Ein Ketzer ist ein Mensch, welcher der offiziellen Kirchenlehre widerspricht. Aus der katholischen Kirchenlehre wurde das Wort später allgemein für Personen mit abweichenden Meinungen übernommen. So gilt heute eine den offiziellen wissenschaftlichen oder auch politischen Meinungen widersprechende Ansicht als „ketzerisch“.
Ein anderer Ausdruck für Ketzer ist Häretiker, dieser ist zusammen mit dem Begriff für die Abweichung (der Häresie) nur in Kirchenkreisen gebräuchlich. Zu Zeiten der mittelalterlichen Inquisition wurden Ketzer obligatorisch auf dem Scheiterhaufen verbrannt. So erging es etwa dem Astronomen und Philosophen Giordano Bruno (1548 – 1600), der dem geozentrischen Weltbild (die Erde steht im Mittelpunkt des Weltalls) der Kirche widersprochen hatte.
Woher stammt das Wort Ketzer? Wortherkunft, Erklärung
Ethymologisch hat das Wort Ketzer eine eigentümliche Wandlung vollzogen. Es stammt vom italienischen Wort gazzari ab, das sich wiederum vom griechischen Wort katharós (καθαρός) für „rein“ ableitete. Etwa im 12. Jahrhundert übernahm die deutsche Sprache den Begriff. Nach diesem möchte man meinen, dass Ketzer eigentlich besonders reine bzw. reingläubige Menschen sein müssten. Das waren sie ursprünglich auch, denn die Lateiner und Italiener betrachteten den Volksstamm der Katharer in Oberitalien und Südfrankreich als „Reine“, daher diese Bezeichnung. Sie hingen der radikalsten heterodoxen christlichen Strömung im Mittelalter an, lebten asketisch und lehnten daher übermäßigen Besitz strikt ab. Ihren Glauben pflegten sie zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert. Eines ihrer Zentren war die südfranzösische Stadt Albi, weshalb man sie auch Albigenser nannte. Der damaligen katholischen Kirche waren sie ein Dorn im Auge. Sie führte gegen sie von 1209 bis 1229 den Albigenserkreuzzug, den der damalige Papst Innozenz III. initiiert hatte. Während dieses Kreuzzuges kamen die meisten von ihnen um, den Rest schickte die Inquisition auf den Scheiterhaufen.
Seit 1400 gelten sie als vernichtet. Nun fragt es sich, wieso ein in großer Reinheit lebendes Volk bis zur Vernichtung von einem Papst verfolgt wurde. Das erklärt sich aus der Politik von Innozenz III. Dieser wollte die Macht der Kirche und vor allem des Papstes stärken, der auch eine weltliche Autorität werden sollte. Dieses Ziel setzte Innozenz III. um, indem er den territorialen Besitz des Kirchenstaates teilweise kriegerisch ausweitete. In Mittelitalien gelang ihm das auch, der Kirchenbesitz wuchs auf das Doppelte an. Da mussten ihm Häretiker, die den Besitz prinzipiell ablehnten, im Wege stehen. Um ihre Vernichtung zu legitimieren, unterstellte er ihnen, sie wären vom Glauben abgefallen.
Diese Geschichte schwingt latent immer noch im Wort „Ketzer“ mit. Wenn man nämlich heute jemandem unterstellt, dass er „ketzerisch“ denke, meint man das unter Umständen sogar bewundernd: Diese Person hat eine absolut vom Mainstream abweichende Meinung, die aber möglicherweise doch gehört werden sollte. Dennoch ist der Begriff des Ketzers durch die lange Kirchengeschichte negativ konnotiert. Daher erscheint die Begriffsbesetzung heute ambivalent, also mit gegensätzlichen Gefühlen behaftet.
Weitere Verwendung des Begriffs Ketzer im kirchlichen Kontext
Spätestens mit der Vernichtung der Albigenser um 1400 war das Wort Ketzer der Inbegriff für Irrgläubige, denen mit der gnadenlosen Verfolgung der Inquisition zu begegnen war. Es war der Übergang vom Spätmittelalter zur frühen Neuzeit, in welchem die Hexenverfolgung auf ihre grausame Blüte zustrebte. Hexerei war mit der Ketzerei eng verwandt, auch wenn ihre Opfer zu drei Vierteln Frauen waren und man der Ketzerei eher Männer bezichtigte. Beiden drohte indes das gleiche Schicksal: der Tod auf dem Scheiterhaufen nach vorheriger Folter. Erschreckend ist in diesem Kontext, dass nach der Reformation ab 1517 auch die Protestanten die Begriffe der Häresie und Ketzerei übernahmen. Alsbald vergaß die Öffentlichkeit, woher das Wort Ketzer eigentlich stammte und dass es ursprünglich besonders reinen Christen zugedacht war. Für dieses Vergessen hatte Innozenz III. mit seinem Vernichtungsfeldzug gegen die Albigenser gesorgt. Der Volksmund brachte schließlich das lateinische cathari mit dem Wort cattus für Katze zusammen, die Deutschen assoziierten folgerichtig Ketzer mit Katze und erklärten diese Assoziation damit, dass die Katze ein Tier des Teufels sei, dem die Ketzer den Hintern küssen würden. Papst Gregor IX. beschrieb dieses Ritual sogar 1233 in seiner Kirchenschrift Vox in Rama. Auch etablierte sich die Assoziation einer „katzenhaften“, nämlich falschen Art von Ketzern.
Ketzerei in außerkirchlichen Zusammenhängen
Etwa im 16. Jahrhundert wusste der Volksmund, dass Ketzerei im Wortsinn „Verfälschung“ bedeuten muss. Also galt vieles im weltlichen Bereich ebenfalls als ketzerisch, das entweder direkt eine Fälschung war, nämlich das Fälschen von Gold („Katzengold“ für das goldähnliche Imitat Pyrit), oder das von als richtig geltenden Vorstellungen abwich: Homosexuelle und Päderasten wurden „Ketzerbuben“ genannt. Diese begrifflichen Verwendungen hielten sich bis ins frühe 19. Jahrhundert.
Moderne intellektuelle Dissidenten als Ketzer
Das Wort Ketzer ist immer noch erstaunlich allgegenwärtig, obgleich es die kirchliche Fachliteratur schon seit rund 200 Jahren durch den Begriff des Häretikers ersetzt hat. Heute sind Ketzer Personen mit krass abweichenden Meinungen, bei deren Erwähnung sehr oft ein Unterton der Bewunderung mitschwingt. Je nach persönlicher Haltung könnte man die heutigen Querdenker, die sich gegen die Coronamaßnahmen auflehnen, als Ketzer bezeichnen: Es ist ein Wunder, dass noch niemand auf diese Idee gekommen ist. In intellektuellen Kreisen redet man jedoch sehr gern von ketzerischen Meinungen, wenn ein Wissenschaftler eine Position vertritt, die dem allgemeinen Konsens in dieser Sache komplett zuwiderläuft. Da Wissenschaftler jedoch wissen, dass man andere Meinungen hören muss und ihre Protagonisten keinesfalls auf den Scheiterhaufen schicken darf (auch nicht auf den intellektuellen), lassen sie den Ketzer seine Meinung verbreiten. Dieser kokettiert möglicherweise mit dem intellektuellen Dissens, indem er seine Rede mit „das klingt jetzt wahrscheinlich ketzerisch“ eröffnet. Er provoziert damit den Widerspruch, um sich selbst an ihm zu reiben und seine eigene Position durch Kritik von außen zu überprüfen. Gott sei Dank kann er das machen, denn die Scheiterhaufen für Ketzerei wurden in Deutschland nach 1813 abgeschafft.