 123 Jahre, bis zur totalen Niederlage des Deutschen Kaiserreiches und Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg, von der politischen Landkarte Europas.

Der Niedergang wurde allerdings nicht nur durch eine äußere Bedrohung eingeleitet, sondern ging auch auf innerpolnische Konflikte zurück. Der polnische Niedergang steht in der Interpretation des 19. Jahrhunderts auch als Symbol einer inneren Uneinigkeit.

Ausdruck totaler Machtlosigkeit und Handlungsunfähigkeit

Der ausgedehnte historische Kontext der Entstehung der Redewendung ist notwendig, um den ursprünglichen Sinn zu verstehen. „Dann ist Polen offen“ bezeichnet in dieser Ebene eine Situation, die sich jeder Kontrolle entzieht. Der Betroffene besitzt keinerlei Einfluss auf den weiteren Verlauf des Geschehens. Alles ist potentiell möglich, nichts ausgeschlossen. Das Schlimmste steht zu erwarten. Die Redewendung steht für eine Wende zum Schlechten, zum Chaos.

Der Ausdruck kann in einer zweifachen Weise verwendet werden. Zum einen als Ausruf der Verzweiflung in einer Situation, in der keine Verteidigungsmöglichkeit mehr besteht. Zum anderen als offene Drohung.

Neuinterpretationen im 20. Jahrhundert

Neben dieser historischen Dimension, wurde die Redewendung in der Alltagsprache populär als abwertende Kennzeichnung eines postulierten polnischen Nationalcharakters. In einer sprachwissenschaftlichen Studie aus dem Jahr 1938 taucht erstmals eine Bedeutungsausweitung auf, bei der das Sprichwort als Ausdruck einer Mentalität interpretiert wird. Fünf Jahr nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland wird jetzt die angebliche Emotionalität der Polen in den Mittelpunkt gerückt. „Dann ist Polen offen“ steht nun für eine totale Überreaktion auf einen geringfügigen Anlass. Es bezeichnet ein „in die Luft gehen“ ohne erkennbaren Grund.

Verwendung der Redewendung: „Dann ist Polen offen“

Eine Analyse der Verbreitung der Redewendung zeigt eine deutliche Schwerpunktsetzung innerhalb der ehemaligen DDR und den heutigen Neuen Bundesländern. Dort gehören Verweise auf das kritische deutsch-polnische Verhältnis zum Alltagssprachgebrauch. Die Verbreitung diskriminierender sprachlicher Wendungen zeigt sich zum Beispiel auch in Begriffen wie der „polnischen Wirtschaft“ oder den verbreiteten Polen-Witze.

Sensibilität im Gebrauch von Sprache

„Dann ist Polen offen“ zeigt, dass eine Redewendung ihre eigene Geschichte entwickelt. Aus einer Bedeutung, die aus der politischen Situation des polnischen Staates seit dem 15. Jahrhundert entstand, wurde durch Neuinterpretationen eine Redewendung, die sich offen nationaler Stereotype bedient. Diese Umdeutung entstand in einem ideologischen Zusammenhang, der eine aktuelle Verwendung zumindest kritisch erscheinen lässt.

Autor: Pierre von BedeutungOnline

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