Der englische Ausdruck „Romance Gap“ (Romantische Lücke) bezeichnet die Diskrepanz im Verhalten, das von männlichen und weiblichen Personen bei Treffen, Verabredungen und in Beziehungen emotional, kulturell und soziologisch erwartet wird. Dieses Phänomen kann potenzielle Beteiligte von Liebesbeziehungen bei ersten Dates davon abhalten, sich authentisch zu präsentieren und anstatt dessen allgemein erwartete Geschlechterrollen zu spielen.
Was ist der “Romance Gap”? Erklärung, Definition, Bedeutung
Die diesbezüglichen Ergebnisse und Erkenntnisse stammen zum größten Teil aus einer von der Dating-App Bumble in Auftrag gegebenen und zwischen Ende Januar sowie Anfang Februar 2022 unter fast 7.000 Erwachsenen über 18 Jahren aus Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden, Deutschland und Irland online durchgeführten Studie. Zwar halten rund 85 Prozent der für die Studie befragten Europäer die generelle Gleichstellung der Geschlechter in einer Partnerschaft für wichtig bis unverzichtbar. Dennoch stimmen 74 Prozent aller Befragten zu, dass in Paarbeziehungen je nach Geschlecht unterschiedliche Verhaltensweisen erwartet und tendenziell auch erfüllt werden sollten.
Offenbar haben Kämpfe um Emanzipation nur wenig an Rollenklischees geändert
Auch bei vielen anderen Aussagen sowie Antworten der Teilnehmer beiderlei Geschlechts zeigten sich zahlreiche erstaunlich konformistische, konventionelle sowie nur vermeintlich schon längst überwunden geglaubte, tatsächlich aber anhaltend als altmodisch konnotierte Klischees und Stereotypen im gegenseitigen Verhältnis der Geschlechter.
Viele der bei der Studie geäußerten Ideen und Vorstellungen wirken dabei wie aus einer anderen Zeit, sind aber trotz gegenteiliger Vermutung im Vorfeld der Befragung scheinbar doch noch deutlich mehr akzeptiert sowie gesellschaftlich weitaus stärker verankert als angenommen. Dieses Phänomen ist vor allem in Hinsicht auf das relativ junge Durchschnittsalter der Teilnehmer recht überraschend, wurde doch zunächst erwartet, dass die Generation der heute ca. 18- bis 30-jährigen viel umfassender von den einst mächtigen Bewegungen und Gedanken zu Emanzipation, Gleichberechtigung der Geschlechter sowie Feminismus geprägt wurde.
In der Tat gelten solche Ansprüche bei vielen jüngeren Europäern aber entweder als bereits größtenteils verwirklicht, weswegen ihnen kaum Bedeutung beigemessen wird, oder sie werden allenfalls als „Lippenbekenntnisse“ geäußert, die nur wenig bis gar keinen Einfluss auf die eigenen Lebensziele besitzen.
Bei Geld und Intimität gelten scheinbar noch häufig die Gesetze der Großeltern
Laut der Umfrage ist die Hälfte der Befragten etwa der Meinung, dass es stets Aufgabe des Mannes ist, die Führung zu übernehmen und den ersten Schritt zu machen, wenn er Frauen um Treffen bittet. Auch soll er den ersten Kuss und damit körperlichen bzw. intimen Kontakt alleine in Angriff nehmen, was angesichts der erbittert geführten internationalen Diskussionen rund um „Me too“ und von Frauen unerwünschte Übergriffe ebenfalls relativ erstaunlich erscheint.
Ebenso konservativ muten manchen Beobachtern die oft getätigten Aussagen der Studienteilnehmer an, denen zufolge der Mann in einer Partnerschaft mehr Geld als die Frau verdienen sowie auch alleine für die gemeinsamen Finanzen zuständig sein sollte. Im gewissermaßen hierzu atmosphärisch passenden Umkehrschluss gab fast jede zehnte Frau in der Befragung an, dass sie Angst davor hat bzw. hätte, von Familie, Freunden, Bekannten und Arbeitskollegen verurteilt zu werden, würde sie mehr Geld als ihr Mann verdienen. Für Gleichstellungsbeauftragte in Ministerien, staatlichen Institutionen und großen privaten Unternehmen klingen derartige Befürchtungen sicherlich ohne Zweifel sehr desillusionierend, um nicht zu sagen geradezu erschreckend.
Frauen haben anders als Männer eine „Haltbarkeitsdauer“ bei der Partnersuche
Frauen besonders aus Großbritannien befürchteten außerdem mehrheitlich (62 Prozent), dass sie sowohl bei der Partnersuche als auch in schon bestehenden Partnerschaften als zu eifrig, anhänglich oder verzweifelt erscheinen könnten. 42 Prozent geben an, dass von Frauen erwartet wird, dass sie sich vorrangig um eine Beziehung kümmern und sich dauerhaft binden sollten, bevor sie „zu alt“ sind.
Im Gegensatz dazu sagen nur 13 Prozent, dass die Gesellschaft dies auch von Männern erwartet. Jede dritte Frau (32 Prozent) fühlte sich bei der Partnersuche und/oder in der Beziehung schon einmal unter Druck gesetzt, Kompromisse bei ihren Wünschen einzugehen. Ebenso klaffen die Bewertungen bezüglich zu weniger bzw. großer Erfahrung im Bett auseinander:
Während fast ein Fünftel (18 Prozent) der britischen Männer befürchtet, wegen ihrer mangelnden sexuellen Erfahrung beurteilt zu werden, haben fast genauso viele Frauen (19 Prozent) im Gegenteil davor Angst, aufgrund der angeblich zu hohen Anzahl ihrer bisherigen intimen Begegnungen von der Gesellschaft missachtet zu werden. Häufig werden Verhaltensweisen, die bei Männern als romantisch gelten, bei Frauen als negativ angesehen und Letztgenannte sind auch zu einem Drittel (33 Prozent) grundsätzlich bereit, ihr Verhalten so zu ändern, damit sich ein Mann in ihrer Gegenwart mächtiger oder wohler fühlt.
Bei als zu heikel empfundenen Fragen neigen Menschen zu „bewährten“ Antworten
Ob und inwiefern die in der besagten Studie größtenteils geäußerten Standpunkte beider Geschlechter tatsächlich die inneren Überzeugungen der Teilnehmer darstellen oder auch nur der in vergleichbaren Befragungen der Vergangenheit ähnlich beobachtbaren Haltung entsprechen, sich in Bezug auf Geschlechterrollen gemäßigt und zurückhaltend anstatt experimentierfreudig und aufgeschlossen für Neues zu zeigen, kann selbstverständlich nur vermutet werden.
Fest scheint aber dennoch zu stehen, dass sowohl jüngere Männer als auch Frauen in Europa nach wie vor recht festgefügten und starr fixierten Rollenmodellen unterliegen, die nicht nur von außen an sie heran getragen werden, sondern offensichtlich auch ihr Gefühlsleben intensiv bestimmen und beeinflussen. Die für progressive sowie in Sachen Partnerschaft zwischen Mann und Frau demokratischer denkende, fühlende und handelnde Menschen kaum zufriedenstellenden Antworten der Studienteilnehmer könnten natürlich auch in Hinsicht auf einen generell konservativen „Rollback“ vieler Gesellschaften in Europa sowie eine damit eng verbundene Rückbesinnung auf vermeintlich traditionelle Werte im Sinne eines sog. „Neo-Biedermeier“ interpretiert werden.
Trotz schwerer Zeiten und fester Klischees sind beide Geschlechter optimistisch
Ähnlich wie in der eigentlichen historischen Epoche des ursprünglichen Biedermeier in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts haben womöglich weitverbreitete Enttäuschungen über gebrochene bzw. nicht gehaltene politische wie wirtschaftliche Versprechungen bei vielen jungen Menschen wieder zur Flucht ins Private und Suche nach zuverlässigeren Mustern sowie Modellen von Partnerschaft mit einher gehenden traditionellen Rollenvorstellungen von Mann und Frau geführt.
Pessimismus sollte aber laut den Auftraggebern der Umfrage nicht vorherrschendes Motiv bei Deutung und Interpretation der Ergebnisse sein: Vielmehr betonen Verantwortliche beim eindeutig stark feministisch orientierten Ableger Bumble der oftmals als sexistisch kritisierten Dating-App Tinder, dass manche Aussagen der Befragten auch viel Anlass zur Hoffnung auf mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Zukunft geben.
So sind etwa 61 Prozent der befragten britischen Männer und Frauen schon heute der Meinung, dass es für beide Beteiligten in der Partnerschaft sehr wichtig ist, selbstbewusst auszudrücken, wer man ist und was man möchte. Die Hälfte der Frauen (50 Prozent) gibt an, dass es ihnen besonders wichtig ist, das Thema generelle Gleichberechtigung bei der Partnersuche und in Beziehungen frühzeitig anzusprechen.