Retromanie ist aus den Wörtern Retro und Manie zusammengesetzt. Gemeint ist damit der Glaube, dass früher alles besser war. Retro kommt aus dem Lateinischen und bedeutet rückwärtsgewandt, Manie ist eine psychische Beeinträchtigung, bei der Ausdruck und Erleben von Gefühlen gestört sind. Retromanie beschönigt Dinge aus der Vergangenheit, die in Wirklichkeit deutlich weniger schön gewesen sind. Das geschieht nicht bewusst, vielmehr spielt uns die Psyche aus Selbstschutz einen Streich.
Egal ob Urlaub, eine vergangene Beziehung, die Schulzeit oder die Kuchen in der Bäckerei nebenan, im Nachhinein erscheinen uns Dinge aus der Vergangenheit wesentlich besser, als sie tatsächlich waren. Wir neigen dazu, gerade unangenehme Dinge aus der Vergangenheit schönzureden. In Wirklichkeit waren sie viel anstrengender, schwieriger und hässlicher, als wir es von selbst zugeben möchten. Auf Erinnerungen an Vergangenes können wir uns daher nicht verlassen, denn sie täuschen uns.
Was ist Retromanie? Erklärung, Bedeutung, Definition
Retromanie lässt Fantasie und Wirklichkeit miteinander verschwimmen. Bereits in dem Moment, in dem wir eine Erinnerung abrufen, wird sie verändert. Das Gehirn variiert seine Vernetzungen mit jedem Augenblick und organisiert auch die Inhalte der Neuronen neu. Schon bei einem normalen Gespräch bilden sich im Gehirn unzählige neue Synapsen, wobei bestehende Inhalte, ähnlich wie bei einem Computer, überschrieben werden. In der Folge können wir die ursprüngliche Erinnerung nicht mehr abrufen.
Wir wissen nicht mehr, was damals gewesen ist, denn nur die neue, bereits veränderte Erinnerung ist in unserem Bewusstsein. Dieser Schutzmechanismus ist im Alltag unspektakulär und ruft manchmal vielleicht einen kleinen Streit hervor, bei Zeugenaussagen hat er aber deutlich mehr Gewicht. Die sind nicht ohne Grund häufig widersprüchlich.
Der Zeuge versucht keineswegs, die Polizei bewusst zu täuschen, er kann sich einfach nur nicht daran erinnern, welche Farbe die Kleidung hat, die der Täter trug oder das Auto, mit dem er wegfuhr. Um brauchbare Zeugenaussagen zu erhalten, müssen also viele verschiedene Personen befragt werden. Erst wenn die Schnittmenge entsprechend groß ist, kann die Polizei damit arbeiten.
Schutzfunktion der „rosaroten Brille“
Retromanie ist wichtig, denn würden wir die Ereignisse aus der Vergangenheit nicht beschönigen können, wäre die Realität häufig ein Grund zum Verzweifeln. Erinnerungen an überraschende, bewegende und wichtige Ereignisse sind die Basis für das Konzept, das wir von uns selbst haben. Deshalb können wir uns häufig an winzige, eher unwichtige Details aus der Vergangenheit erinnern, beispielsweise die Farbe eines Spielzeugs aus der Kindheit. Doch in der überwiegenden Zahl der Fälle verallgemeinert unser Gehirn oder sortiert Ereignisse einfach aus und überschreibt sie.
Das menschliche Leben ist quasi nur Erinnerung, denn die Gegenwart ist im nächsten Moment ja schon wieder vorbei. Wären wir nicht in der Lage zu abstrahieren, würden wir von der Masse der Erinnerungen erdrückt. Das Gehirn kann die Eindrücke gar nicht mehr verarbeiten. So wählt es ständig zwischen wichtig und unwichtig aus. Aber nicht nur das, es erinnert nur die Ereignisse, die zum eigenen Selbstbild passen. Wenn wir uns erinnern, dann meist in eine angenehme, positive Richtung.
Nur Menschen mit Depressionen halten bevorzugt am Negativen fest. Man könnte auch sagen, dass sie ein realistischeres Bild der Vergangenheit haben. Durch diese Form der Verfälschung wird die Psyche gestärkt, was für die seelische Gesundheit unbedingt erforderlich ist.
Der „wahren“ Erinnerung auf die Sprünge helfen
Wer sich an authentische Erinnerungen herantasten möchte, sollte mit dem Tagebuchschreiben beginnen. Denn beim späteren Lesen werden viele Dinge offenbart, an die man sich ohne das Tagebuch nicht erinnern kann. Die Einträge zeigen, wie es damals wirklich gewesen ist. Auch Fotos können hier unterstützen, sind aber nicht so verräterisch wie Tagebucheinträge, da wir fast immer nur attraktive Fotos aufbewahren.