Was ist Ambiguitätstoleranz? Bedeutung, Definition, Erklärung

Was ist Ambiguitätstoleranz, Bedeutung, Definition, Erklärung


Ambiguitätstoleranz bedeutet, dass Menschen mehrdeutige oder widersprüchliche Aussagen, Handlungen und Informationen aushalten.

Was ist Ambiguitätstoleranz? Bedeutung, Definition, Erklärung

Ambiguitätstoleranz wird auch „Individuelle Toleranz oder „Intoleranz gegenüber Ambiguität“ genannt.

Individuelle Toleranz oder „Intoleranz gegenüber Ambiguität“ ist ein psychologisches Konstrukt zur Beschreibung der Beziehungen, die Personen zu zwei- oder mehrdeutigen Reizen und Ereignissen haben.

Menschen mit Ambiguitätstoleranz betrachten derartige Reize eher auf neutrale, offene und tolerante Weise, während Menschen mit Ambiguitätsintoleranz diese eher als Bedrohung einschätzen und empfinden. Speziell angesichts der heutzutage oft und vielfach konstatierten sowie auch beklagten Vielschichtigkeit und Unübersichtlichkeit aller möglichen Lebensbereiche wird das Konzept der Ambiguitätstoleranz bzw. Intoleranz häufig genutzt, um den stark unterschiedlichen bis konträren Umgang von Menschen etwa mit persönlichen Schicksalsschlägen, riskanten politischen Entwicklungen und Ereignissen sowie auch Naturkatastrophen besser zu verstehen.

Erste Studien zur Ambiguitätstoleranz

Als maßgebliche Pionierin und Forscherin zum Themenkomplex Toleranz und Intoleranz gegenüber Ambiguität gilt die österreichisch-amerikanische Psychologin und Analytikerin Else Frenkel-Brunswik (1908-1958), die den Begriff Ambiguitätstoleranz erstmals 1949 im Zusammenhang mit ihren Studien zu Ethnozentrismus bei Kindern in die wissenschaftliche Debatte eingeführt hat.

Mit ihren damaligen, nicht zuletzt vom Eindruck des Rassenwahns der Nazis in Deutschland inspirierten Studien wollte sie herausfinden, ob und in welchem Ausmaß Kinder mit ethnischen oder rassistischen Vorurteilen generell Ambiguität im Sinne von Mehrdeutigkeit sowie zweideutige Reize oder Situationen stärker ablehnen als ihre Altersgenossen ohne bzw. weniger Vorurteilen. Sie untersuchte dabei Kinder, die in einem Test viele oder wenige Vorurteile zeigten, und studierte dann deren Reaktionen auf eine definitiv zweideutig interpretierbare Figur in Form einer Scheibe. Als Hypothese wurde von denjenigen Kindern mit vielen Vorurteile erwartet, dass sie länger bräuchten, um auf diese Form zu reagieren und dass sie ihre Reaktion und Perspektive danach vermutlich weniger wahrscheinlich ändern würden.

Die öffentliche Rezeption und Reaktion von Elde Frenkel-Brunswiks Erkenntnissen, denen zufolge tatsächlich eine solche Verbindung zwischen der individuellen Ambiguitätstoleranz bzw. Intoleranz mit der akzeptierenden oder ablehnenden und autoritären sowie negativen Einstellung gegenüber Ethnozentrismus und fremden Kulturen existiert, erfolgt und erfolgt bis heute ähnlich „ambivalent“ wie die Mechanik der Ambiguitätstoleranz selbst. Zum einen wurde und wird der These im Zusammenhang mit den Feldern Politik und Psychologie bei Autoritarismus, Dichotomie und „Schwarz-Weiß-Denken“ Erkenntnisgewinn zugestanden. In der Forschung zur Ambiguitätstoleranz bzw. Intoleranz bei autoritären Persönlichkeiten vor allem in den 1950er- und 1960er-Jahren versuchten Wissenschaftler eine bessere und genauere Definition dessen zu erlangen, was eine autoritäre Persönlichkeit im Einzelnen und charakteristisch in der Summe ihrer speziellen Eigenschaften eigentlich ausmacht. So neigen derartige Persönlichkeiten zum Bedürfnis nach Sicherheit, zur Notwendigkeit der konträren Kategorisierung und Unfähigkeit, gute und schlechte Eigenschaften in derselben Person gleichzeitig und als gleichwertig zu akzeptieren. Darüber hinaus zeigen sich häufig Ablehnung des Andersartigen, Neuen, Innovativen, Ungewöhnlichen und Unbekannten bei Bevorzugung von Vertrautem und die Beibehaltung frühzeitiger und endgültiger Lösungen.

Ambiguitätstoleranz zeigt sich sowohl in der Eigensicht als auch der Einschätzung anderer

Ebenso werden sozial unerwünschte Eigenschaften wie aggressiv, ängstlich und autoritär, dogmatisch, engstirnig und ethnisch voreingenommen, streng bestrafend sowie starr und unkreativ als Anzeichen individueller Intoleranz gegenüber Ambiguität und Mehrdeutigkeit klassifiziert. Im Gegensatz dazu zeichnen sich Menschen mit Ambiguitätstoleranz generell durch größere Aufgeschlossenheit, Flexibilität und Neugierde sowie Ausgeglichenheit und die Fähigkeit aus, gegensätzliche, widersprüchliche und/oder auf den ersten Blick unklare Eigenschaften, Informationen sowie Situationen sowohl einfacher, besser und schneller zu ertragen sowie zu verstehen, als auch derartige Umstände weniger zu fürchten oder sogar herbei zu sehnen. Vereinfacht lässt sich Ambiguitätstoleranz also auch als belastbare und stabile Persönlichkeitseigenschaft werten, die ein gefestigtes Verhältnis zwischen eigenen und fremden Rollenerwartungen sowie Rollenentwürfen für sich gefunden hat und somit auch Rollenkonflikte in sich selbst sowie bei anderen graduell tolerieren kann. Eine solche Eigenschaft ist jedoch niemals absolut. D.h. ein Individuum mit Ambiguitätstoleranz ist sich seiner eigenen wie auch den Widersprüchen bei anderen zwar weitgehend bewusst und kann mit diesen bis zu einem gewissen, jeweils unterschiedlich gelagerten Punkt auch gut leben, ohne sich unwohl zu fühlen, toleriert deshalb aber nicht auch automatisch sämtliche Gegensätzlichkeiten in seinem persönlichen Umfeld und seiner Lebenswirklichkeit.

Ambiguitätstoleranz: Spätere Studien konzentrierten sich auf Berufe, Begabungen und Befähigungen

Genauso wenig ist individuelle Ambiguitätstoleranz bzw. Intoleranz bei Menschen total und jeweils in „Reinkultur“ vorhanden, man ist vielmehr gegenüber anderen Personen sowie in bestimmten Situationen in Abhängigkeit von der restlichen eigenen Persönlichkeitsstruktur mehr oder weniger tolerant bzw. intolerant in Bezug auf Ambiguität und Mehrdeutigkeit. In der psychologischen Forschung wird das ursprüngliche, oftmals als zu simpel kritisierte Konzept der Ambiguitätstoleranz bzw. Intoleranz heutzutage auch deutlich differenzierter als früher betrachtet. Somit liegt der aktuelle Schwerpunkt auch nicht mehr ausschließlich bei der Konzentration auf die Wesensmerkmale autoritärer Persönlichkeiten, sondern eher bei der Beurteilung bestimmter, auch beruflicher Begabungen und Befähigungen, die mit der jeweiligen Ausprägung von Ambiguitätstoleranz bzw. Intoleranz einhergehen können.

Im Bereich Persönlichkeitspsychologie hat 1980 eine in den USA viel beachtete Studie zur Ambiguitätstoleranz bei Studenten recht unterschiedlicher Fachrichtungen gezeigt, dass Kunststudenten eine höhere Ambiguitätstoleranz als Wirtschaftsstudenten aufwiesen, was als Korrelation oder sogar Kausalzusammenhang zwischen dieser und Kreativität gewertet wurde.

Toleranz oder Intoleranz gegenüber Ambiguität und Mehrdeutigkeit zeigt sich früh

Im Rahmen von Langzeitstudien im Bereich der Entwicklungspsychologie von weiblichen und männlichen Kindern und Jugendlichen stellten Forscher schon Ende der 1970er-Jahre fest, dass männliche Probanden mit Intoleranz gegenüber Ambiguität und Mehrdeutigkeit im Alter zwischen ca. 4 bis 5 Jahren auch mit 7 Jahren messbar ängstlicher und kognitiv weniger effektiv waren sowie stärker an Strukturen hingen, als weibliche Probanden, die zuvor vergleichbare Werte bei Ambiguitätstoleranz bzw. Intoleranz gezeigt hatten. Ob und inwiefern solche Erkenntnisse sich in das mittlerweile als gesichert geltende Bild von der relativ schnelleren kognitiven Entwicklung von Mädchen im Vergleich zu Jungen einfügen, bleibt aber bislang noch unklar und bedarf weiterer Untersuchungen. Im Rahmen der Sozialpsychologie wurde und wird das Konzept der Ambiguitätstoleranz bzw. Intoleranz genutzt, um generell Beziehungen zu sich selbst und anderen zu erforschen. Thematische Schwerpunkte in diesem Bereich sind vor allem die jeweilige Interaktion mit der eigenen und fremden ethnischen oder rassischen Identität, der partnerschaftlichen und ehelichen Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit sowie dem Umgang mit Schwangerschaft bei Frauen.

Hohe Ambiguitätsintoleranz kann mitunter auch Depressionen nach sich ziehen

Bei Studien zur psychischen Gesundheit hat sich wiederum gezeigt, dass eine individuell stark ausgeprägte Ambiguitätsintoleranz die Erstgenannte langfristig mitunter maßgeblich beeinträchtigen kann. Eine intensive diesbezügliche Intoleranz kann somit als Art kognitive Schwachstelle dienen, die in Verbindung mit belastenden Lebensereignissen aller Art und negativem Grübeln zu Depressionen führen kann. Menschen mit Ambiguitätsintoleranz neigen häufig dazu, die Welt als fest gefügt, konkret und unveränderlich zu betrachten und diese Sichtweise störenden Ereignisse vorschnell ablehnend und abwertend sowie für ihre eigene Situation als übertrieben negativ einzustufen. Solche lediglich vermeintlich sicheren Einschätzungen betreffs der generellen Negativität unvorhergesehener Ereignisse kann auch als Anzeichen und Vorhersage für Depressionen klassifiziert

Autor: Pierre von BedeutungOnline

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