Gerade in den Konflikten zwischen Europa, den USA und Russland verweisen viele Kommentatoren und Berichterstatter immer wieder auf die russische Seele. Die Phrase wird als ein Sammelbegriff genutzt, bei man verschiedene vermeintliche Eigenschaften der Russen, aber auch der ehemaligen Bürger von Ländern aus der Sowjetunion, zuschreibt. Nach Ansicht der Personen, die diesen Begriff bemühen, kann man den Menschen in Osteuropa aber besonders in Russland eine verstärkte Melancholie, eine gewisse Leidensfähigkeit und eine ganz eigene Form von Lebensweise nachsagen. Während die legendäre russische Seele in vielen Zitaten und Büchern bemüht wurde, hat der Begriff mitunter ganz unterschiedliche Bedeutungen.
Die Herkunft des Begriffes der russischen Seele: Bedeutung, Erklärung
Wie genau der Begriff entstanden ist, lässt sich heute nur noch schwierig nachvollziehen. Es ist davon auszugehen, dass es vor allem die berühmte russische Literatur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts war, die die „russische Seele“ der westlichen Welt bekannt machte. Autoren wie Puschkin, Dostojewski oder Tolstoi bemühten sich in ihren Geschichten die russische Seele als Begriff zu definieren und benutzten dafür ganz unterschiedliche Ansätze. Es soll Puschkin gewesen sein, der in seinen Gedichten das erste Mal konkret von der Phrase der russischen Seele sprach.
Nach dem goldenen Zeitalter der russischen Literatur vergaß man diese Besonderheit der Russen in den Wirren des ersten und zweiten Weltkriegs und entdeckte den Begriff besonders mit dem Ende der Sowjetunion wieder. Als die Menschen endlich die Möglichkeit hatten, die unterschiedlichen Besonderheiten Russlands mit eigenen Augen zu entdecken, wurde man sich auch wieder darüber klar, dass am östlichsten Rand von Europa ein Land mit Menschen existiert, die natürlich auch ganz eigene Traditionen und Befindlichkeiten mit sich bringen. Seitdem ist der Begriff der russischen Seele nicht nur in der Kultur ein Diskurs, sondern auch in der Geopolitik.
Die Definition der russischen Seele
Generell lässt sich sagen, dass es nicht die eine Definition dieses Begriffes gibt. Im Laufe der Zeit hat man den Menschen aus Russland immer wieder unterschiedliche typische Charakteristika zugesprochen – mal in einem äußerst positiven Sinne aber auch als negatives Klischee, das ein ganzes Volk mit bestimmten negativen Eigenschaften verbindet. Auch hat sich der Begriff der russischen Seele im Laufe der Jahrhunderte und besonders in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Es kann also nicht davon gesprochen werden, dass es eine ganz bestimmte Definition dieser besonderen Beschreibung gibt.
Der Kern der Definition geht auf die lange Geschichte des russischen Reiches zurück. Russland war schon seit dem Mittelalter ein bedeutendes Land in Europa und hat sich im Laufe der Jahrhunderte vor allem in seinen Grenzverläufen stark verändert. Auch die Gründungsgeschichte des russischen Reiches sollte bei der Suche nach der russischen Seele beachtet werden. Als der Staat in seiner ursprünglichen Form entstanden ist, war es ein militärisch erzwungener Zusammenschluss unterschiedlichster Regionen Europas und Asiens, die in der Regel mit ganz eigenen Völkern und Kulturen einherkamen und am Anfang nur äußerst wenige Dinge miteinander zu tun hatten.
Das russische Weltreich mag in den folgenden Jahrhunderten zusammengewachsen sein, eigene Kulturen und Traditionen entwickelten sich, aber bis heute ist Russland ein riesiges Land mit verschiedensten Menschen und Herkünften, die sich nicht immer alle als Russen sehen. Trotzdem sollen die Schicksalsschläge der Geschichte dafür gesorgt haben, dass ein gemeinsames Gefühl entstanden ist, das sich heute in der russischen Seele abzeichnet.
Was sind die Eigenschaften, die mit der russischen Seele verbunden werden?
Im Laufe der Zeit haben Beobachter die russische Seele mit verschiedenen Eigenschaften verknüpft und dabei natürlich auch eigene Intentionen im Hinterkopf gehabt. Da gibt es beispielsweise die Klischees, dass die Russen besonders unterkühlt sind und dass sie niemanden außerhalb ihrer eigenen Grenzen trauen würden, weil man sie zu oft verraten hat. Andere beziehen den Begriff vor allem auf die oftmals gepriesene Gastfreundschaft und Wärme, die von vielen russischen Völkern ausgeht. Erst distanziert nach außen, aber sobald man ein Teil des inneren Kreises ist, beinahe mit überschwänglicher Wärme und Herzensgüte beschenkt – so etwa beschreiben es noch heute viele Menschen, die ihre Wurzeln in Russland haben.
Nimmt man alle Berichte zusammen, so lässt sich die russische Seele mit Sicherheit mit der Wärme der Russen beschreiben, mit der sie ihren Mitmenschen begegnen. Aber auch mit einem gewissen Hang zum Aberglaube, einer engen Verbundenheit mit Traditionen und einer gewissen Skepsis gegenüber Veränderung und Wandel, weil dieser viele Russen meist mit negativen Zeiten einherging. Eine gewisse Neigung zu Exzessen und ein Problem damit nicht in Superlativen zu denken und zu handeln scheint ebenso dazu zu gehören.
Wirft man einen Blick auf die ursprünglichen Beschreibungen der russischen Seele, wie sie Autoren wie Tolstoi beschrieben haben, dann muss man auch auf die Leidensfähigkeit der Russen blicken. Geprägt von den vielen Veränderungen der letzten Jahrhunderte soll die russische Seele besonders stark und zäh sein, gleichzeitig aber auch einen Hang zur Brutalität entwickelt haben. Sie ist melancholisch an manchen Tagen und beinahe überschwänglich in anderen Momenten.
Am Ende muss wohl festgehalten werden, dass die Menschen in Russland so unterschiedlich wie in jedem Land sind. Sie unterscheiden sich von Norden nach Süden und von Westen nach Osten. Traditionen spielen hier eine wichtige Rolle, sind aber in der Regel vor allem der Teil einer Region und nicht eines gesamten Landes. Daher ist es wohl schwer die mysteriöse russische Seele tatsächlich zu beschreiben oder in bestimmte Charaktereigenschaften einzufangen. Sie ist vor allem ein philosophischer Begriff, der vermutlich für immer ein Mysterium bleiben wird und von jedem Russen und von jedem Ausländer anders interpretiert wird.