Der Rezenzeffekt ist das psychologische Phänomen, dass wir eine später aufgenommene Informationen stärker gewichten als eine frühere. Das geschieht allerdings nicht permanent: Es gibt auch das Gegenteil, nämlich den Primäreffekt. Dabei wird die frühere Information stärker gewichtet. Der Volksmund kennt beide Effekte sehr gut und hat für sie die passenden Sprichwörter parat:
- Rezenzeffekt: „Der letzte Eindruck bleibt.“
- Primäreffekt: „Der erste Eindruck entscheidet.“
Wie kommt es zum Rezenzeffekt? Bedeutung, Erklärung, Definition
Wie erwähnt ist der Rezenzeffekt kein Automatismus. Daher ist zu hinterfragen, in welchen Situationen und durch welche Art von Informationen er auftritt. Ganz offenbar ist die später aufgenommene Information, die wir als maßgebend bewerten,
- richtiger als die frühere,
- wichtiger als die frühere oder
- besser zu erinnern als die frühere.
Der Rezenzeffekt betrifft das Kurzzeitgedächtnis. Dieses sortiert, was später ins Langzeitgedächtnis gelangt. Die klassische Psychologie unterscheidet sogar drei Gedächtnisarten, wobei diese Unterscheidung nur schematisch zu verstehen ist:
- Das Ultrakurzzeitgedächtnis entscheidet in bis zu 12 Sekunden, was ins Kurzzeitgedächtnis gelangt.
- Das Kurzzeitgedächtnis entscheidet in bis zu zwei Minuten, was ins Langzeitgedächtnis gelangt.
- Das Langzeitgedächtnis behält die Informationen dauerhaft.
Wir wissen alle, dass dies nur ein Schema ist, von dem es diverse Abweichungen gibt. Es lässt sich aber mit dem Modell gut arbeiten. Beim Rezenzeffekt entscheidet nun offenkundig das Kurzzeitgedächtnis darüber, eine im Abstand von bis zu zwei Minuten (in selteneren Fällen auch länger) später aufgenommene Information als bedeutsamer gegenüber der früheren Information einzustufen und die frühere daher nicht ins Langzeitgedächtnis aufzunehmen.
Was hat der Rezenzeffekt für einen Sinn?
Der Rezenzeffekt unterstützt unsere Gedächtnisökonomie. Wir können und sollen uns nicht alles merken. Stellen wir uns einfach vor, wir würden uns jedes erblickte Nummernschild im Straßenverkehr merken. Was sollen wir mit dieser Information anfangen? Doch wenn wir in einen Unfall verwickelt werden, könnte es sein, dass wir uns das nur kurz erblickte Nummernschild des Unfallgegners durchaus gut merken. Das Rezenzgedächtnis bewertet also die Informationen nacheinander und merkt sich die spätere, wenn sie wichtiger erscheint.
Rezenzeffekt: Folgen für unser Erinnerungsvermögen
Die Folgen sind hinsichtlich der Gedächtnisökonomie oft positiv, sie können aber auch negativ sein. Wenn beispielsweise ein Personalchef nacheinander zehn Bewerbungen kurz überfliegt, könnte er die erste (vielleicht interessante) vergessen haben, wenn er bei der letzten angekommen ist. Der Rezenzeffekt verleitet ihn aber zum schnellen Vergessen der früheren Informationen, weil sein Kurzzeitgedächtnis dadurch mehr Kapazität für die letzte Information hat. Für Nahrungsmittel wurde in einer 2014 durchgeführten Studie nachgewiesen, dass wir uns beim Essen am besten an den letzten Bissen erinnern und von diesem unser Urteil über das gesamte Essen ableiten. Daher ist der Nachtisch süß. Im Marketing transportiert man die wichtigste Werbebotschaft zuletzt. Auch der CtA (Call to Action) kommt am Schluss eines Werbetextes. Ein Verkäufer festigt seinen Vertragsabschluss mit abschließenden gewichtigen und motivierenden Argumenten. Die Polizei kennt den Rezenzeffekt von Gegenüberstellungen und Zeugenbefragungen. Sie weiß, dass er zu Erinnerungs- und Beurteilungsfehlern führen kann.
Rezenz- vs. Primäreffekt: Bedeutung
Nun hatten wir eingangs schon festgestellt, dass es neben dem Rezenz- den völlig gegenteiligen Primäreffekt gibt. Die beiden oben zitierten Sprichwörter widersprechen sich komplett. Es verbietet sich daher, einem von beiden Effekten einen pauschalen Vorrang einzuräumen. Vielmehr gilt es zu untersuchen, unter welchen Bedingungen der eine oder andere Effekt überwiegt. Ganz offenkundig kann der stärkere Eindruck entscheidend sein, es kann aber bei motivational sehr ähnlichen Eindrücken auch der Zeitablauf entscheiden. Möglicherweise sind wir am Anfang oder am Ende einer Informationsaufnahme eher zu einer Gedächtnisleistung bereit. Darüber hinaus können sich die Informationen gegenseitig hemmen, und zwar als proaktive Interferenz (frühere Information hemmt spätere) und ebenso als retroaktive Interferenz (spätere Information hemmt frühere). Sportler und Musiker kennen diese Effekte und erlernen bestimmten Abläufe stets im Kontext.