Toxische Nostalgie verklärt die Vergangenheit und verschweigt kritische Punkte in der Geschichte. Man bleibt in der scheinbar „guten“ alten Zeit gedanklich hängen.
Was ist “Toxische Nostalgie”? Erklärung, Bedeutung, Definition
Wenn wir an die eigene Vergangenheit denken, fallen den meisten von uns sowohl positive als auch unangenehme Begebenheiten ein. Wer toxische Nostalgie betreibt, verklärt die Vergangenheit jedoch und berichtet ausschließlich von positiven Ereignissen. Er erweckt den Eindruck, als hätte es in seinem Leben niemals Hürden und Hindernisse gegeben. Es ist zwar natürlich, unangenehme Begebenheiten zu verdrängen, doch wer seine Geschichte so verklärt, dass alles Erlebte nur auf der Habenseite zu verbuchen ist, täuscht sich selbst und sein Umfeld – wenn auch nicht mit Absicht. Zugleich nimmt er sich die Chance auf ein glückliches Leben in der Aktualität.
Manchmal reichen eine schöne Melodie oder ein bestimmtes Foto, um uns in angenehmen Erinnerungen schwelgen zu lassen. Vielen erscheint vor allem die Welt ihrer Kindheit als heil und rosig. Das ist völlig natürlich und ein Verhalten, das wohl jeder hin und wieder an den Tag legt. Erst wenn positive Ereignisse aus der Vergangenheit immer wieder bemüht werden, fragen sich Angehörige und Freunde, ob das nicht ein bisschen „zu viel des Guten“ ist. Sie vermuten, dass das nicht der Wahrheit entsprechen kann.
Nostalgie und toxische Nostalgie
Nostalgie ist per se nicht schlecht. Sie wird nur dann kritisch, wenn sie ein bestimmtes Ausmaß erreicht. Vor allem in der dunklen Jahreszeit neigen wir zu nostalgischen Gefühlen, erinnern uns an die Vergangenheit, in der alles viel schöner, sorgloser und leichter erschien. Nostalgie unterscheidet sich von Sehnsucht durch den hohen Anteil an Sentimentalität. Anders als „normale“ Erinnerungen sind nostalgische Erinnerungen intensiv, emotional und lebhaft. Man sehnt sich nach bestimmten Personen, Orten, Gegenständen und Ereignissen aus der Vergangenheit. Sehnsucht bedeutet, sich nach jemandem oder etwas Unbestimmtem zu sehnen. Auch dieser Emotion ist sehr intensiv und kehrt immer wieder, ist aber nicht grundsätzlich traurig, sondern häufig freudig (verliebt sein). Sehnsucht entsteht durch emotionale oder räumliche Entfernung und basiert auf einer Unsicherheit. Wer starke Sehnsüchte hat, erlebt sich selbst als unvollkommen.
Neigen bestimmte Menschen mehr zu Nostalgie als andere?
In psychologischen Forschungen konnte festgestellt werden, dass Nostalgie vor allem Menschen befällt, die zu Traurigkeit neigen und einsam sind. Sie nehmen die Nostalgie sehr ernst. Es scheint so, als ob Einsamkeit und Traurigkeit die Nostalgie befördern. Denn Menschen, die positiv gestimmt sind, halten sich viel seltener mit Erinnerungen auf. Ferner stellten die Forscher fest, dass das Gefühl einem bestimmten Muster folgt:
Die Befragten spielten in der Erinnerung immer die Hauptrolle, waren aber von anderen Menschen umgeben. Vielfach begann die Erinnerung mit einer negativen Begebenheit, die sich im Laufe der Beschäftigung zum Positiven wandelte. Die Veränderung geschah stets durch Interaktion mit anderen Menschen. Viel seltener schilderten die Befragten Bewältigungsszenen, in deren Verlauf eine Veränderung zum Negativen stattfand. Die Forscher gehen davon aus, dass Nostalgie eine Form von autobiografischer Erinnerung darstellt. Sie ist biografisch, positiv und findet auf Beziehungsebene statt. Sie wird in unterschiedlichen Kulturen sehr ähnlich erlebt.
Die Forscher fanden außerdem heraus, dass Nostalgie bei schweren Depressionen schädlich ist, denn sie verstärkt sie. Nostalgische Erinnerungen sind so facettenreich, dass sich Mediziner durch Nostalgie dennoch Hilfe bei leichteren Depressionen versprechen.
Toxische Nostalgie kombiniert Täuschung und Selbsttäuschung
Wenn das Verhaften in einer verklärten Vergangenheit extreme Ausmaße annimmt, spricht man von toxischer Nostalgie. Bei den Betroffenen spielt „die gute alte Zeit“ eine überproportional wichtige Rolle. Doch sie hindert die Betroffenen auch daran, ein glückliches Leben im Hier und Jetzt zu führen. Wir alle tragen die berühmte rosarote Brille, wenn wir an die Vergangenheit denken. Wenn man jedoch ausschließlich positive Erinnerung hat, ist das unrealistisch.
Ab einem gewissen Alter kann vermutlich jeder Mensch auf unangenehme, schwierige und vielleicht sogar traumatische Erlebnisse zurückblicken. Nur Positives zu erinnern, ist unglaubwürdig und zeugt von Verleugnung. Gleichzeitig werden die glorifizierten Erinnerungen zu einem Maßstab für die Zukunft, der einfach nicht erfüllbar ist. Man muss an seinen hohen Erwartungen scheitern und steigert damit sein Unglück.
Können sich Menschen von toxischer Nostalgie befreien?
Um die toxische Nostalgie hinter sich zu lassen, ist eine Änderung der Einstellung nötig. Doch die geschieht nicht von heute auf morgen. Es ist ein Prozess, der oft Monate dauert. Entscheidend ist der Wille zur Veränderung. Denn mit toxischer Nostalgie kann man sein Umfeld so stark belasten, dass sich Freunde und Familie von einem abwenden. Ist der Leidensdruck groß genug, geschieht eine Einstellungsänderung leichter. Es geht darum, die Vergangenheit als etwas Vergangenes zu betrachten. Sie darf nicht mit mehr den hohen Stellenwert im Leben haben, den sie bis dato innehatte. Wer den Augenblick, so wie er ist, akzeptieren kann, ist auf dem richtigen Weg. Seiner inneren Stimme und Geräuschen in der Umgebung zu lauschen, unterstützt den Wunsch, im Hier und Jetzt zu leben.
Im Hier und Jetzt bewusst zu leben, ist auch Übungssache. Es beginnt mit der Bewusstmachung. Je bewusster man sich seines Verhaltens ist, desto leichter ist der Wandel möglich. Sich auf das, was man gerade tut, zu konzentrieren, lässt sich genauso einüben wie ein Workout. Damit die Muskulatur sich kräftigt und stabil bleibt, sind viele Wiederholungen nötig. Es geht jedoch nicht darum, stets im Hier und Jetzt zu leben. Manchmal in die Vergangenheit abzuschweifen, einfach zu träumen, ist hilfreich, wenn man in einer stressigen Phase steckt. Außerdem regt Abschweifen in die Vergangenheit die Fantasie an und verhilft zu neuen Ideen.