Was ist der Unterschied zwischen einem Krieg und „bewaffneten Konflikt“? Völkerrecht, Bedeutung, Definition, Erklärung

Was ist der Unterschied zwischen einem Krieg und bewaffneten Konflikt, Völkerrecht, Bedeutung, Definition, Erklärung


Der Unterschied zwischen einem Krieg und einem bewaffneten Konflikt besteht darin, dass ein Krieg eine förmliche Kriegserklärung voraussetzt, die nach dem modernen Völkerrecht nicht mehr erlaubt ist. Schon seit Ende der 1920er-Jahre ist Krieg im Völkerrecht als Mittel der Auseinandersetzung geächtet, auch wenn zumindest bis zum Zweiten Weltkrieg sich auch Großmächte noch gegenseitig den Krieg erklärten. Spätestens nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges verzichtet man im völkerrechtlichen Sprachgebrauch auf den formalen Begriff des Krieges und ersetzt diesen durch den Begriff des bewaffneten Konflikts.

Bedeutung der Feststellung eines bewaffneten Konflikts

Auch wenn der bewaffnete Konflikt heute vom Krieg nach förmlicher Kriegserklärung unterschieden wird, ist seine Feststellung in völkerrechtlicher Hinsicht immer noch relevant. Das humanitäre Völkerrecht wird nach wie vor auf bewaffnete Konflikte angewendet. Bestimmte Regeln legte schon die Haager Landkriegsordnung von 1907 fest, so etwa den Schutz von Verletzten der gegnerischen Kriegspartei und den Schutz der Zivilbevölkerung. Das ist ein Grund dafür, dass Russland seit der Invasion der Ukraine darauf besteht, von einer Militäroperation zu sprechen. Dennoch handelt es sich eindeutig um einen bewaffneten Konflikt, den der Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag immer dann annimmt, wenn Konfliktparteien in ausgedehnter andauernder Weise gegeneinander Waffengewalt anwenden. Ob es sich um ein bloßes Scharmützel mit Waffen an einer Grenze, um einen terroristischen Akt oder um einen echten bewaffneten Konflikt handelt, bemisst der IGH an bestimmten Fakten. Zu diesen gehören:

  • Zahl der einzelnen bewaffneten Konfrontationen
  • deren Dauer und Intensität
  • Art der eingesetzten Waffen
  • Zahl der beteiligten Soldaten bzw. sonstigen Kämpfer
  • Zahl der Opfer
  • Ausmaß der Zerstörung
  • Zahl der fliehenden Zivilisten

Diese Zahlen werden bei der Beschreibung von bewaffneten Konflikten daher auch immer wieder genannt. Wenn also Konfliktparteien die gegenseitigen Angriffe, getöteten Gegner, Gefangenen und Geflohenen in Zahlen benennen, hat dies auch einen völkerrechtlichen Hintergrund.

Krieg und bewaffneter Konflikt im Sprachgebrauch nach 1945

Das Wort „Krieg“ wurde nach 1945 als völkerrechtlich relevante Klassifizierung für bewaffnete Konflikte kaum noch verwendet. Dahinter steht seit jener Zeit die Völkerrechtsauffassung, dass es für den Krieg a) eine förmliche Kriegserklärung geben muss und b) die kriegführenden Parteien unter Umständen kriegsrechtliche Regeln nach eigenem Belieben auslegen könnten, was dem humanitären Völkerrecht widerspricht. Dieses verbietet grundsätzlich den Angriffskrieg.

Relativ eindeutige Formulierungen im Völkerrecht bezüglich dieses Verbots finden sich schon im Versailler Friedensvertrag von 1919, der den Ersten Weltkrieg beendete, und im Pariser Briand-Kellogg-Pakt von 1928, der den Krieg erstmals völkerrechtlich bindend ächtete. Nach 1945 zog man diesen Pakt für die Verurteilung Deutschlands und Japans als verbrecherische kriegführende Nationen heran. Bis zum Ersten Weltkrieg hatte in der Rechtslehre wenigstens teilweise die Auffassung bestanden, dass Staaten durchaus das Recht zur Kriegsführung haben (nach römischem Recht „ius ad bellum“).

Nach dem Ersten Weltkrieg verwarfen führende Staaten der Welt dieses Recht, das schon spätestens seit 19. Jahrhundert stark umstritten gewesen war. Positivrechtlich verboten wurde es aber erst im 20. Jahrhundert. In Deutschland steht der Angriffskrieg nach Artikel 26 des Grundgesetzes unter Strafe. Nochmals formulierte die Genfer Konvention von 1949 das Verbot des Angriffskrieges aus. Seitdem spricht man fast ausschließlich von einem bewaffneten Konflikt. Wichtig ist in diesem Kontext festzustellen, dass alle völkerrechtlichen Versuche, den Angriffskrieg zu ächten, diesen letztendlich nicht vereiteln konnten. Das jüngste Beispiel zeigt die Invasion Russlands in der Ukraine seit dem 24. Februar 2022.

Kriegserklärungen im Zweiten Weltkrieg

Wie schwach das Völkerrecht in Bezug auf erklärte Kriege sein kann, zeigen die Kriegserklärungen im Zweiten Weltkrieg. Wie im vorigen Abschnitt erwähnt erklärte der Briand-Kellogg-Pakt von 1928 jeden Angriffskrieg als völkerrechtswidrig. Unterzeichnet hatten diesen Pakt anfangs die USA, Kanada, Australien, das Deutsche Reich, die Tschechoslowakei, Großbritannien, Irland, Indien, Italien, die Südafrikanische Union, Neuseeland, Polen, Frankreich, Belgien und Japan. Bis 1939 ratifizierten ihn dann insgesamt 63 Staaten der Welt einschließlich der Sowjetunion. Das hinderte diese Staaten nicht daran, sich im Zweiten Weltkrieg gegenseitig den Krieg zu erklären. Hier einige Beispiele dieser Kriegserklärungen:

  • Großbritannien, Frankreich, Australien, Indien, Neuseeland, Südafrika, Kanada gegen Deutschland 1939
  • Deutschland gegen USA 1941
  • Sowjetunion gegen Japan 1941
  • Tuwinische Volksrepublik (ehemaliger Staat in Sibirien) gegen Deutschland 1941
  • China gegen Deutschland schon 1937 (nach dem japanischen Angriff auf China)
  • Luxemburg gegen Deutschland 1942
  • Italien gegen Deutschland 1943
  • Ungarn gegen Deutschland 1944
  • Bulgarien gegen Deutschland 1944
  • Rumänien gegen Deutschland 1944
  • Finnland gegen Deutschland 1945 (rückwirkend ab September 1944)

Weitere Staaten, die Kriegserklärungen ab den frühen 1940er-Jahren versandten, waren unter anderem die Philippinen, Costa Rica, Guatemala, Kuba, Panama, die Tschechoslowakei sowie die meisten anderen süd- und mittelamerikanischen Staaten. Auch afrikanische Staaten traten formell in den Krieg ein. Etliche dieser Staaten waren nie an Kriegshandlungen beteiligt. Umgekehrt fanden die weitaus größten Kämpfe ohne jede Kriegserklärung statt, so der Überfall Deutschlands auf Polen und die Sowjetunion. Deutschland, Italien (unter Mussolini) und Japan hatten kaum irgendeinem Staat den Krieg erklärt, waren aber als faschistische Drei-Achsen-Mächte die eigentlichen Kriegstreiber.

Welche Rolle spielt das Völkerrecht für Kriege oder bewaffnete Konflikte?

Die Sicht mag pessimistisch erscheinen, ist aber wahrscheinlich realistisch und vielfach belegt: Was völkerrechtlich bindend ist, spielt für einen Aggressor kaum eine Rolle. Auch die Bezeichnung eines bewaffneten Konflikts als solchen oder als Krieg oder als Militäroperation oder -intervention ist unerheblich.

Selbst das Mantra der NATO, ein rein defensives Bündnis zu sein, taugt nicht viel: In den Kosovo-Krieg griff die NATO 1999 ein, ohne dass der Bündnisfall nach Artikel 5 eingetreten wäre, der ihr militärisches Eingreifen nur vorsieht, wenn eines ihrer Mitglieder angegriffen wird. Die NATO hatte 1999 nicht einmal ein UN-Mandat, ihre Kriegführung widersprach offensichtlich dem Völkerrecht. Der Grund war, dass die jugoslawische Regierung sich geweigert hatte, den Vertrag von Rambouillet zu unterzeichnen, den die NATO ausgearbeitet hatte und der den Konflikt zwischen Jugoslawien und den Kosovo-Albanern beenden sollte.

Die NATO befürchtete nach dem Massaker von Srebrenica im Juli 1995 einen weiteren Völkermord, den sie dieses Mal mit militärischer Gewalt unterbinden wollte. Sie bomardierte zwischen März und Juni 1999 überwiegend die serbischen Städte Belgrad, Pančevo, Priština, Podgorica und Novi Sad. Dabei kamen unter anderem vier chinesische Botschaftsangehörige ums Leben, der Belgrader Fernsehturm wurde zerstört, die NATO flog etliche Luftangriffe gegen zivile Ziele. Sie verhielt sich dabei eindeutig völkerrechtswidrig.

Nun mag es am 8. März 2022, dem 13. Tag der russischen Invasion in der Ukraine, höchst ketzerisch erscheinen, auf dieses Faktum zu verweisen: Doch Wladimir Putin, der international geächtete Kriegstreiber, hat durchaus gute (militärische) Gründe, das Vorrücken der NATO per Osterweiterung an die Grenzen Russlands mit großen Bedenken zu betrachten. Es ist eigentlich nur erstaunlich, dass er nicht argumentativ auf das Eingreifen der NATO im Kosovo-Krieg 1999 verweist. Vielleicht macht er das in Russland sogar, nur wir bekommen es hier im Westen nicht mit. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Nichts rechtfertigt seinen Überfall auf die Ukraine. Es ist nur für die Betrachtung des Themas wichtig, realpolitisch zu denken.

Die Welt der Diplomatie macht seit mittlerweile rund 100 Jahren den spitzfindigen semantischen Unterschied zwischen „Krieg“ und „bewaffnetem Konflikt“. Wenn es aber dazu kommt, sind Kriegserklärungen, vertragliche Verpflichtungen und alle sonstigen Lippenbekenntnisse sowie semantischen Spitzfindigkeiten völlig unerheblich.

Wie liefen früher Kriegserklärungen ab?

Die Kriegserklärung hat eine sehr lange Geschichte. Dass die Menschheit den Krieg als Mittel der Auseinandersetzung eigentlich ächtet, ist eine historisch sehr junge Auffassung (wie beschrieben): Über die meiste Zeit der Menschheitsgeschichte war man der Auffassung, dass man ruhig gegeneinander gelegentlich Krieg führen kann. Berühmte Staatsführer waren eher Eroberer und Kriegshelden als Friedensfürsten.

Jedoch beschloss man im Laufe der Zeit, diese Kriegführung doch etwas zu kultivieren und sich auch förmlich den Krieg zu erklären, was mit einem Fair Play im Sport verglichen werden könnte. Man wollte dem Gegner die Gelegenheit verschaffen, sich auf den Krieg einzustellen und Vorbereitungen für den Schutz der eigenen Zivilbevölkerung zu treffen. Der Kampf der Soldaten gegeneinander galt als edel, Massaker an Zivilisten, Brandschatzungen und Plünderungen hingegen als barbarische, verachtenswerte Taten.

Ganz verhindern lassen sich diese in einem Krieg allerdings nicht, was die moderne Politik euphemistisch als „Kollateralschaden“ bezeichnet. Also sollte doch in früheren Zeiten der Gegner gleich wissen, was auf ihn zukommen wird: Daher stellte man ihm die Kriegserklärung zu. Das klassische Völkerrecht kannte diese als einseitige Willenserklärung eines Staates gegenüber einem anderen Staat. Diesem teilte man mit, dass man sich ab sofort mit ihm im Krieg befinde.

Die Zustellung erfolgte vor Beginn der Kampfhandlungen. Die Kriegserklärung konnte begründet werden (mit einer Bedrohung der eigenen Existenz und/oder Interessen) oder auch nicht. In jedem Fall betrachtete der Staat, der eine Kriegserklärung versandte, alle diplomatischen Lösungsversuche als gescheitert. Darüber hinaus konnten auch Bündnisverpflichtungen einen Staat zur Kriegserklärung gegenüber einem anderen Staat verpflichten. Die diplomatischen Beziehungen wurden mit der Kriegserklärung abrupt abgebrochen. Bis heute gilt der Rückruf von Botschaftern als ernstes Zeichen, dass ein bewaffneter Konflikt bevorstehen könnte.

Fazit

Die Bezeichnung als Krieg oder bewaffneter Konflikt ist nur ein semantischer Unterschied. Für die Kriegshandlungen selbst ist dieser unerheblich. Auch die völkerrechtliche Ächtung von Angriffskriegen und die Verurteilung eines solchen Krieges durch einen Gerichtshof wie den IGH in Den Haag hat praktisch kaum Konsequenzen. Am Ende gilt das Recht des Stärkeren.

Autor: Pierre von BedeutungOnline

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