Was ist kulturelle Aneignung? Bedeutung, Definition, Erklärung

Was ist kulturelle Aneignung, Bedeutung, Definition, Erklärung


Das größte Problem des Phänomens besteht vor allem in ungleich verteilter Macht

Was ist kulturelle Aneignung? Bedeutung, Definition, Erklärung

Der Ausdruck kulturelle Aneignung bezeichnet die unbewusst, uneingestandene oder auch beabsichtigt unangemessene Übernahme eines Elements oder diverser Elemente einer Kultur durch Angehörige anderer Kulturen. Diese Praxis ist vor allem dann umstritten, wenn sich Mitglieder dominanter Kulturen Elemente von Minderheitskulturen aneignen. In der Regel bezeichnet der Begriff allerdings meist nur die Übernahme kultureller Elemente aus Afrika, Arabien und Afrika sowie Südamerika durch die westliche bzw. weiße Welt.

Kritiker unterscheiden die dergestalt bemängelte kulturelle Aneignung von Anpassung, Assimilation oder Kulturaustausch auf Augenhöhe dadurch, dass sie kulturelle Aneignung als Kolonialismus einschätzen. Werden kulturelle Elemente von Minderheitenkulturen von dominanten Kulturen kopiert und außerhalb ihres ursprünglichen Kontextes manchmal sogar gegen den ausdrücklichen Willen der Mitglieder der Ursprungskultur verwendet, wird diese Vorgehensweise oft als negativ angesehen.

Kulturelle Aneignung wird dabei von diversen sowie unterschiedlich intensiv betroffenen Gruppen und Einzelpersonen als schädlich erachtet: Hierzu zählen indigene Völker, die für den Erhalt ihrer Kultur kämpfen, Aktivisten und Angehörige auch der dominanten und übernehmenden Kultur, die sich für kollektive geistige Eigentumsrechte der ursprünglichen Minderheitenkulturen einsetzen und Völker, die unter kolonialer Fremdherrschaft lebten oder noch heute leben. Kulturelle Aneignung umfasst meist die Ausbeutung kultureller und religiöser Traditionen in Form von Mode, Musik, Sprache, Symbolik und Tanz.

Kulturelle Aneignung wird entweder als Diebstahl kritisiert oder Fusion interpretiert

Kulturelle Aneignung wird als Ausbeutung betrachtet, weil kulturelle Elemente im Verlauf einer Übernahme verloren gehen, verfälscht oder verzerrt werden, wenn sie nicht mehr in ihrem genuinen kulturellen Kontext eingebettet sind. Die oftmals als beliebig kritisierten Darstellungen fremder Kulturelemente werden auf diese Weise ihrer tiefen Bedeutung für die ursprüngliche Kultur beraubt sowie von Angehörigen der dominanten Kultur respektlos behandelt, entweiht und zum rein exotischen Spielzeug reduziert.

Darüber hinaus wird diesbezüglich häufig argumentiert und kritisiert, dass Nachahmer und Übernehmer aus dominanten Kulturen, die nur vorübergehend einen exotischen Anderen spielen, nicht den alltäglichen Diskriminierungen ausgesetzt sind, welche die Angehörigen der Ursprungskultur in der Regel ausgesetzt sind. Zusätzlich werden die Letztgenannten durch die nur rein oberflächliche „Fetischisierung“ ihrer Kulturen von deren eigentlichen Inhalten entfremdet.

Die Kritik an der kulturellen Aneignung wurde und wird jedoch auch häufig selber kritisiert: Das Konzept wird in der Öffentlichkeit oft falsch angewandt und missverstanden sowie auf eher unbedenkliche Aktivitäten wie den Konsum ausländischer Küche oder das Interesse an fremden Kulturen und Sprachen zu allgemein erweitert.

Andere behaupten wiederum, dass kulturelle Aneignung, so wie sie üblicherweise definiert wird, keine sozialen Schäden verursacht oder dass der Begriff nicht kohärent genug ist. Außerdem kann der Begriff willkürlich gesetzte Grenzen für intellektuelle Freiheit und die Selbstdarstellung von Künstlern setzen, Gruppentrennungen verstärken oder ein Gefühl der Feindseligkeit oder des Grolls anstatt der Befreiung fördern.

Die konkrete Einordnung kultureller Aneignung ist von vielen Faktoren abhängig

Kulturelle Aneignung beinhaltet die Verwendung von Artefakten und Aspekten sowie Ideen, Symbolen einer anderen Kultur. Als in seiner konkreten Anwendung umstrittenes Konzept wird über die Angemessenheit der kulturellen Aneignung viel und oft debattiert. Gegner kultureller Aneignung sehen es als unrechtmäßig an, wenn als „Ideengeber“ missbrauchte Minderheitenkulturen dominanten Kulturen sozial, politisch, wirtschaftlich und militärisch untergeordnet oder durch eine gemeinsame Geschichte ethnischer und/oder rassischer Konflikte miteinander verbunden sind.

Auch wenn Außenseiter der dominanten Kultur Symbole oder andere kulturelle Elemente einer unterdrückten Kultur verwenden, werden diese Elemente letztlich trivialisiert und als Modeartikel verwendet sowie nicht ausreichend respektiert. Um kulturelle Aneignung in all ihren Facetten und Schattierungen zu analysieren, bedarf es nach weitverbreiteter Ansicht eine gründliche und detaillierte Betrachtung der zentral beteiligten Themen Kolonialismus und historischer Kontext sowie einer genauen Unterscheidung zwischen gegenseitigem Austausch und kultureller Aneignung.

So findet gegenseitiger Austausch dieser Sichtweise zufolge auf einem gleichen Spielfeld statt, während bei der einseitigen kulturellen Aneignung sich nur die dominante Kultur an den Elementen der von ihr historisch unterdrückten Minderheitenkultur bedient, ohne diese aber angemessen zu berücksichtigen und zu nutzen, richtig zu verstehen und hinsichtlich der grundlegenden Bedeutung zu respektieren.

Verfechtern einer strengen Ablehnung jeglicher kultureller Aneignung wird allerdings auch nicht ganz zu Unrecht vorgeworfen, dass sie trotz eigentlich lobenswerter, positiver sowie progressiver Ansätze im Grunde genommen konservative Zielsetzungen verfolgen, indem sie Kulturen voneinander abschotten und die Kommunikation zwischen diesen verhindern möchten.

Gemäß dieser Ansicht lässt sich kulturelle Aneignung nämlich auch als für beide Seiten vorteilhaft betrachten, da sie für gegenseitiges Einfühlungsvermögen, Bereicherung durch Weiterentwicklung sowie Produktvielfalt sorgt.

Praktisch wird kulturelle Aneignung auch häufig als gegenseitiger Gewinn geschätzt

Fusionen zwischen Kulturen haben in der Vergangenheit schon oftmals zu neuartigen, interessanten sowie recht eigenständigen und schnell allgemein akzeptierten Mischformen geführt. Als kulinarische Beispiele hierfür können u. a. die Tex-Mex-Küche im Südwesten der USA, die vietnamesische Variante („Bánh mì“) des von den einstigen Kolonialherren eingeführten französischen Baguettes sowie die kubanische Küche als Kombination aus afrikanischer, karibischer und spanischer Küche genannt werden.

Kulturelle Aneignung ist auch ein relativ neues Thema der akademischen Forschung. Der Begriff tauchte erst in den 1980er-Jahren verstärkt in Diskussionen über Postkolonialismus und westlichen Expansionismus auf. Das Konzept existiert als Gedankengebäude jedoch schon ab etwa Mitte der 1970er-Jahre.

In der US-amerikanische Kultur- und Rassentheorie wird für kulturelle Aneignung auch der Begriff „strategischer Anti-Essentialismus“ verwendet, um die kalkulierte Verwendung kultureller Elemente anderer Kulturen zu bezeichnen, mit der man sich oder seine Gruppe definiert. Dieses Vorgehen gibt es sowohl in dominanten als auch unterdrückten Kulturen.

Wenn die Mehrheitskultur aber versucht, sich durch die Aneignung anderer kultureller Elemente strategisch zu definieren, sollte sie möglichst darauf achten, die spezifische historische Bedeutung der übernommenen kulturellen Formen anzuerkennen, um die bestehenden ungleichen Machtverhältnisse zwischen Mehrheit und Minderheit nicht noch stärker zu zementieren.

In letzter Zeit scheint sich das Bewusstsein für kulturelle Aneignung zu schärfen

Bekannte Beispiele der jüngeren Zeit für als unangemessen kritisierte kulturelle Aneignung aus den Bereichen Kunst, Literatur, Mode, Musik, Sport, Sprache, Religion und Dekoration sind etwa Sportmannschaften, die Stammesnamen der amerikanischen Ureinwohner als Maskottchen nutzen bzw. nutzen. (ehemals „Washington Redskins“).

Teils erbittert und kontrovers diskutiert wurde/wird auch das Tragen religiöser Symbole wie Kreuz, Davidstern oder Medizinrad, ohne dass die betreffenden Menschen an die dahinter stehende Religion glauben. Gleiches gilt für die lediglich dekorative Zurschaustellung von Gegenständen mit einst großer kultureller Bedeutung und hohem sozialen Status, die man sich in Ursprungskulturen erst mühsam und mutig verdienen musste (indianischer Kopf- bzw. Federschmuck als Kriegshaube).

Viele amerikanische Ureinwohner kritisieren außerdem die ihrer Meinung nach kulturelle Aneignung der traditionellen Schwitzhütten-Zeremonien durch Nicht-Ureinwohner und durch Stämme, die diese Zeremonien früher nicht durchgeführt haben. Sie konstatieren, dass es ernsthafte Sicherheitsrisiken gibt, wenn solche Veranstaltungen von Personen geleitet werden, die nicht über die lange Ausbildung verfügen, die erforderlich ist, um diese sicher zu machen. In der Tat kam es bei derartigen Veranstaltungen in der Vergangenheit bereits mehrfach zu schweren Verletzungen und öffentlichkeitswirksamen Todesfällen.

Ähnlich argumentieren viele Kritiker bei ihrer Ablehnung der kulturellen Aneignung auch in Hinsicht auf Übernahme polynesischer Stammestätowierungen durch „weiße Westler“ und die Verwendung chinesischer Schriftzeichen oder keltischer Kunstformen ohne Rücksicht auf deren ursprüngliche kulturelle Bedeutung exklusiv als Schmuck. Demzufolge birgt die Behandlung als Kitsch die Gefahr, Menschen zu verletzen, die ihre kulturellen Traditionen authentisch und originalgetreu bewahren wollen.

Fälle kultureller Aneignung sind global schon seit Jahrhunderten vielerorts üblich

In den 2000er-Jahren wurde in Australien über eine „Authentizitätsmarke“ für echte Kunst von den Ureinwohnern „Aborigines“ diskutiert, weil ein nicht-indigener Maler seine Werke als diejenigen eines bekannten Aborigine-Künstlers ausgegeben und verkauft hatte. Auch in Kanada kam es zu vergleichbaren Vorfällen, bei denen eine bildende Künstlerin für die Übernahme indigener Stile und Techniken anhaltend öffentlich kritisiert wurde.

In Asien und Europa bewegt die kulturelle Aneignung ebenfalls schon länger die Gemüter: Historisch betrachtet haben sich einige der von der Forschung am heftigsten diskutierten Fälle dort ereignet, wo der kulturelle Austausch am intensivsten war, wie etwa entlang der Handelsrouten im Südwesten Asiens und Südosten Europas. Einige Wissenschaftler, die sich mit der Architekturgeschichte des alten Ägyptens und Osmanischen Reichs befassen, argumentieren, dass deren typischen Baustile über lange Zeit unzutreffend als arabisch oder persisch bezeichnet wurden.

Einem breiten internationalen Publikum bekannter und bewusster ist die problematische Verwendung des uralten und universellen religiösen Sonnen- und Fruchtbarkeitssymbols „Swastika“ als politisches Zeichen des Hakenkreuzes durch die Nationalsozialisten im sog. „Dritten Reich“ in Deutschland zwischen 1933 und 1945. Auch das keltische Kreuz wurde von Rassisten verfälschend als Symbol angeblicher weißer Überlegenheit übernommen, was jedoch nicht zum Trugschluss führen darf, das dessen Verwendung etwa auf irischen Friedhöfen einen ebenfalls rassistischen Hintergrund hätte.

Bis heute besonders allgegenwärtig zeigt sich kulturelle Aneignung im Bereich der Mode: Bereits im 17. Jahrhundert wurden der Vorläufer des heutigen dreiteiligen Anzugs von englischen und französischen Aristokraten aus der traditionellen Kleidung verschiedener osteuropäischer und orientalischer Länder sowie die Krawatte („cravat“) vom klassischen Schal damaliger kroatischer Söldner übernommen. Auch die damals in England populären bunten Seidenwesten waren von türkischer, indischer und persischer Kleidung inspiriert, die reiche Reisende erworben hatten. Aus heutiger Sicht „unverdächtige“ Kleidung mit schottischem Tartanmuster, japanisch inspirierte Kimono-Kleider sowie der mexikanische „Sombrero“ könnten bei strenger Auslegung ebenfalls als kulturelle Aneignung klassifiziert werden.

Die Diskussion um Diskriminierung durch kulturelle Aneignung ist im vollen Gange

Ungeachtet vieler weiterer Beispiele auch aus den Bereichen der Geschlechter, Ethnien und „Rassen“ sowie Kunst und Kultur, die heutzutage unter dem noch immer nicht exakt und präzise definierten Begriff kulturelle Aneignung diskutiert werden, erscheinen die diesbezüglichen Auseinandersetzungen jedoch oft auch als ideologisch-politisch motivierte „Spiegelgefechte“, bei denen sich die jeweiligen „Kontrahenten“ aggressiv, unversöhnlich und feindlich gegenüberstehen.

Autor: Pierre von BedeutungOnline

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