Kiew, Kyiv oder Kyjiw? Name der ukrainischen Hauptstadt

Kiew, Kyiv oder Kyjiw, Name der ukrainischen Hauptstadt


Das ukrainische Alphabet ist eine Variante des kyrillischen. Kyrillisch ist eine Buchstabenschrift, die vor allem in ost- und südslawischen Sprachen in Europa und in Asien verwendet wird. Dazu zählen in Europa etwa Belarussisch, Bulgarisch, Serbisch, Russisch oder Ukrainisch, in Asien Kasachisch, Tschetschenisch, Uigurisch oder Mongolisch.

Damit die ukrainischen Städtenamen auch von Menschen ausgesprochen werden können, die aus anderen, beispielsweise westeuropäischen Sprachgebieten stammen, braucht es eine Umschrift. Dazu werden die kyrillischen in lateinische Buchstaben umgeschrieben. Aus der ukrainisch-kyrillischen Schreibweise ergibt sich also eine spezifische Umschrift. Insofern gibt es aus ukrainischer Sicht nur eine einzige internationale Schreibweise für ihre Hauptstadt, sie lautet Kyiv.

Kyiv Not Kiev

Bis zur Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 wurde international für die Hauptstadt der Ukraine die englische Schreibweise Kiev verwendet. Sie beruhte ebenso wie die noch heute in Deutschland verwendete Schreibweise Kiew auf dem russischen kyrillischen Alphabet. Es handelt sich bei der englischen sowie deutschen Schreibweise um die Transkription des Hauptstadtnamens aus der russischen in die lateinische Schrift. Erst seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 findet sich auch in der deutschen Medienlandschaft die aus dem Ukrainischen transkribierte Schreibweise Kyiw (englisch: Kyiv).

2018 gab es eine Online-Kampagne des Außenministeriums der Ukraine: KyivNotKiev. Mit ihr sollte die Umbenennung des Hauptstadtnamens vorangetrieben werden. „Kyiv“ (deutsch: „Kyiw“) beruht auf der ukrainischen Schreibweise und wird deswegen forciert. „Kiev“ (deutsch: Kiew) hingegen beruht auf der russischen kyrillischen Schrift und wird von der Ukraine nicht mehr akzeptiert. Die internationalen, englischsprachigen Medien verwenden seither den ukrainischen Namen Kyiv.

„Kiew“ ist die russische Schreibweise

Nach dem Zerfall der Sowjetunion im Jahr 1991 wurde die Ukraine unabhängig und ihre Souveränität wurde international anerkannt. Von großer Bedeutung war in diesem Zusammenhang nicht nur die klare Grenzziehung im geografischen Sinn, sondern auch in der Sprache. Aus Sicht der Ukrainer symbolisiert Kiew bzw. Kiev eine pro-russische Haltung.

Die Stadt wurde im fünften Jahrhundert gegründet und heißt in der ukrainischen Sprache Kyjiw. Sie war die Hauptstadt des altslawischen Staats „Kiewer Rus“, aus dem später das russische Reich hervorging. Aus diesem Grund wird Kyiw in den russischen Geschichtsbüchern als die „Mutter aller russischen Städte“ angesehen – und die Ukraine von Russland nicht als souveräner Staat anerkannt.

Die Ukraine wurde jahrhundertelang russifiziert und Russisch war die dominierende Sprache. Ukrainisch als Sprache überlebte nur in der Westukraine, wurde aber mit der Unabhängigkeit zur Staatssprache erklärt. Ukrainisch und Russisch unterscheiden sich in etwa so wie Niederländisch und Deutsch. Viele Ukrainer sprechen russisch und müssen ukrainisch erst noch lernen. Seit der Unabhängigkeit 1991 durchläuft die Ukraine einen „Ukrainisierungsprozess“, der noch lange nicht abgeschlossen ist.

Namen der Hauptstadt der Ukraine

Kyjiw (Transkription aus dem Ukrainischen im deutschsprachigen Raum)
Kyiw (Transliteration aus dem Ukrainischen im deutschsprachigen Raum)
Kyjiv (Transkription aus dem Ukrainischen im englischsprachigen Raum)
Kyiv (Transliteration aus dem Ukrainischen im englischsprachigen Raum)
Kiew (Transkription aus dem Russischen im deutschsprachigen Raum)
Kiev (Transkription aus dem Russischen im englischsprachigen Raum)

Wie und weshalb entstand das kyrillische Alphabet?

Um das Jahr 863 herum entwarf der byzantinische Mönch Kyrill von Saloniki das sogenannte glagolitische Alphabet, basierend auf den griechischen, kaukasischen und semitischen Schriftsystemen. Die neue Schrift wurden später nach Kyrill benannt. Ihre „Erfindung“ war notwendig, um die slawische Sprache abbilden zu können. Hintergrund dieser Maßnahme war der Wunsch nach einer eigenständigen, unabhängigen Schrift, die die Eigenständigkeit der slawischen Völker widerspiegelte.

Schrift und Sprache haben identitätsstiftende und limitische, also abgrenzende Funktionen. Es ging bei der Entwicklung des neuen Alphabets um kulturelle Eigenständigkeit, um Selbstidentifikation und um das Recht auf Selbstbestimmung. All dies trifft auch heute noch zu, wenn es um Schrift, Sprache und Bezeichnungen geht, weshalb die Umschrift des Namens der Hauptstadt für das ukrainische Volk von außerordentlicher Bedeutung ist.

Transliteration oder Transkription

Prinzipiell gibt es zwei verschiedene Arten, fremde Schriftzeichen in eine lateinische Umschrift zu bringen, entweder über die Transliteration oder über die Transkription. Beide Formen des Umschreibens bzw. Übertragens einer fremden Sprache in die einheimische, haben Vor- und Nachteile.

Transliteration

Eine Transliteration bildet die ursprüngliche Schreibweise buchstabengetreu ab. Jeder ukrainisch-kyrillische Buchstabe wird als lateinischer Buchstabe eins zu eins wiedergegeben. Bei der Transliteration geht es darum, den zu übersetzenden Text so präzise wie möglich wiederzugeben. Würde die lateinische Umschrift eines solchen Textes umgekehrt wieder zurück ins Kyrillische umgeschrieben werden, könnte der Originaltext sehr exakt rekonstruiert werden.

Der Nachteil einer Transliteration liegt darin, dass das umgeschriebene Wort vermutlich nicht richtig ausgesprochen werden kann. Bestimmte Konsonantenfolgen müssen durch Vokale ergänzt werden, damit sie für Nicht-Muttersprachler aussprechbar werden. Ein Deutscher verwendet dann aber vermutlich andere Vokale als beispielsweise ein Italiener oder Franzose. Die Aussprache ist dann jeweils unterschiedlich und entspricht eher nicht der Aussprache eines Ukrainers.

Transkription

Anders verhält es sich bei einer Transkription. Hierbei geht es um die Aussprache. Der ursprüngliche, ukrainische Text wird so transkribiert und mit lateinischen Buchstaben abgebildet, dass er beim Aussprechen etwa so klingt wie in der Originalsprache. Akustisch wahrgenommenes Ukrainisch wird mittels des lateinischen Schriftsystems so „aufgezeichnet“, dass es in der jeweiligen Landessprache aussprechbar wird.

Das hat zur Folge, dass ein Wort, das aus dem ukrainischen kyrillischen Alphabet ins Deutsche transkribiert wurde, anders geschrieben wird, wie wenn es beispielsweise ins Französische oder Italienische übertragen wurde. Sprechen Deutsche, Franzosen und Italiener aber das Wort in ihrer jeweiligen Muttersprache aus, klingt es bei allen in etwa so, wie es ein Ukrainer aussprechen würde. Die Folge ist allerdings, dass ein transkribierter Text, der zurück in die Ursprungssprache umgeschrieben werden würde, nicht mehr lesbar wäre. Die lateinischen Buchstaben würden keine sinnvollen kyrillischen Wörter ergeben.

Die internationale Normierung der Umschrift

Die Transliteration wird in wissenschaftlichen Zusammenhängen bevorzugt. Hier geht es um Exaktheit und eventuelle Rekonstruierbarkeit. Der Leserschaft bzw. den Experten oder interessierten Laien wird zugetraut, fremdartige Bezeichnungen verwenden, verstehen und einordnen zu können. Die Transliteration der kyrillischen durch lateinische Zeichen wurde 1962 genormt (die internationale Norm ist ISO R9 und die davon abgeleitete deutsche Norm ist DIN1460). Sie ordnet einem kyrillischen einen oder zwei lateinische Buchstaben zu.

Transkribiert hingegen wird vor allem in den Medien. Die Texte sollen lesbar sein. Hier geht es darum, die Leserschaft bzw. die Allgemeinheit nicht zu überfordern und ihr fremde Namen und Bezeichnungen so nahe zu bringen, dass sie sie aussprechen und verstehen können.

Die ukrainische Normierung der Umschrift

Das offizielle Transliterationssystem der Ukraine ist das „National 1996“. Es wird von der Ukraine selbst verwendet, wenn es um internationale Außenbeziehungen geht, beispielsweise bei den Vereinten Nationen. Der Standard National 1996 zur Umschrift betrifft vor allem die geografischen Namen, die noch lange nach dem Zerfall der Sowjetunion und trotz der daraus folgenden Souveränität der Ukraine international nur mit ihren russischen Ortsnamen verwendet wurden.

Autor: Pierre von BedeutungOnline

Hallo, ich bin Autor und Macher von BedeutungOnline. Bei BedeutungOnline dreht sich alles um Worte und Sprache. Denn wie wir sprechen und worüber wir sprechen, formt wie wir die Welt sehen und was uns wichtig ist. Das darzustellen, begeistert mich und deswegen schreibe ich für dich Beiträge über ausgewählte Worte, die in der deutschen Sprache gesprochen werden. Seit 2004 arbeite ich als Journalist. Ich habe Psychologie und Philosophie mit Schwerpunkt Sprache und Bedeutung studiert. Ich arbeite fast täglich an BedeutungOnline und erstelle laufend für dich neue Beiträge. Mehr über BedeutungOnline.de und mich erfährst du hier.

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