Der Compound-Effekt ist das Erzielen von Erfolg durch das Verbinden vieler einzelner Schritte (Compound = Verbindung). Als Formel wäre er so darzustellen:
- viele kleinere Veränderungen + Zeit + Konsistenz = signifikantes Ergebnis
Wie bedeutsam dieser Effekt ist, lässt sich mit einigen Gedankenexperimenten gut belegen.
Beispiele und Gedankenexperimente zum Compound-Effekt
Der Extremläufer Norman Bücher stellte den Compound-Effekt so dar: „Ich laufe nicht 100 Kilometer – ich laufe 100 Mal einen Kilometer.“ Es gibt ein Buch von Darren Hardy mit dem Titel „The Compound Effect“. Der Autor beschreibt darin, wie aus vielen sehr kleinen positiven Veränderungen große Erfolge entstehen. Die kleinen Tätigkeiten summieren sich. Das funktioniert natürlich auch mit Negativbeispielen. Eines davon beschreibt Darren Hardy in seinem Buch so: Wenn ein Flugzeug die Route Los Angeles – Boston nimmt und sein Kurs um 1° falsch eingestellt ist, beträgt die Abweichung auf dieser Strecke 150 Kilometer. Das Flugzeug landet dann nicht in Boston, sondern in New York. Auf unser Leben übertragen bedeutet das: Wir treffen tagtäglich viele kleine Entscheidungen, die in Summe und über Jahre unser Leben stark beeinflussen. Wir trainieren Fähigkeiten, sparen Geld, positionieren uns im Job und stärken unsere Beziehungen – oder auch nicht.
Sehr erfolgreiche Menschen sind bei ihren richtigen Entscheidungen etwas konsequenter als der Durchschnitt. Rein oberflächlich betrachtet machen sie fast dasselbe wie alle anderen. Jedoch arbeiten sie etwas länger, bezwingen ihre Süchte, vermeiden unnötige Konflikte und wenden sich nur den wichtigen Aufgaben zu, während sie Überflüssiges eliminieren oder delegieren. Das halten sie über Jahre und Jahrzehnte durch. Es erfordert von ihnen einerseits nötige Routinen, andererseits aber auch viele kleine, wichtige Entscheidungen pro Tag. Am Ende sind die Auswirkungen gigantisch.
Die Routinen sind übrigens auch sehr bedeutsam. Wer etwa beschließt, bei gutem Wetter konsequent mit dem Rad ins Büro zu fahren, spart Spritgeld und Autoverschleiß, Zeit und Ärger im Stau sowie die Gebühren fürs Fitnessstudio. Wahrscheinlich dauert der Weg nicht einmal viel länger. Warum der Compound-Effekt ein Schlüssel zum dauerhaften Erfolg ist, zeigen die folgenden Gedankenexperimente:
Gedankenexperiment 1
Jemand hat die Wahl: Sie/er kann drei Millionen Euro sofort erhalten oder eine sich 31 Tage lang täglich verdoppelnde Summe, die mit einem einzigen Cent beginnt. Die meisten Menschen entscheiden sich bei diesem Szenario für die drei Millionen Euro sofort. Wer will schon 31 Tage warten, wo sich doch das Ergebnis nicht in einer Sekunde berechnen lässt (wohl aber in 30 Sekunden)? Schade, denn mit dem Alternativszenario hätten sie deutlich besser abgeschnitten. Wer heute einen Cent verdoppelt, morgen zwei Cent, übermorgen vier Cent und dann acht Cent und so fort, besitzt nach 31 Tagen sagenhafte ~10,7 Millionen Euro. Rechnen Sie es gern nach.
Gedankenexperiment 2
Sie/er kann sich für eine sofortige, aber einmalige Steigerung um 50 % in einer beliebigen Fähigkeit oder für eine tägliche, andauernde Steigerung (Dauer: knapp zwei Jahre) um 0,1 % entscheiden. Die meisten Menschen wählen einmalig 50 %, doch 0,1 % pro Tag führen nach 695 Tagen zu 100 % Steigerung.
Gedankenexperiment 3
Jemand kann sich für eine monatliche Sofortrente von 5.000 Euro (ohne Eigenaktivität) oder für einen kleinen Nebenverdienst entscheiden, der mit 10 Euro pro Woche beginnt und sich wöchentlich um 10 % gegenüber der Vorwoche steigert. Die 5.000 Euro wirken verlockend, doch eine Tabelle zeigt das aufsummierte finanzielle Endergebnis vom ersten bis zum 24. Monat, wobei der Nebenverdienst mit Steigerungspotenzial deutlich besser abschneidet:
- Monat 1: 51 Euro Nebenverdienst vs. 5.000 Euro Sofortrente
- Monat 2: 126 Euro Nebenverdienst vs. 10.000 Euro Sofortrente
- Monat 3: 325 Euro Nebenverdienst vs. 15.000 Euro Sofortrente
- Monat 12: 15.541 Euro Nebenverdienst vs. 60.000 Euro Sofortrente
- Monat 16: 86.762 Euro Nebenverdienst vs. 80.000 Euro Sofortrente
- Monat 24: 2.219.271 Euro Nebenverdienst vs. 120.000 Euro Sofortrente
Warum erzielen so wenige Menschen den Compound-Effekt?
Die meisten Menschen möchten den Erfolg sofort und möglichst ohne großen Aufwand. Das Leben zeigt uns aber, dass ein geplanter Erfolg nur mit langfristigen und meistens kleinen, sich verknüpfenden Änderungen erreichbar ist. Wichtig zu wissen: Die moderne Mediengesellschaft sabotiert den Compound-Effekt. Da wir jede Information und auch jede Belohnung in Form einer Unterhaltung heute mit einem einzigen Klick erhalten, glauben wir, die großen Erfolge müssten sich ebenfalls per sekundenschnellem Klick einstellen. Das ist wörtlich zu nehmen. Alles soll in einer, nicht in 30 Sekunden geschehen (und schon gar nicht in 30 Tagen oder gar 30 Monaten oder Jahren). Das zeigt das Gedankenexperiment 1, bei dem sich das bessere Ergebnis wirklich in 30 Sekunden ausrechnen lässt. Dennoch entscheiden sich die meisten Menschen in nur einer Sekunde für die schwächere Variante. Wie lange gigantische Erfolge wirklich dauern, zeigt die alljährliche Nobelpreisverleihung: Die meisten der ausgezeichneten Wissenschaftler haben rund 30 Jahre auf den höchsten Preis der Menschheit gewartet. So lange haben sie zu ihrem essenziellen Thema geforscht.
Wie ist der Compound-Effekt zu erzielen?
Es sind hierfür zwei Seiten der Medaille zu betrachten. Die eine Seite ist das Definieren von Zielen und die Überlegung, wie sie zu erreichen sind, sowie die Umsetzung der evaluierten Maßnahmen und Schritte. Die zweite Seite ist das Aufrechterhalten des ursprünglichen Momentums, also die Beharrlichkeit und permanente Neumotivation. Für die Zielformulierung und die Umsetzung nötiger Maßnahmen sind diese Schritte hilfreich:
Schritt 1: Wir alle haben berufliche und private Ziele. Diese sollten von Zeit zu Zeit manifestiert, am besten sogar in ein Tagebuch geschrieben werden. Solche Ziele ändern sich, aber nicht sehr schnell. Je nach Persönlichkeit und Lebensumfeld kann es sich lohnen, die Ziele alljährlich zu überdenken – aber nicht viel häufiger (wenn es keine gravierenden Änderungen im Umfeld gibt). Wer den Compound-Effekt anstrebt, muss langfristig denken!
Schritt 2: Nun sollten wir uns die gewünschten Fähigkeiten und Gewohnheiten notieren, die wir benötigen, um diese Ziele zu erreichen. Es ist hierfür ein Zeitplan nötig, denn der Aufbau von Fähigkeiten dauert. Ein Beispiel: Sie/er möchte von der eigenen Firma auch im Auslandsgeschäft eingesetzt werden und benötigt hierfür ein solides Business-Englisch + eine weitere Fremdsprache. Bei intensivem Training dauert die Aneignung je nach Vorkenntnissen und Zeitressourcen ein halbes bis ein ganzes Jahr. Um das Ziel zu erreichen und zusätzliche Zeitressourcen zu generieren, muss die betreffende Person lernen, gewisse Freizeitaktivitäten zu kürzen. Sehr häufig wird dies das allabendliche Fernsehprogramm sein. Diese Gewohnheit wenigstens zeitlich etwas einzuschränken ist sehr mühevoll. Die Umstellung kann aber in rund einem Monat gelingen. Parallel dazu gilt es, eine neue Routine aufzubauen. Der abendliche Fernsehkonsum reduziert sich um eine Stunde, in der die beiden Fremdsprachen gelernt werden. Auch tagsüber müssen noch einmal ein bis zwei Lernstunden freigeschaufelt werden.
Schritt 3: Neue Routinen sind in den Alltag zu integrieren, ohne diesen allzu sehr umzukrempeln. Die meisten Menschen leben in einem familiären Umfeld und können ihrer Familie nicht befehlen, sie fortan für mehrere Stunden pro Tag nicht mehr anzusprechen. Dies würde einen Stress verursachen, der die neue positive Routine sabotiert. Diese Integration in den Alltag ist eine rein organisatorische Aufgabe. Sie ist extrem wichtig, um wirklich täglich zu kleinen, geplanten Zuwächsen zu kommen.
Das Momentum aufrechterhalten ist wie erwähnt am schwierigsten. Viele Menschen sind anfänglich höchst motiviert, doch die Mühen der Ebene lassen sie scheitern. Um bei unserer Managerin zu bleiben, die zwei Fremdsprachen lernen und dann ins Auslandsgeschäft wechseln möchte: Es ist möglich, in einer Fremdsprache etwa zehn Tage lang täglich zehn neue Vokabeln zu lernen. Danach wird es extrem schwierig, der Zuwachs flacht ab. Die meisten von uns verfügen über einen Fremdwortschatz (meistens in Englisch) von rund 300 bis 400 Wörtern. Das genügt, um im Urlaub nach dem Weg zu fragen und ein wenig zu plauschen. Wer nun in zehn Tagen 100 neue Wörter gelernt hat, stockte damit den üblichen, bei vielen Menschen lebenslänglich konstanten Fremdwortschatz gleich mal um 30 % auf.
Danach wird es mühevoll, was frustrieren kann. An dieser Stelle sinkt das Momentum vieler Menschen ab, einige geben gänzlich auf. Erfolgreiche Personen wissen das aber, planen es ein und legen sich Strategien zurecht, um damit umzugehen. Sie machen Wenn-dann-Pläne: Wenn dies geschieht, dann reagiere ich so und so darauf. Dabei behalten sie – extrem wichtig! – ihr übergeordnetes Ziel im Auge. Dieses haben sie ganz am Anfang für sich festgelegt. Die letzte Frage lautet daher: Welche Ziele sind für uns so wichtig, dass es sich lohnt, langfristig und auch unter großen Mühen an ihnen festzuhalten?
Zielformulierung: Compound-Effekt
Für den Compound-Effekt ist die Zielformulierung das A und O. Wer sich den falschen Zielen verschreibt, wird scheitern. Bestenfalls wird sie/er ein Teilziel erreichen, zum Beispiel heiraten, Abteilungsleiter*in werden, zwei Kinder in die Welt setzen und ein Haus bauen, weil das die Eltern und Schwiegereltern erwarten, doch wenn das zur ursprünglichen, tief verankerten Intention nicht passt, wird diese Person anschließend wahlweise krank, lässt sich scheiden, verliert das Haus, geht pleite oder alles auf einmal. Die ursprüngliche, tief verankerte Intention erkennen jüngere Menschen unter 40 meistens nur schwer. Sie kommt erstens als Auftrag aus der eigenen Familie (bis zurück zu den Urgroßeltern), deren Geschichte möglichst erforscht werden sollte, und zweitens aus eigenen Talenten, Fähigkeiten und Einsichten. Dabei gibt es zwei prinzipielle Wege:
- a) Der familiäre Auftrag wird positiv angenommen. Die betreffende Person strebt seine Erfüllung an.
- b) Der familiäre Auftrag ist toxisch, eigene Talente und Einsichten stehen ihm diametral entgegen. Dann gilt es, ein eigenes Ziel zu formulieren. Das ist schmerzhaft und mühevoll, aber unumgänglich.
Es ist jedem Menschen dringendst zu empfehlen, seine Familiengeschichte und den familiären Auftrag vor Erreichen des 30. Lebensjahres zu erforschen und dann echte Lebensziele zu formulieren.
Wunderbar, einfach klare Spitze
Ich danke dir von Herzen lieber Pierer
Dorothea 🌺