1923 endete für die Türkei eine Zeit, die neun Jahre des Krieges umfasste. Zuerst kam die Beteiligung am Ersten Weltkrieg, die 1914 begann und mit der Niederlage 1918 endete. Als Resultat wurde die Hauptstadt des Osmanischen Reiches von den führenden Siegermächten bis 1923 okkupiert. Zur gleichen Zeit führten die politischen Verhältnisse zum türkischen Befreiungskrieg. Nach der Abdankung des letzten osmanischen Herrschers rief die Volksversammlung im Anschluss die neue türkische Republik aus.
Zum Zentrum der neuen Republik wurde Ankara gewählt. Die Stadt, deren heutiger Grundriss zum größten Teil auf dem Reißbrett entstand, löste das bei vielen unbeliebte Istanbul als Hauptstadt ab. Somit verlor Istanbul, das seit fast 600 Jahren als Festung und Machtbasis diente, einen Teil seiner Bedeutung. Heute ist es jedoch die größte Stadt der Türkei, gefolgt vom Regierungssitz Ankara.
Doch die Geschichte der beiden Städte ist älter. Umso bedeutender sind die Gründe, die zu der Entscheidung der Volksversammlung am 13. April 1923 führen sollten. Siebzehntage später sollte dann die Republik endlich ausgerufen werden.
Hauptstadt der Türkei: Welche Ansatzpunkte gab es vor dem Ersten Weltkrieg?
Istanbul verfügte zwar über eine Stadt- und Bauverwaltung. Diese war jedoch nur mit geringen finanziellen und baurechtlichen Entscheidungsfeldern ausgestattet worden. Die damalige Hauptstadt unternahm zwar viele Anstrengungen, um sich den westlichen Lebensbedingungen zu nähren, blieb jedoch der alten osmanischen Welt weitestgehend verbunden.
Die Stadt am Goldenen Horn, wie Istanbul auch heute noch genannt wird, konnte aufgrund der problematischen Infrastruktur jedoch den Zustrom der Neubürger arbeits- und wohnpolitisch nur bedingt verkraften.
Dazu kam die innovative Verbindung, die Istanbul zunehmend mit Ankara verband. Ein gutes Beispiel ist die im 19. Jahrhundert in Angriff genommene Bagdad-Bahn, die mit deutscher Hilfe realisiert wurde. Sie verband mit ihrem ersten Abschnitt ab 1892 die Metropole Istanbul mit ihrer zukünftigen Nachfolgerin. Das war jedoch zu diesem Zeitpunkt noch niemanden ernsthaft klar oder bekannt.
Dazu kam der starke Einfluss der letzten osmanischen Herrscher. Deren Macht endete zwar offiziell mit dem Beginn der Republik. Leider lebte ihr veraltetes Denk- und Handlungsschema jedoch in den Köpfen weiter und verband sich so mit Istanbul. Die Republik benötigte deshalb einen neuen Regierungssitz, der sich wohltuend vom alten System abhob.
Warum ist Ankara die Hauptstadt der Türkei und nicht Istanbul? Erklärung
Der Name Ankara leitet sich von dem griechischen Wort für Anker oder Ankyra ab. Nach dem Gelehrten Stephanos von Byzanz soll es einen Zusammenhang zwischen dem Sieg der Galater über die Ptolemäer und der Stadtgründung geben. Diese fand wahrscheinlich im 3. vorchristlichen Jahrhundert statt. Alternativ kann es sich auch um das persische Wort für eine Taube handeln. Sie steht noch heute für die guten Weinanbaugebiete im Umfeld der Stadt.
In den nächsten Jahrtausenden diente Ankara mehreren Staaten jeweils als Verwaltungssitz. Dazu gehörten beispielsweise die Römer, Byzantiner und Türken. Seit 1356 war die Stadt bis 1923 ein Teil des Osmanischen Reiches. 1917 zerstörte ein großes Feuer Teile der Stadt. Deshalb konnten weite Abschnitte der Stadt nach individuellen Plänen erneut geplant und wiederaufgebaut werden.
Istanbul oder Byzantion – wie es in der Antike hieß – geht auf die griechischen Kolonisten aus Megara, Korinth und Argos zurück. Sie gründeten diese Stadt an einem der führenden handelsstrategischen Punkte. Innerhalb von wenigen Generationen entwickelte sich dieser Mittelpunkt zu einer blühenden Handelsmetropole. Sie war jedoch vielen politischen und militärischen Umwälzungen unterworfen.
Ab 330 benannte man Byzanz zu Ehren des damaligen Kaisers in Konstantinopel um. Bis 1453 wurde sie mehrfach belagert und auch erobert, konnte sich jedoch als christliche Stadt behaupten. Im gleichen Jahr wechselte Konstantinopel jedoch nach schweren Kämpfen den Besitzer und bekam einen neuen Namen. Das neue Istanbul avancierte bis 1923 zu einer der führenden Hauptstädte des Osmanischen Reiches. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg kam es zur Besetzung bis 1923 durch die Alliierten. Griechenland, das bis 1453 Eigentümer der Stadt gewesen war, forderte die Rückgabe. Dieser Forderung wurde jedoch nicht entsprochen.
Mit dem Ausrufen der Republik und der Verlagerung des Regierungssitzes nach Ankara zogen auch die letzten englischen und französischen Truppen aus der Stadt ab.
Weshalb wurde Ankara zur neuen Hauptstadt der türkischen Republik?
Am 29. Oktober 1923 rief der bekannte Politiker Mustafa Kemal PASCHA die erste türkische Republik aus, die ihren Hauptsitz in Ankara – und nicht in Istanbul haben sollte. Er selbst wurde zum ersten Staatschef gewählt.
Für die Verlegung gab es mehrere Gründe. Zum einen wollte er die neue Republik von der alten osmanischen Kultur abkoppeln. Eine neue Staatsform benötigte auch einen neuen Regierungssitz.
Zum anderen bot Ankara eine unverbrauchte Struktur. Hier konnten die Verantwortlichen frei planen. Ein großes Feuer hatte einen großen Teil der Stadt bereits 1917 beeinträchtigt. Dazu kam die Bevölkerung. Zu ihr gehörten ungefähr 20.000 Bürger. Ihre Anzahl sollte sich jedoch innerhalb der nächsten Jahrzehnte verzehnfachen. Dazu trug auch die Abwanderung aus Istanbul zugunsten von Ankara bei.
Die Wahl zugunsten von Ankara stand auch in Verbindung mit bestimmten bautechnischen Maßnahmen. Sie richteten sich an den systematischen Aufbau der neuen Stadt. Gleichzeitig sollten sich die Kapazitäten an die Bedürfnisse eines modernen Wirtschaftszentrums anpassen.
Istanbul war in dieser Hinsicht zu stark mit der alten Zeit verbunden und bot nur bedingt freie Flächen, auf denen die neuen Wohn-, Regierungs- und Geschäftszentren hätten errichtet werden können.
Nach der Ernennung Ankaras zur Hauptstadt der neuen türkischen Republik zogen Schritt für Schritt alle wesentlichen politischen Institutionen von der Stadt am Bosporus nach Anatolien um. Damit blühte auch der Weinhandel auf, der noch heute zu den zentralen Wirtschaftsfaktoren der Region gehört.
1924 bekam Ankara eine neue Stadtverwaltung. Diese unterstand einem Bürgermeister, der wiederum dem Innenministerium Rechenschaft gegenüber ablegen musste. Er ließ zahlreiche Produktionszentren aufbauen. Hierzu gehören dringend benötigen Baustoffe wie Zement und Ziegelsteine. Dazu kamen ein Elektrizitätswerk und Mühlen.
Wenige Wochen nach der Gründung der Republik wurde die Türkische Aktiengesellschaft für Erschließung und Bau ins Leben gerufen. Da sie mit deutschem Kapital gegründet worden war, beauftragte sie auch Carl Christoph Lörcher mit der Erstellung eines Stadtplans. Dieser sollte Ankara als türkische Hauptstadt in neuem Licht erstrahlen lassen. Lörcher wurde auch mit der Planung eines umfangreichen Gewerbe- und Wohnungsbauprogrammes betraut. Die Programme sollten über 200.000 Menschen berücksichtigen, mit deren Zuwanderungen in den nächsten Jahren gerechnet wurde. Um diese Pläne zu verwirklichen, verstaatlichte die Regierung das an die Stadt grenzende Sumpfgebiet. Im Zentrum standen außerdem zahlreiche Regierungsgebäude, die nach den Plänen deutscher und europäischer Architekten errichtet wurden und den Geist der neuen Zeit widerspiegelten.