Bauernopfer ist doppeldeutiger Begriff. Er bezeichnet erstens eine Taktik im Schachspiel, und zweitens das Opfern entbehrlicher Personen oder Personengruppen aus Gründen der Politik oder der eigenen Sicherheit. Dabei erwuchs die zweite Deutung direkt aus der des Schachbegriffs.
Was ist ein Bauernopfer? Wortherkunft, Bedeutung, Definition, Erklärung
Das Schachspiel blickt zurück auf eine tausend Jahre lange Evolution, in der die Regeln des Spiels nicht immer gleich waren. Zwar existieren die heute bekannten Figuren König, Dame, Turm, Läufer, Springer und Bauer schon lange, aber war die Bewegungsfreiheit der meisten in vergangenen Jahrhunderten noch deutlich eingeschränkt. So konnten Läufer zwar ebenfalls diagonal und Türme auf geraden Linien ziehen, sowie die Dame beides, aber nur jeweils um ein Feld pro Zug. Später erst hat man diesen Figuren die maximale Reichweite über das gesamte Schachbrett hinweg erlaubt, was sie viel mächtiger gemacht hat. Nur die Bauern können nach wie vor nur ein Feld nach vorne ziehen. (Außer von der Startposition aus, wo auch zwei Felder nach vorne erlaubt ist.)
Der Bauer ist die zahlreichste Figur auf dem Schachbrett, beide Seiten haben zum Start jeweils acht davon. Das und die Tatsache ihrer eingeschränkten Reichweite machen die Bauern zu den entbehrlichsten Spielfiguren auf dem Brett. Zu Anfang einer Schachpartie ist es nicht unüblich, wenn ein Bauer im Zentrum den Bauern des anderen Spielers schlägt, nur um dann bei dessen Gegenzug selbst von einer weiteren gegnerischen Figur geschlagen zu werden, wobei das aber der Spieler, der zuerst geschlagen hat, mit hoher Wahrscheinlichkeit vorausgeahnt hat. So was nennt man Bauerntausch, und oft macht es das Zentrum freier für stärkere Figuren.
Das Bauernopfer hingegen ist ein Risiko, das ein Spieler eingeht, der sich einen anderen Vorteil erhofft als das bloße Abtauschen von gleichwertigen Figuren erhofft. In der Regel ist dieser Vorteil taktischer Natur. Man opfert seinen Bauern, und lockt dadurch vielleicht eine mächtigere Figur des Gegners in die Falle. Oder sie macht so den Weg frei für eine andere Figur. Oder man rettet selbst eine Figur, die wichtiger ist. Auf jeden Fall sollte man sich vor einem Bauernopfer gut überlegen, was man dafür bekommt.
Frühe Großmeister des Schachsports wie Alexander Aljechin zeichneten sich dadurch aus, dass sie ihren Fokus ausschließlich auf das Mattsetzen des gegnerischen Königs richteten und dafür ihre eigenen Figuren kalkuliert opferten, um dieses Ziel zu erreichen. So konnte es passieren, dass seine Gegner am Ende zwar mehr Figuren auf dem Brett hatten, weil sie in ihrer Gier einen Bauern nach den anderen geschlagen haben, dann aber doch aufgeben mussten, weil ihr eigener König, oftmals verkeilt zwischen manchen der eigenen Figuren, in die Enge getrieben wurde. Am Ende zählt doch nur der König. Durch solche Partien wurde die moderne Ära des Schachs eingeleitet, in der es nicht mehr darum geht, die Gegnerseite so gut es geht zu dezimieren, sondern durch intensives Taktieren und gewagtes Stellungsspiel das Matt zu erzwingen.
Bauernopfer in der Umgangssprache
Dass der Begriff Bauernopfer, wie er im Alltag verwendet wird, aus dem Schach kommt, ist offensichtlich. In beiden Fällen versucht sich ein Akteur zu retten oder einen Vorteil zu erreichen, indem er etwas, auf das er verzichten kann, opfert. Im Spiel ist das die kleine, meist hölzerne Figur des Bauern. Im Alltag ist das eine Person von geringerer Wichtigkeit.
Alltägliche Bauernopfer finden sich oft dort, wo Machtstrukturen mit deutlichen Hierarchien angesiedelt sind. Beispiele hierfür sind Regierungen, Parteien, Konzerne, Verbände, Sportclubs und andere Organisationen.
Bekannte Beispiele für Bauernopfer sind Trainerwechsel im Fußball. Spielt eine Mannschaft deutlich schlechter, als man es von ihr gewohnt ist, findet man den Schuldigen meistens auf der Trainerbank. Häufen sich die sportlichen Schwierigkeiten der Mannschaft, wird irgendwann dem Trainer gekündigt, weil es einfacher ist, mit ihm nur eine Person auszutauschen, anstatt die komplette A-Mannschaft neu zu besetzen, die aus rund zwanzig meist hochbezahlten Spielern besteht.
Häufig sichtbare Bauernopfer gibt es auch in der Politik. Scheitern Regierungsprojekte, ist Außenstehenden oft der Grund dafür nicht klar. Aber häufiger verliert ein Minister seine Stelle, als dass ein Präsident oder Kanzler seinen Platz räumen muss. Denn als Vorstand der Regierung hat der Präsident die Macht dazu, andere in seinen Augen untragbare Mitarbeiter zu entlassen, während umgekehrt die Entfernung eines Präsidenten innerhalb einer Legislaturperiode in vielen Ländern nur mittels eines langwierigen Amtsenthebungsverfahrens möglich ist.
Eine Frage der Machtverhältnisse
Abschließend kann über alltägliche Bauernopfer festgestellt werden, dass sie die Strukturen der Macht in der modernen Gesellschaft widerspiegeln. Denn über die meisten sogenannten Bauernopfer gibt es keine Berichte in den Medien. Einfache Arbeiter und Angestellte arbeiten in direktem Kontakt mit dem Gegenstand ihrer Arbeit (so arbeiten z.B. Bauarbeiter am Gerüst direkt mit ihren eigenen Händen), während ihre Vorgesetzten denselben Arbeitsgegenstand zumeist geistig angehen (Bauingenieure besichtigen und überwachen vor allem an den Baustellen), bis zu den Vorständen, deren Verbundenheit mit dem Arbeitsgegenstand nur noch auf abstrakter Ebene passiert (der Vorstand der Baufirma mag die Baustelle noch nicht mal persönlich besuchen).
Fehler können auf jeder Ebene der Hierarchie passieren. Aber je direkter und konkreter jemand mit dem Inhalt der Arbeit zu tun hat, desto leichter fällt es, diesem jemand auch die Schadensursache nachzuweisen. Hinzu kommt, dass Manager und Vorstände über mehr Rechtsmittel zur eigenen Absicherung verfügen. Am Ende ist es für einen Konzern weniger schädlich, einem Arbeitnehmer zu kündigen, als einem Vorstandsmitglied. Bauern sind ersetzbar.