Das Fahrrad eine „einspurige Laufmaschine“ nur für Männer?
Im Jahr 1817 meldete der badischen Erfinder Karl von Drais ein neues Patent an. Nachdem er 1813 schon den „Wagen ohne Pferde“ erfunden hat, war dieses Laufrad sein neuester Genie-Streich.
Die „Draisine“ sollte damals die Fortbewegung für einfache Menschen revolutionieren. Wer keine Pferde oder eine Kutsche besaß, musste laufen oder blieb zu Hause. Weite Sprünge waren nicht so einfach machbar – oder sie brauchten Zeit.
Das Urmodell des Fahrrades bestand aus einem durchgehenden Gestänge, das über zwei Rädern angebracht war. Auf dem Gestänge befand sich ein Sitz. Die Draisine funktionierte noch ohne Pedale oder Kettenantrieb. Man schubste das Laufrad mit den Füßen an.
Obwohl uns das heute umständlich erscheint, war die Draisine für damaligen Menschen ein Riesenspaß. Manche begeisterten Laufradfahrer fetzten so schnell mit ihren Draisinen durchs Gelände, dass es immer öfter zu schlimmen Unfällen kam. Über Bremsen verfügte das Modell nämlich nicht. Daraufhin wurden Draisinen regional verboten und gerieten in Vergessenheit.
Selbstverständlich war dieses Vehikel noch ausschließlich der Männerwelt vorbehalten. Anfang des 19. Jahrhunderts gehörten Frauen noch ins Haus und hinter den Herd. Körperliche Ertüchtigung galt als äußerst unanständig.
Kurz nach Drais’ vermeintlicher Pleite kaufte der englische Erfinder Dennis Johnson 1818 das Laufrad-Patent und entwickelte es weiter. Er nannte seine Erfindung „Johnson-Velocipede“. Anders als Drais hatte er auch gleich ein Modell für die Damenwelt entwickelt. Offenbar war man auf der britischen Insel da schon etwas weltoffener. Ob Damen das Fahrzeug tatsächlich benutzten und wie häufig ist leider nicht überliefert.
Da es selbst für modernste Frauen niemals infrage gekommen wäre, ein Bein über die Velocipede-Stange zu schwingen, konstruierte Johnson ein Modell „ohne Stange“. Die Johnson-Velocipede für Frauen erlaubte den sittengerechten Einstieg von der Seite. Die Stange verlief dazu entlang des Vorderrades Richtung Boden, dann parallel zum Boden und stieg zum Hinterrad wieder an.
Warum haben Herrenfahrräder eine Stange? Erklärung, Geschichte
Die Frage „Warum haben Herrenfahrräder eine Stange?“, müsste also besser zu „Warum haben Frauenfahrräder keine Stange?“ umformuliert werden.
Die Weiterentwicklung des Fahrrades
Die Erfindung des Tretkurbelfahrrads wird heute dem Orgelbauer Philipp Moritz Fischer zugeschrieben. Der meldete seinen neuesten Entwurf des Fahrrades mit Pedal-Antrieb 1853 in Schweinfurt zum Patent an. Ob er ein Frauen-Modell konstruierte ist nicht bekannt.
Bevor es zu den heute gängigen Fahrradmodellen kam, war das Hochrad eine weitere Zwischenstation. Hier gab es nur eine Variante: Der Sitz war direkt über dem überdimensionierten Vorderrad abgebracht. Das zweite, hintere Rad, war beim Hochrad vergleichsweise klein.
Für die Damen gab es das Otto Dicycle. Bei dieser Konstruktion war ein Sitz zwischen zwei großen Rädern angebracht. Bewegt wurden beide Modelle mit Tretkurbeln. Hochräder waren eine Modeerscheinung, die aufgrund der hohen Sturzgefahr bald wieder verschwanden. Auch das recht sperrige Otto Dicycle konnte sich langfristig nicht durchsetzen.
Die dann aufkommenden alltagstauglichen Fahrräder nannte man zunächst Niederrad oder sogar Sicherheitsniederrad. Ab 1885 entstanden eine ganze Reihe neue Fahrräder. Zu dieser Zeit arbeiteten mehrere Erfinder und Techniker an der Verbesserung der Idee.
Als der englische Tierarzt John Boyd Dunlop 1888 dann noch den luftgefüllten Reifen erfand, war der Siegeszug des Fahrrades nicht mehr aufzuhalten.
Fahrräder für Damen und Herren (mit und ohne Stange)
Schon bei den ersten Sicherheitsniederrädern wurden die alten Entwürfe von Dennis Johnson wieder aufgegriffen. Er hatte im Grunde schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts das perfekte Damenrad entworfen, nur fehlte der Antrieb und bequeme Reifen.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts und bis weit ins 20. Jahrhundert hinein wäre es für Damen immer noch unschicklich gewesen, sich über eine Fahrradstange zu schwingen. Die wenigsten Frauen trugen damals Hosen.
Übrigens schreibt man heute dem Voranschreiten des Reitsports, dem Fahrradfahren und dem Turnen zu, dass sich das Hosentragen bei Frauen schneller etablieren konnte. Röcke waren einfach zu unsicher. Das Verletzungsrisiko beim Reiten und Fahrradfahren wesentlich höher.
Trotz Emanzipation blieben die Fahrräder ohne Stange bis in die Neuzeit. Viele Frauen finden die Modelle einfach bequemer. Daneben werden die Fahrräder ohne Stange gerne von Senioren genutzt. Für Kinder ist die Handhabung meistens auch einfacher.
Natürlich können Frauen heutzutage auch Herrenräder nutzen. Professionelle Rennräder gibt es grundsätzlich nur mit Stange.