Stehen grundlegende Entscheidungen an, stellt sich früher oder später jedem die Frage nach dem „Quo vadis?“ – „Wohin gehst du?“ Auch Nicht-Lateinern wurde das Bibelwort zur allumfassenden Metapher für das Stehen an einem Scheideweg. Egal ob Beziehungsfragen, die große Politik oder auch ganz banal, das Problem, sich für ein Gericht auf der Speisekarte entscheiden zu müssen, „Quo vadis“ passt immer und klingt gut.
Quo vadis: Übersetzung, Herkunft, Bedeutung
„Quo vadis“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet wörtlich übersetzt „wohin gehst du?“ Ein Allerweltssatz, der sicherlich in unzähligen lateinischen Schriften zu finden ist. Der Bibel ist es zu verdanken, dass aus der schlichten Frage ein Synonym für eine Lebensentscheidung wurde. Im Johannesevangelium (Joh. 13,37) sprechen Simon Petrus und Jesus am Vorabend der Kreuzigung miteinander über den schwierigen Weg, der vor ihnen liegt.
Dort heißt es: „dicit ei Simon Petrus Domine quo vadis respondit Iesus quo ego vado non potes me modo sequi sequeris autem postea.“
Deutsch: „Spricht Simon Petrus zu ihm: Herr, wo gehst du hin? Jesus antwortete ihm: Wo ich hingehe, kannst du mir diesmal nicht folgen; aber du wirst mir nachmals folgen.“
Die Petrus Legende und Quo Vadis
Auf dieses Gespräch zwischen Jesus und Petrus bezieht sich die Schlüsselerzählung der Petrus Legende, die allerdings nicht in der Bibel zu finden ist, sondern in den apokryphen Petrus-Akten aus dem 2. Jahrhundert nach Christus. Mehr als dreißig Jahre nach der Kreuzigung Jesus Christus flieht Petrus vor Tod und Verfolgung durch Kaiser Nero aus Rom. Auf der Via Appia erscheint ihm Jesus. Erschreckt fragt Paulus abermals danach, wohin Jesus geht: „Domine, quo vadis?“ („Herr, wohin gehst Du?“) Jesus antwortet: „Venio Romam iterum crucifigi“ („Ich komme nach Rom, um erneut gekreuzigt zu werden.“). Beschämt erkennt Petrus, dass er seiner Bestimmung nicht entgehen kann, und kehrt zurück nach Rom. Dort wird er gefangen genommen und von Nero zum Tode verurteilt. Als ihn die römischen Soldaten ans Kreuz binden wollen, bittet er darum, kopfüber gekreuzigt zu werden, denn er sei nicht würdig, auf die gleiche Weise zu sterben wie sein Herr, Jesus Christus.
Genau an der Stelle, an der Jesus dem fliehenden Petrus erschien, wurde zum Gedenken an diese Begebenheit im 9. Jahrhundert die Kirche Santa Maria in Palmis erbaut. Vielen Gläubigen ist die kleine Kirche an der historischen Via Appia besser bekannt als Domine Quo Vadis.
Literatur und Kino: Quo Vadis?
Womöglich wäre die Begegnung des Heiligen Petrus mit Jesus heute nur noch einem kleinen Kreis von Theologen und bibelfesten Laien bekannt, wenn er nicht Einzug in die Weltliteratur und Kinogeschichte gehalten hätte.
1895 veröffentlichte der polnische Schriftsteller Henryk Sienkiewicz den Roman „Quo Vadis?“, der sofort zu einem Weltbestseller wurde. Sienkiewicz bindet darin die Begegnungsszene aus der Pertus Legende ein, in eine Romeo-und-Julia-Geschichte, die zur Zeit der Christenverfolgung im antiken Rom unter Kaiser Nero spielt. Das titelgebende „Quo Vadis?“ des Apostel Petrus wird im Roman endgültig zum Synonym für fundamentale Entscheidungen: Christ oder Soldat? Dekadenz oder Demut? Gut oder Böse? Leben in Sünde oder Tod für den Glauben?
Sienkiewicz erhielt 1905, auch aufgrund der Sprachgewalt von „Quo Vadis?“, den Literaturnobelpreis.
Die kleine Kirche auf der Via Appia ehrt den Schriftsteller, der die Pertrus Legende sowie das Bibelwort „Quo vadis?“ im kollektiven Bewusstsein der Menschen verankerte, mit einer Büste Sienkiewiczs im Innenraum.
Wirklich breiten Ruhm erlangte der Stoff 1951, mit Mervyn LeRoys Verfilmung des Sienkiewicz-Bestsellers. Wie schon vorher dem Buch wurde auch dem Film von manchen Kritikern eine unnötige Darstellung sadistischer Brutalität sowie fehlende Ehrfurcht vor dem Martyrium der frühen Christen vorgeworfen. Doch „Quo Vadis?“ wurde zu einem der erfolgreichsten Filme seiner Zeit. 1952 wurde er in insgesamt acht Kategorien für den Oscar nominiert. Unter anderem als bester Film, bestes Szenenbild und beste Kamera. Den Schauspieler Peter Ustinov nominierte die Akademie als besten Nebendarsteller. Einen Oscar gewann Ustinov mit seiner Interpretation eines völlig der realen Welt entrückten Kaiser Nero zwar nicht, wohl aber im selben Jahr einen Golden Globe.
Quo vadis im heutigen Sprachgebrauch
Mit dem Ruhm von Buch und Film war schließlich auch der Titel „Quo Vadis?“ in aller Munde. Niemand jedoch, der „quo vadis?“ fragt, möchte wirklich den Weg wissen. Vielmehr sinniert er darüber, wie es wohl weitergeht.
„Quo vadis“ entstammt der Bildungssprache, wird aber gern in der Alltagssprache benutzt. Allerdings weniger in gesprochener als in geschriebener Sprache, zum Beispiel in Zeitungsartikeln. Mit „Quo vadis“ lassen sich viele Themen ideal überschreiben. Kirche, Wissenschaften, Politik, Gesellschaftsleben; die Frage nach dem „was soll werden?“, „wie soll es werden?“, und „wohin soll es gehen?“ stellt sich nahezu immer und überall. Und der lateinische Ausdruck klingt nicht nur gebildet, er klingt auch wohlüberlegt, vielseitig interessiert und seriös, wird aber dennoch von jedem verstanden.