Was ist Fortschrittsoptimismus? Erklärung, Bedeutung, Definition

Was ist Fortschrittsoptimismus, Erklärung, Bedeutung, Definition


Fortschrittsoptimismus ist eine Haltung, die an eine stetige Weiterentwicklung der Gesellschaft hin zum Besseren glaubt. Sie wird allgemein mit dem westlichen Wirtschaftsmodell seit der Mitte des 20. Jahrhunderts assoziiert, doch es gab sie auch schon in der Aufklärung im 18. Jahrhundert.

Bisweilen trieb der Fortschrittsoptimismus in jüngerer Zeit bemerkenswerte Blüten. So rief der US-amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama im Jahr 1989 sogar zunächst in einem Essay und dann in einem viel zitierten Buch „Das Ende der Geschichte“ aus, weil er glaubte, mit dem Fall der Berliner Mauer und dem Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa habe sich der bedrohliche Ost-West-Konflikt in Wohlgefallen aufgelöst. Nun würden alle Staaten der Welt dem westlich-liberalen Politik- und Wirtschaftsmodell nacheifern, friedlich miteinander Handel treiben und bestenfalls noch sportlich, technisch oder künstlerisch miteinander konkurrieren, aber jedenfalls nie wieder Krieg gegeneinander führen. Dies war Fortschrittsoptimismus in Reinkultur.

Was ist Fortschrittsoptimismus? Erklärung, Bedeutung, Definition

Zwar wurde Fukuyama schon damals schnell widerlegt, denn es gab nach wie vor Armut, Kriminalität, Umweltprobleme, den Jugoslawien-Krieg und internationalen Terrorismus, doch die größte Desillusionierung der vergangenen Jahrzehnte löste zweifellos der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine aus. Der Soziologe Andreas Reckwitz bezeichnet ihn jüngst als eine Erschütterung der Grundannahmen von westlich-­liberalen Geschichtsphilosophen. Der damit verbundene Fortschrittsoptimismus sei praktisch eingedampft worden, geschichtsphilosophische Hoffnungen von westlichen Gesellschaften seien nunmehr endgültig als Wunschdenken entlarvt worden.

Die weltgesellschaftliche Entwicklung führe eben nicht zu immer mehr gesellschaftlichem Fortschritt, sondern bewege sich vielmehr nach Machtstrukturen und einer Konfliktlogik, nach welcher nur der Stärkere gewinnen könne. Dies sei eine Konstante der Weltgeschichte. Auch auf den Fortschrittsoptimismus seit der Aufklärung geht Reckwitz ein. Diese habe die Menschheitsgeschichte als eine „Entfaltung der Vernunft“ verstehen wollen. Ungeachtet der nachfolgenden Kriege – darunter der beiden verheerenden Weltkriege im 20. Jahrhundert – hätten die Sozialwissenschaften vor rund 30 Jahren aus diesem Gedanken der Aufklärung heraus die Vorstellung entwickelt, die Welt werde sich zwangläufig nach dem Modell der westlichen Staaten entwickeln. Zu dieser Welt sollte natürlich auch Russland gehören.

Die Anhänger der Modernisierungstheorie glaubten, das Land sei prädestiniert für eine sogenannte nachholende Modernisierung. Es werde sich künftig stärker dem Westen annähern. Diese Illusion, die zum Fortschrittsoptimismus gehört, sei nun mit dem Angriffskrieg Russlands gegen Ukraine endgültig zerstoben, so der Forscher.

Fortschrittsoptimismus: Rückkehr zum Realismus

Dass der Fortschrittsoptimismus kaum eine belastbare Grundlage hat, konnten westliche Gesellschaften im Grunde schon länger beobachten. Die USA und ihre Verbündeten scheiterten in den vergangenen Jahrzehnten kläglich daran, ihr Gesellschaftsmodell in die soziokulturellen Kontexte des Nahen und Mittleren Ostens zu exportieren, wie ganz drastisch die Beispiele Afghanistan und Irak zeigen.

Auch anderswo in der Welt hält man nichts vom westlichen Leben: China lässt zwar den Kapitalismus erblühen, hat aber politisch im letzten Jahrzehnt eine scharfe antiliberale Kehrtwendung vollzogen. Da das Reich der Mitte gleichzeitig wirtschaftlich und militärisch weiter aufholt, bringt es sich inzwischen als Systemalternative zum westlichen Gesellschaftsmodell in Stellung, die sogar in westlichen Staaten zumindest heimliche Bewunderer hat:

Die Kombination aus kapitalistisch brummender Wirtschaft und starkem Staat, der sich auch noch in Teilen auf die konfuzianische Tradition beruft, könnte unter Umständen handfesten Krisen besser gewachsen sein als ein allzu liberaler Westen, denken manche Kritiker der Vielparteiendemokratie. China widerlegt den Fortschrittsoptimismus westlicher Prägung unter Umständen sogar noch eindrucksvoller als Russland mit seiner Barbarei, denn der riesige chinesische Staat geht bislang unbeirrt seinen Weg, ohne sich auf fruchtlose Konflikte einzulassen. Dies müssen die Realisten unter den westlichen Politikern anerkennen. Damit ist der Fortschrittsoptimismus seit 1990 im Prinzip passé.

Was folgt auf den Fortschrittsoptimismus?

Weltpolitisch könnten die kommenden Jahrzehnte eine Entglobalisierung und eine verstärkte Orien­tie­rung an innerer wie äußerer Sicherheit einläuten. Diese dürfte von einer ideologischen Polarisierung zwischen den Gewinnern und Verlierern der Modernisierung seit dem 20. Jahrhundert begleitet werden.

Einige Staaten, denen westliche Liberalisierungsversuche nichts gebracht haben, weil ihre Bevölkerung sie ohnehin mehrheitlich ablehnt, werden sich vermutlich noch stärker als bisher auf ihre nationale Verwurzelung zurückziehen und diese der vorgeblichen Entwurzelung des Liberalismus mit seiner Dekadenz entgegenstellen. Solche Entwicklungen sind in vielen islamischen Ländern jetzt schon zu beobachten.

Möglicherweise betrachten Historiker schon in 50 oder spätestens 100 Jahren das heutige westliche Lebensmodell als ein sehr spezielles historisches Phänomen, das niemals eine Ewigkeitsgeltung hatte. Es bezog seine Stärke allein aus der Konfrontation mit dem Ostblock im Kalten Krieg. Diese Stärke zwischen 1946 und 1990 führte zu einer starken inneren Homogenität der westlichen Wertegemeinschaft, die immerhin gemeinschaftlich von einem Feind mit Nuklearwaffen bedroht wurde. Gleichzeitig schuf diese Gemeinschaft einen bemerkenswerten Wohlstand, wie es ihn in der Geschichte noch nie gab. Beides zusammen erzeugte das sichere Gefühl, man sei auf der Siegerseite der Geschichte, was wohl auch den vorherrschenden Fortschrittsoptimusmus rechtfertigte. Doch die kommende Desillusionierung ist unvermeidlich.

Fortschrittsoptimismus: Ausblick

Der hier zitierte Soziologe Andreas Reckwitz ist längst nicht der einzige Wissenschaftler, der die Verhältnisse so nüchtern wie geschildert betrachtet und daher auch vor jedem Fortschrittsoptimismus warnt. Inhaltlich schließen sich unter anderem der Politikwissenschaftler Herfried Münkler, der Historiker David Engels und der frühere Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio an. Sie verweisen beispielsweise darauf, dass der in der Aufklärung entstandene Fortschrittsoptimismus schon immer eine Einzelströmung war, welcher das Geschichtsbild von traditionellen europäischen Weltanschauungen gegenüberstand. Diese verstehen die Geschichte als zyklische Abfolge von Auf- und Abstiegen einzelner Zivilisationen. Dass die Geschichte irgendwann und irgendwie glücklich endet, wie es der Fortschrittsoptimismus annimmt, ist im Grunde überhaupt keine vorherrschende Meinung.

Das Christentum etwa glaubt an eine abschließende Katastrophe, die das Ende eines gegenwärtigen Weltzeitalters einläutet. Unter anderem schlug der Katholik und Philosoph Josef Pieper (1904 – 1997) vor, sich auf eine Endzeitkatastrophe einzustellen. Er verwies darauf, dass dieser christliche Ansatz deutlich realistischer sei als naiver Fortschrittsoptimismus der Moderne. Gründe für so eine Annahme gibt es in der Tat, allein die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts lassen eigentlich keinen Fortschrittsoptimismus zu. Wenn der 3. Weltkrieg mit Nuklearwaffen geführt wird, träte unweigerlich eine Endzeitkatastrophe ein.

Fazit: Fortschrittsoptimismus

Fortschrittsoptimismus ist nichts als guter Glaube, den sich Gesellschaften auch nur ohne wirklich große Krisen leisten können. Er hatte seine Zeit in vergleichsweise friedlichen Perioden, wie es die Aufklärung und die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts waren. In der modernen Zeit führt er aber zur gefährlichen Illusion, uns könne schon nichts weiter passieren.

Autor: Pierre von BedeutungOnline

Hallo, ich bin Autor und Macher von BedeutungOnline. Bei BedeutungOnline dreht sich alles um Worte und Sprache. Denn wie wir sprechen und worüber wir sprechen, formt wie wir die Welt sehen und was uns wichtig ist. Das darzustellen, begeistert mich und deswegen schreibe ich für dich Beiträge über ausgewählte Worte, die in der deutschen Sprache gesprochen werden. Seit 2004 arbeite ich als Journalist. Ich habe Psychologie und Philosophie mit Schwerpunkt Sprache und Bedeutung studiert. Ich arbeite fast täglich an BedeutungOnline und erstelle laufend für dich neue Beiträge. Mehr über BedeutungOnline.de und mich erfährst du hier.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert