Im engeren Sinn bedeutet Freeganismus, frei (kostenlos) möglichst vegane Lebensmittel zu beziehen. Die Vertreter bzw. Praktiker dieser Position sind die Freeganer. Die Begriffe leiten sich aus dem Kofferwort „freegan“ ab, dass sich aus „frei“ und „vegan“ zusammensetzt. Inzwischen wird der Begriff des Freeganismus auch in einem übergreifenderen Kontext verstanden.
Was ist Freeganismus? Was sind Freeganer? Bedeutung, Definition, Erklärung
Die Vertreter des Freeganismus sind zunächst einmal Gegner der Wegwerfgesellschaft und beziehen Lebensmittel unter anderem aus Containern, die Reste von Supermärkten mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum sammeln. Die Praxis ist nicht unbedingt bedenklich, denn auch die Tafel bietet solche Lebensmittel an. Aus dieser Praxis ergibt sich die Begrifflichkeit des „Containerns“ (siehe weiter unten). Freeganismus wird nicht nur aus Not praktiziert, sondern entspringt häufig einer antikapitalistischen Lebenshaltung. Dieser ordnen sich auch viele auf das Tierwohl bedachte Veganer zu. Daher gingen diese beiden Philosophien im Freeganismus eine Kollaboration ein. Jedoch ernähren sich praktisch nicht aller Freeganer vegan.
Abkehr von der Konsumgesellschaft
Eine Grundhaltung des Freeganismus besteht darin, die unserem kapitalistischen Lebensmodell übergeordnete Konsummentalität abzulehnen. Wir konsumieren und produzieren, um Konsumgüter herzustellen und das Geld für den Konsum zu verdienen. Dies betrachten Freeganer als insgesamt sinnlos. Ihr Protest besteht darin, den eigenen Lebensunterhalt unabhängig von diesem Kreislauf zu bestreiten. Daher gehen viele von ihnen auch keiner bezahlten Beschäftigung nach. Um sich zu ernähren und auch Gebrauchsgegenstände zu akquirieren, nutzen die Freeganer das „Containern“, welches die Medien gern aufgreifen. Nahrung wird aber nicht nur aus Containern bezogen, sondern beispielsweise auch aus den Überresten öffentlicher Küchen bzw. Mensen in Universitäten, wobei es sich um einwandfreies, soeben zubereitetes Essen handelt. Einige Universitäten wie die in Freiburg verboten dies, andere wie die in Lüneburg tolerieren es.
Freiwilligkeit der Freeganer
Es gibt Menschen, die sich aus Not von abgelaufenen Lebensmitteln ernähren und ansonsten von Spenden leben. Freeganer hingegen könnten arbeiten oder arbeiten sogar, wählen aber das Modell des Freeganismus freiwillig. Dahinter steht die beschriebene antikapitalistische und oft auch anarchistische Position mit ihrer Ablehnung der Konsumgesellschaft. Soziologisch rekrutieren sich Freeganer aus dem linksradikalen akademischen Milieu. Ihre Lebensweise bezeichnen sie als „Propaganda der Tat“. Zum Freeganismus gehören Strukturen, so Volxküchen sowie Umsonst- oder Infoläden, die auch alte Möbel, Fahrräder und Elektrogeräte verschenken, die zumindest bis zur Gebrauchsfähigkeit gereinigt und repariert wurden.
Assoziierte Position: Containern
In den Medien findet das sogenannte Containern relativ starke Beachtung, also die Mitnahme von weggeworfenen Lebensmitteln und weiteren Gegenständen aus Abfallcontainern. Für die Lebensmittel sind die Abfallbehälter der Supermärkte der erste Anlaufpunkt. Zu einem großen Teil sind die Lebensmittel noch genießbar. Allerdings liegt ihre Qualität unter derjenigen von Lebensmitteln, welche der Tafel übergeben werden, sodass vor dem Verzehr ein striktes Vorsortieren erforderlich ist. Die Praxis des Containerns ist umstritten, stößt in der allgemeinen Bevölkerung auf Widerwillen und kann sogar strafbar sein. In Deutschland kämen hierfür die Straftatbestände des Hausfriedensbruchs (§ 123 Absatz 1 StGB) oder Diebstahls (§ 242 StGB) infrage, wobei die Behörden in der Regel auch nach einer Anzeige auf die Strafverfolgung wegen der Geringfügigkeit des Vergehens und der Geringwertigkeit der Sachen verzichten. Allerdings können zum Beispiel Supermärkte die Strafverfolgung gezielt beantragen (§§ 123, 248a StGB). Solche Fälle laufen manchmal über mehrere Instanzen, weil die Freeganer sich juristisch wehren, es landeten sogar schon Fälle vor dem Bundesverfassungsgericht.
Für die Freeganer sind solche Auseinandersetzungen ein wesentlicher Teil ihrer politischen Diktion: Sie beweisen nach ihrer Auffassung die sinnlosen Mechanismen des kapitalistischen Systems. Die Lebensmittel dürfen weggeworfen werden, gehören aber im Container des Supermarktes immer noch der Handelskette, die daher ihre Entnahme als Diebstahl verfolgen lassen kann. Das wirkt in der Tat absurd. Die Supermarktketten wiederum argumentieren mit Sicherheitsbedenken. Einerseits könnte sich ein Freeganer eine Lebensmittelvergiftung einhandeln, andererseits gilt das Wühlen in Containern als Vandalismus und Hausfriedensbruch. In anderen Ländern herrschen teilweise sehr abweichende Rechtsauffassungen, die sich zwischen völliger Straffreiheit des Containerns und relativ straffer Strafverfolgung bewegen.
Kritik der Freeganer an der Wegwerfgesellschaft
Die Freeganer schließen sich grundsätzlich der Kritik an der Wegwerfgesellschaft an, die auch von anderen gesellschaftlichen Gruppen kommt. Prekär ist nach dieser Auffassung nicht das Wegwerfen per se, denn manche Dinge werden in der Tat unbrauchbar.
Vielmehr geht es um die Mentalität, unliebsame Dinge aus Bequemlichkeit oder gar aus Kostengründen zu entsorgen, selbst wenn sie noch vollkommen brauchbar sind. Es gibt hierfür einige drastische Beispiele unter anderem von neuwertiger (nie verkaufter, nie getragener) saisonaler Mode, die nicht im Sommer oder Winter (wofür sie gedacht war) verkauft werden konnte und daher als Müll entsorgt wird. Ihre Herstellung und der Transport haben Ressourcen gekostet, die Entsorgung kostet weitere Ressourcen. Sie zu verschenken wäre kostengünstiger, aber mit einem gewissen logistischen Aufwand verbunden, den die Händler nicht betreiben möchten. Auch im Lebensmittelbereich werden von Supermärkten allabendlich Lebensmittel in die Abfallcontainer gegeben, deren Haltbarkeitsdatum noch nicht abgelaufen ist, die aber als überflüssig gelten, weil am nächsten Tag Nachschub kommt und die Regale bzw. Lager entlastet werden müssen.
Es wäre möglich, die Lebensmittel an die Tafel zu geben, doch auch das ist manchmal logistisch aufwendiger als das Wegwerfen. Die Verluste durch das Wegwerfen werden einkalkuliert und auf die tatsächlich verkaufte Ware als Mehrpreis aufgeschlagen. Diese Logik betrachten Freeganer als obszön, was für sie ihr Containern legitimiert. Die Wegwerfgesellschaft hat darüber hinaus nicht nur aus ihrer Sicht ihre tiefe Wurzel im schnellen Konsumismus und dem generell verschwenderischen Umgang mit sämtlichen Ressourcen:
- Rohstoffe
- Ausgangsmaterial für die Produktion (Halbzeuge)
- Energie
- Arbeitskraft
- Kapital
Eine Begleiterscheinung des schnellen Umschlags von Gütern mitsamt ihrer Überproduktion ist die höhere Belastung der Umwelt. Wenn am Ende dieser Kette auch noch das sinnlose Wegwerfen steht, ist der Gipfel der Absurdität erreicht. Diesen Standpunkt unterschreiben eigentlich alle Menschen, nur denken die wenigsten von ihnen allzu oft darüber nach – auch, weil sie sich nicht vorstellen können, wie sie daran etwas ändern sollen. Dass neuwertige oder gut brauchbare Sachen weggeworfen werden, können wir schließlich auch durch nachhaltigeren Konsum nicht verhindern.
Die Hersteller produzieren, die Händler bestellen bewusst „auf Halde“, damit zu keiner Zeit im Kreislauf ein Mangel entsteht. Der Freeganismus setzt dem das kostenlose Beziehen der weggeworfenen Sachen entgegen, jedoch ist dies ebenfalls mit Aufwand verbunden und außerdem nicht von jedermann vertretbar. Wir kaufen zwar alle gelegentlich im Second-Hand-Laden ein, doch die meisten Menschen holen sich niemals in ihrem Leben Lebensmittel aus einem Abfallcontainer. Daher bleibt Freeganismus eine gesellschaftliche Randerscheinung.