Was bedeutet „Ende der Geschichte“? Bedeutung, Definition, Erklärung


Der Begriff Ende der Geschichte ist heute eng verknüpft mit einem Essay des US-amerikanischen Politikwissenschaftlers Francis Fukuyama. Er stellte 1989 die Theorie auf, dass es nach dem Fall der Sowjetunion zu einer natürlichen Verbreitung des Liberalismus komme – und ein Ende der internationalen ideologischen Konflikte, die sich geschichtlich lange abzeichneten, folgen würde. Francis Fukuyama stützt sich in seiner Grundidee auf Vordenker wie Georg Friedrich Wilhelm Hegel oder Alexandre Kojève. Die Theorie Fukuyamas wird im Angesicht aktueller politischer Entwicklungen allerdings nicht unkritisch gesehen.

Bedeutung und Entstehung der These vom Ende der Geschichte

In der US-amerikanischen konservativen Zeitschrift The National Interest erschien Mitte 1989 ein Essay von Francis Fukuyama. Darin stellte er die These auf, dass die Geschichte auf einen logischen Endpunkt zuläuft, dem Ende der Geschichte. Dieser Punkt, unterstrichen vom Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Fall der Mauer, würde das politische Systemdenken überwinden und in einer international weit verbreiteten liberalen Demokratie mit freier Marktwirtschaft münden.

In seinem späteren Buch The End of History and the Last Man (1992) arbeitete Fukuyama seine Ansichten weiter aus. Darin unterstreicht er argumentativ die Schwäche totalitärer, diktatorischer und repressiver Systeme. Menschen, so Fukuyama, würden sich natürlich zum Liberalismus mit seinen Grundrechten und seiner Freiheit hingezogen fühlen. Daher sei der Liberalismus und die liberale Demokratie das logische Ende der Geschichte.

Fukuyamas Thesen waren fraglos beeinflusst durch das Ende der Sowjetunion, welche sich mit der Veröffentlichung seines Artikels im Jahr 1989 akut entwickelte – und auch mit der Veröffentlichung seines Buches 1992 weiter international folgenreich war. Doch die Entwicklung der Geschichte nach den 90er-Jahren – von 9/11 bis zur russischen Invasion in die Ukraine – überschatten heute die Hauptthese seines Werkes, das in den 90er-Jahren fraglos große Reichweite erringen konnte.

Wer ist Francis Fukuyama?

Francis Fukuyama ist heute ein anerkannter Politikwissenschaftler, der insbesondere mit seiner These zum Ende der Geschichte internationale Aufmerksamkeit erlangen konnte. Als Sohn japanischer Auswanderer legte er eine beachtliche akademische Karriere in den USA vor. In den 70er- und 80er-Jahren lieferte er Gutachten zum Konflikt mit der Sowjetunion für Denkfabriken wie die RAND Corporation. Später war er als Professor in Washington und Baltimore tätig.

Ihm wurden beruflich zahlreiche Positionen als Gastdozent, Gastwissenschaftler und Ehrendoktor zuteil. Das internationale Ansehen Fukuyama ließ ihn zu einem der bekanntesten Politikwissenschaftler der USA werden. Dabei fühlte sich Fukuyama selbst lange Zeit zu neokonservativen Positionen hingezogen, versuchte sich aber später davon zu distanzieren – gerade unter dem Eindruck des Irakkriegs und der Regierungszeit von George W. Bush.

Neben der vielleicht populärsten These Fukuyamas über das Ende der Geschichte, befasste sich der Wissenschaftler auch mit Theorien über die Informationsgesellschaft und lieferte eine kritische Auseinandersetzung mit der modernen Biotechnologie in seinem Werk Das Ende des Menschen (2002). Vor dem Eindruck internationaler Entwicklungen, insbesondere der Invasion Russlands in die Ukraine im Jahr 2022, begann Francis Fukuyama Teile seiner eigenen Theorie von dem Ende der Geschichte zu überarbeiten.

More, Hegel und Kojève – Vordenker von Fukuyama

Fukuyamas Idee von einem Ende der Geschichte geht streng davon aus, dass die Menschheit einen sogenannten Idealzustand erreichen kann, in dem jeder friedlich und prosperierend miteinander kooperiert – sozusagen in einem optimalen System. Fukuyamas Thesen haben geschichtlich eine lange Reihe von Vordenkern, die Facetten dieses Gedanken bereits vor Fukuyama formulierten.

Bereits in der Renaissance träumte der britische Philosoph und Humanist Thomas More (1478-1535) in seinem Werk Utopia von einem gesellschaftlichen Idealzustand. In seiner Geschichtsphilosophie geht der deutsche Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) von einer zielgerichteten Geschichte aus. D.h. die Geschichte der Menschheit ist ein Prozess, ein dialektischer Stufengang – in seinen Worten, hin zur maximalen Freiheit des Menschen. Hegels Geschichtsphilosophie war extrem einflussreich und inspirierte Karl Marx aber auch den russisch-französischen Vordenker Alexandre Kojève (1902-1968).

Fukuyamas Theorien zum Ende der Geschichte sind sichtbar von Kojève aber auch dessen Vorbild Hegel beeinflusst. So träumt bereits Kojève von einem Ende der Geschichte, das er in einer universellen Zivilgesellschaft sieht, angeleitet vom freien Bürger, dem Citoyen. Dass Kojève wie bereits Hegel das Ende der Geschichte im napoleonischen Europa sah – gibt in der Rückschau Anlass zur kritischen Betrachtung.

Kritik und Diskussionen zu das Ende der Geschichte

Viele Kritiker sehen in Francis Fukuyamas Essay nicht nur eine übermäßig optimistische Betrachtungsweise internationaler Entwicklungen, sondern in ihr auch eine weitere ideologische Position, die den Liberalismus und Kapitalismus als universellen Idealzustand darstellt. Sein Werk enthält die sehr voraussetzungsreiche These, dass der westliche Liberalismus und die darin verwobene Marktwirtschaft das ultimative politische Ziel aller Gesellschaften – unabhängig von ihrer Kultur – ist. Viele Entwicklungen der Gegenwart lassen zumindest an der Absolutheit dieser These Zweifel aufkommen.

Eine häufig vorgebrachte Kritik an Fukuyamas Theorie zum Ende der Geschichte ist die darin enthaltene Verklärung des Kapitalismus. Diese positive Darstellung der westlichen freien Marktwirtschaft – auf Basis des Neoliberlismus – trägt so selbst ideologische Züge. Zugleich scheinen viele fundamentale Ideologien – vom islamischen Fundamentalismus im Nahen Osten bis zum modernen China und Russland – sichtbar unwillig, den Kapitalismus und den Liberalismus vollständig zu übernehmen. Auch Armut, Ausbeutung und innergesellschaftliche Konflikte konnten durch die liberale Demokratie bisher nicht überwunden werden. Das Ende der Geschichte bleibt damit vorerst eine unerreichte Idealvorstellung.

In den letzten zwei Jahrzehnten haben sich deshalb alternative politikwissenschaftliche Konzepte hervorgetan, die wesentlich nuancierter auf die von Fukuyama nur teilweise behandelten Probleme antworten. Im Jahr 2004 etablierte der Brite Colin Crouch den Begriff der Postdemokratie, nach dem Demokratie durch den Neoliberalismus, Wahlen als Spektakel und die systematische Erodierung von Sozialprogrammen selbst in Gefahr gerät und in eine Postdemokratie erodieren kann. Laut dieser These muss Demokratie immer wieder aufs neue aktiv erkämpft werden. Fukuyamas Vorstellung, dass die Demokratie, wenn sie einmal da ist, ein nachhaltiges stabiles Gebilde – einen Idealzustand – darstellt, in dem alle ihrem Glück nachkommen können, ist rückblickend als naiv einzuordnen. Der Gedanke, die liberale Demokratie und der freie Markt würden gemeinsam automatisch dafür sorgen, dass alle nachhaltig Glück und Wohlstand erreichen, wird durch Thesen wie die von Crouch sichtbar infrage gestellt. Donald Trump und die russische Invasion in die Ukraine beweisen, dass Demokratie auch heute nicht selbstverständlich ist. Vom Ende der Geschichte kann also in Betracht der gewaltigen Konflikte in der Gegenwart noch nicht geredet werden.

Wie Fukuyama auf die Kritik reagiert

Fukuyamas klassische These bleibt die Antwort auf die Frage schuldig, warum autoritäre Staaten wie Russland oder China langfristig das liberale Konzept und den Kapitalismus erstreben. Die gegenwärtigen Entwicklungen in der Welt haben auch Fukuyama zum Nachdenken gebracht. Wobei Fukuyama Teile seiner These weiter für richtig hält: So sei der Wahlsieg von Joe Biden im Jahr 2020 ein Hinweis darauf, dass das demokratische System auf Herausforderungen wie Donald Trump antworten kann.

In einem Interview mit dem Handelsblatt 2019 möchte Fukuyama seine These zum Ende der Geschichte nicht als unkritische Hymne auf die liberale Demokratie verstanden wissen. Vielmehr präsentierte Fukuyama sein Werk als Gegenmodell zu Karl Marx, der den Marxismus als Ende der Geschichte verstand. Der noch immer sichtbare moderne Konflikt liberaler Gesellschaften würde so zwischen der regional verwurzelten ländlichen Bevölkerung und der urbanen städtischen Bevölkerung liegen, durch die ein politischer Riss zieht. So würde überall auf der Welt an Orten mit einer geringen Bevölkerungsdichte eher rechts gewählt – von Donald Trump bis Victor Orban.

Fukuyama unterstreicht in aktuellen Artikeln und Interviews, dass die weiter existierende Ungleichheit in der Welt dem Ende der Geschichte, wie er es beschrieben hat, tatsächlich widerspricht. Dabei sieht er einen Grund für den Erfolg bei rechten Bewegungen, darin, dass sie das Gefühl der Ungerechtigkeit besser aufgriffen hätten als linke Bewegungen, die sich statt mit den Problemen des einfachen Mannes auf ausgewählte Minderheiten fokussieren würden. Fukuyama verlässt mit dieser Feststellung ein weiteres Mal den Boden der neutralen Theorie und zeigt Züge seines frühen Neokonservativismus. So äußert er sich auch kritisch über die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel und skeptisch gegenüber der fortschreitenden Integration von Europa.

Fukuyama schwenkt indirekt auch auf neuere Theorien ein, wie die von Colin Crouch – und erkennt an, dass Demokratie immer wieder aufs neue verteidigt werden muss. Im Kontext der russischen Invasion 2022 sieht er hingegen im erbitterten Widerstand der Ukrainer einen Hinweis, dass es einen neuen Aufschwung der Freiheit geben könnte. Fukuyama hat damit seine Theorie vom Ende der Geschichte noch nicht vollends ad acta gelegt.

Fazit – Das Ende der Geschichte und seine Kontroversen

Das Konzept vom Ende der Geschichte wurde 1989 durch den US-amerikanischen Politikwissenschaftler Francis Fukuyama verbreitet. Aufbauend auf Theorien von Hegel und Kojève, wird darin die liberale Demokratie mitsamt Marktwirtschaft als Idealzustand und Ende der Geschichte charakterisiert – ein Gegenkonzept zum Marxismus. Doch vor dem Hintergrund gegenwärtiger Entwicklungen – von Donald Trump bis zur russischen Invasion 2022 – geriet Fukuyamas Theorie an ihre Grenzen. Fukuyama selbst scheute sich im Anschluss nicht vor einer Überarbeitung der Theorie, sieht jedoch im Wahlsieg von Joe Biden und dem Widerstand der Ukraine klare Hinweise auf die Widerstandsfähigkeit der marktwirtschaftlichen Demokratie.

Autor: Pierre von BedeutungOnline

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