Ein Energieembargo ist das Unterbrechen von Energielieferungen. Im Wortsinn ist jedes Embargo ein staatlich angeordnetes Verbot von Handelsbeziehungen mit einem anderen Staat. Aus diesem Wortsinn erschließt sich, dass ein Energieembargo sowohl vom Bezieher als auch vom Lieferanten der Energie verhangen werden kann. Das ist der Knackpunkt des seit März 2022 diskutierten Energieembargos gegen Russland, das westliche Staaten wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine diskutieren: Westliche Staaten können per Embargo auf russische Energielieferungen verzichten und haben mit Stand Ende März 2022 damit auch teilweise schon begonnen, doch Russland kann auch seinen Energiefirmen verbieten, in westliche Staaten zu liefern.
Warum wird ein Embargo verhängt? Erklärung
Der Hintergrund ist überwiegend bis ausschließlich politischer Natur. Ein Embargo gilt als effektive Zwangsmaßnahme gegen Staaten, die Völkerrechtsverletzungen begehen. Auch sonst kann es die betroffenen Länder zu bestimmten Handlungen zwingen bzw. sie davon abzuhalten.
Unterschied zwischen Embargo und Boykott
Ein Boykott ist eine privatwirtschaftliche Maßnahme. Auch Verbraucher sind zu einem Boykott fähig, indem sie bestimmte Waren nicht mehr kaufen. Damit hat der Boykott eine passive Natur. Ein Embargo hingegen wird staatlich angeordnet und aktiv organisiert. Es gibt mehrere Formen von Embargos:
- Totalembargo: Der Handel mit dem betreffenden Staat wird komplett unterbunden.
- Partialembargo: Der Handel wird teilweise unterbunden, wobei sich der Teil auf ein Volumen bezieht. Dies kann durch erhöhte Zölle durchgesetzt werden, die das Handelsvolumen meistens automatisch reduzieren.
- Selektivembargo: Der Handel wird nur für bestimmte Sektoren unterbunden, so für die Energielieferungen, um ein rohstoffreiches Land von seiner wichtigsten Einnahmequelle abzuschneiden. Dies wird seit März 2022 gegenüber Russland diskutiert.
- Kollektivembargo: Viele Staaten schließen sich dem Embargo unter meistens einheitlichen Bedingungen an.
Welche Konsequenzen hätte ein Energieembargo (Allgemein)? Bedeutung, Definition
Es gibt auf der Welt Staaten mit vielen Rohstoffvorkommen und welche mit sehr wenigen. Über die gesamte Handelsgeschichte der Menschheit erwuchs hieraus eine in der Regel fruchtbare Beziehung: Die Staaten mit den Rohstoffen liefern sie an diejenigen, die sie benötigen, beide Seiten profitieren davon. Ein Energieembargo beschädigt immer beide Handelspartner. Den Staaten mit den Rohstoffen brechen die Einnahmen weg, in den Staaten ohne Rohstoffe ist die Wirtschaft praktisch nicht mehr lebensfähig. Daher wird ein Energieembargo stets auf beiden Seiten zu großen Verlusten bis zum möglichen wirtschaftlichen Zusammenbruch führen. Dass dieser Worst Case selten eintritt, liegt daran, dass sich beide Seiten neue Handelspartner suchen. Doch diese neuen Handelsbeziehungen lassen sich nicht schnell aufbauen. In der Übergangsphase leiden alle beteiligten Volkswirtschaften schwer unter dem Embargo.
Wie würde ein Energieembargo gegen Russland aussehen?
Russland liefert drei sehr wichtige Rohstoffe:
- Erdgas
- Erdöl
- Steinkohle
Ein Energieembargo gegen Russland kann ein selektives und partielles Embargo sein. Dies bedeutet: Es werden nicht alle drei, sondern nur ein oder zwei dieser drei Energieträger nicht mehr oder in geringerem Umfang bezogen bzw. geliefert. Das geschieht mit Stand Ende März bereits. Die USA haben gegen Öllieferungen aus Russland bereits ein Embargo verhängt. Viele europäische Staaten – darunter Deutschland – beziehen bereits signifikant weniger Öl und Kohle, aber noch nicht weniger Gas aus Russland. Bei einem Totalembargo müssten sämtliche Energielieferungen aus Russland gestoppt werden.
Folgen des Energieembargos gegen oder durch Russland
Nochmals soll darauf verwiesen werden, dass das Energieembargo gegen oder durch Russland erfolgen kann. Für die Folgen ist das unerheblich. Russland verliert zunächst (bis zur Akquise neuer Abnehmer der eigenen Rohstoffe) geschätzte 25 % seines BIP. Diese Zahl kann leider nicht präzisiert werden, weil die russische Statistikbehörde Rosstat nur 7,7 % des BIP (bis 2020) dem Energiesektor zurechnet (konkret der Rohstoffförderung), internationale Experten aber vermuten, dass in Wahrheit ein großer Teil des mit ~60 % Wertschöpfung bezifferten Dienstleistungssektors eigentlich der Distribution und dem Handel von Energie zuzurechnen ist. Warum Rosstat so rechnet, ist nicht ganz transparent. Zu vermuten wäre, dass wegen der landesinternen Verrechnung der Leistungen in Rubel die Statistik in dieser Darstellung besser aussieht. Grob geschätzt könnte die russische Wirtschaft allein durch ein Energieembargo wenigstens kurzfristig um 25 % einbrechen. Die Folgen für die Abnehmer der russischen Energierohstoffe sind ebenfalls prekär, wenngleich wahrscheinlich nicht ganz so schwerwiegend. Auch hierfür gibt es unterschiedliche Berechnungen. In Deutschland dürfte das BIP um 0,5 – 3,0 % einbrechen. Bei dieser Rechnung gehen Ökonomen von zwei wesentlichen Entwicklungen infolge eines Embargos aus:
- #1 Deutschland sucht sich sehr schnell neue Energielieferanten. Zu diesem Zweck führte der Wirtschaftsminister Habeck (Bündnis 90/Grüne) schon in Gespräche unter anderem in Katar.
- #2 Industrielle und private Verbraucher passen sich mit ihrem Verbrauchsverhalten an die höheren Preise und temporäre Energieknappheiten an. Sie gehen deutlich sparsamer mit Energie um und suchen nach Alternativen für die betreffenden Energieträger (Wärmepumpe und Solar anstelle von Öl-, Gas- oder Kohleheizung).
Es gibt indes auch Fachleute, die deutlich schwerwiegendere Konsequenzen befürchten, denn immerhin wird in Deutschland jede zweite Wohnung mit Erdgas beheizt. In der Industrie ist das Gas nicht nur ein Energieträger, sondern auch ein Rohstoff für chemische Produkte. Inzwischen wurden erste Maßnahmen getroffen, um relativ kurzfristig (im Verlauf des Jahres 2022) die Energielieferungen aus Russland zu reduzieren:
- Der Anteil der russischen Gaslieferungen am gesamten Gasmarkt in Deutschland wird von 55 auf 40 % sinken.
- Bei den Rohöleinfuhren sinkt der Anteil von 35 auf 25 %.
- Bei Kohle sinkt er von 50 auf 25 %.
Welche Folgen das in naher Zukunft hat und welche Folgen ein noch weitergehendes Embargo hätte, wird unter Experten heftig diskutiert. Prof. Moritz Schularick von der Universität Bonn ist ein Verfechter der Substitutionstheorie, nach der industrielle, gewerbliche und private Verbraucher andere Energiequellen nutzen und ihren Verbrauch reduzieren. Daher erwartet der Ökonom zwar eine substanzielle Krise, aber keinen wirtschaftlichen Zusammenbruch. Prof. Christian Bayer (Universität Bonn) verweist darauf, dass die Anpassungsmöglichkeiten der Wirtschaft sehr groß sind und sich nicht allein auf den Ersatz oder die Einsparung von Energieträgern beziehen, sondern beispielsweise auch auf ein verändertes Berufs- und Privatleben (mehr Homeoffice, dadurch weniger Kraftstoffverbrauch durch den Weg ins Büro, weniger private Autofahrten) und auf die Entwicklung neuer Produkte, die nicht auf die genannten Primärrohstoffe angewiesen sind. Die beiden Institute DIW und IW wiederum warnen vor sehr massiven Folgen eines Energieembargos gegen Russland. Der IW-Direktor Michael Hüther vermutet Massenarbeitslosigkeit und auf längere Sicht den Verlust der deutschen Grundstoffindustrie. Der DIW-Präsident Marcel Fratzscher ist der Auffassung, dass Deutschland ein Energieembargo maximal einige Monate durchhält. Er warnt vor Rezession, hoher Inflation und damit sinkenden Realeinkommen. Hierfür sei die deutsche Gesellschaft nicht bereit, so Fratzscher. Ihr seien offenbar nicht einmal ein Tempolimit oder autofreie Wochenenden zuzumuten. Die Leopoldina wiederum glaubt, dass auch untere und mittlere Einkommen das Totalembargo verkraften könnten. Sie müssten durch den Bund gegen zu hohe Preissteigerungen abgesichert werden („Energiegeld“ etc.), was sich dieser aber leisten könne.
Fazit: Soll das Energieembargo gegen Russland kommen?
Auch die Ökonomen halten dies für eine vorrangig moralische Entscheidung. Es gelte einzuschätzen, wie viel Wohlstandsverlust die Deutschen für ein Kriegsende hinnehmen würden. Dann gibt es noch eine Fraktion von Warnern, die das Energieembargo gegen Russland generell für kein geeignetes Mittel halten, um Putin zum Einlenken zu bewegen. Zu diesen gehört der frühere Oligarch, spätere Kremlkritiker und nachfolgende russische Häftling (2003 – 2013) Michail Chodorkowski, der die russischen Verhältnisse wirklich aus erster Hand kennt. Er vermutete am 30. März 2022, dass Putin ohnehin früher oder später die NATO angreift – ob mit oder ohne Energieembargo. Letzterer treibt dieses Embargo nunmehr von russischer Seite aus voran: Am Donnerstag, dem 31. März 2022, unterzeichnete er ein Dekret, dass künftige Zahlungen für Energielieferungen aus sogenannten unfreundlichen Staaten in Rubel anordnet. Da die Staaten der westlichen Allianz dies ablehnen, könnten die Energielieferungen schon in kürzester Zeit eingestellt werden. Allerdings gibt es hierfür einige bemerkenswerte Hintertüren, so eine Zahlung in Euro oder Dollar und die russlandinterne Umwandlung dieser Devisen in Rubel.