Der Ruf „eat the rich“ ertönte schon vor über 200 Jahren erstmals in Frankreich.
Herkunft von „Eat the rich“: Geschichte
„Eat the rich“ (wortwörtlich auf deutsch „Esst die Reichen“) ist ein radikaler und plakativer politischer Slogan, der seit dem späten 18. Jahrhundert symbolisch mit Antikapitalismus, Klassenkampf und Militanz in Verbindung gebracht wird.
Als Urheber des prägnanten und einprägsamen Aufrufs gilt gemeinhin der berühmte politische Philosoph Jean-Jacques Rousseau (1712-1778). Seine Warnung, derzufolge „das Volk die Reichen essen werde, wenn es sonst nichts mehr zu essen habe“, wurde erstmals während der Französischen Revolution vom einflussreichen Führer und Politiker der Pariser Kommune Pierre-Gaspard Chaumette (1763-1794) zitiert.
Dessen Rede während der blutigen Periode der Schreckensherrschaft („Grande Terreur“) zwischen Juni 1793 und Juli 1794 am 14. Oktober 1793 in Paris war eine scharfe Kritik am Adel, wurde aber später in Frankreich als Reaktion auf die vermeintlichen Misserfolge der Revolution, welche angeblich die Armut im Lande aufrecht erhielten, populär. Wann genau Rousseau selbst diesen Slogan geäußert hat, ist nicht überliefert. Angesichts der zeitlosen Eingängigkeit hat das aufrührerische Motto jedoch bis heute überlebt und diente außer als politische Parole auch schon mehrfach als Titel für Bücher, Rocksongs und Spielfilme.
Eine Revolution mag zunächst viele Freiheiten bringen, macht aber nicht sofort satt
1793 waren die Straßen von Paris in Aufruhr. Wenige Jahre zuvor hatten Arbeiter und Bürger, die über Armut, Hunger und Entrechtung wütend waren, die berüchtigte Festung Bastille gestürmt und gesprengt und die Monarchie erfolgreich gestürzt, was ganz Europa erschütterte.
Es war eine gefährliche, schwierige und unsichere Übergangszeit mit vielen Aufständen, grausamem Blutvergießen und ungebremster revolutionärer Hoffnung. Eine gerechtere Regierungsform entstand langsam und zaghaft, doch auch nach Jahren der revolutionären Ordnung war das Volk unruhig und verzweifelt: Die Erklärung der neuen Menschen- und Bürgerrechte war zwar von der Nationalversammlung verabschiedet und der König selbst durch die Guillotine hingerichtet worden, aber es gab immer noch nicht genug zu essen für alle.
Auch wenn das den Massen verhasste absolutistische „Ancien Régime“ endlich verschwunden war, konnte das Volk weder Rechte noch Freiheit essen und es fehlte an fast allem. Bürger beschwerten sich erbittert darüber, dass gewissenlose Spekulanten verschimmeltes Brot, gepanschten Wein und ungenießbares Fleisch an die Armen verkauften und ihre besten Waren für die Reichen aufhoben.
In Zeiten großer Unzufriedenheit werden oft Erinnerungen an alte Kämpfe geweckt
Zu tatsächlichem Kannibalismus an den Reichen und Besitzenden ist es damals trotz der äußerst aufgeheizten Stimmung in Frankreich schließlich doch nicht gekommen.
Vielmehr verloren die radikalsten Jakobiner und „Sansculotten“ samt deren bekanntesten Vertretern Maximilien de Robespierre, Georges Couthon sowie Louis Antoine de Saint-Just im sog. „Comité de salut public“ (Wohlfahrtsausschuss) schon bald die Macht und fielen nach dem Thermidoraufstand Ende Juli 1794 selbst der von ihnen geschätzten Guillotine zum Opfer.
Doch auch 200 Jahre später hallt das Rousseau zugeschriebene Bonmot „Mangeons les riches“ besonders in der englischen Version „Eat the rich“ noch immer laut vernehmbar sowohl in Frankreich und Europa als auch rund um den Globus nach.
Vor allem nachdem die euphorische Aufbruchstimmung der späten 1960er-Jahre in der westlichen Jugend bis Mitte der 1970er-Jahre fast vollständig verschwunden war und Optimismus nach und nach durch Desillusion ersetzt wurde, radikalisierten sich manche Zeitgenossen und besannen sich im Zuge dessen auf die historische Forderung nach der Verspeisung der Reichen.
Im August 1975 übernahm etwa eine sich als „Eat the Rich Gang“ bezeichnende Gruppe rund um den französischen Philosophen Jean Baudrillard die Herausgeberschaft über die US-amerikanische antiautoritäre Zeitschrift „Fifth Estate (FE)“ und beeinflusste diese stark im anarchistischen Sinn.
Der englische Heavy Metal und ein Spielfilm haben „Eat the Rich“ zurückgebracht
Seither und bis heute ist der Ruf „Eat the Rich“ immer wieder im politischen und kulturellen Zusammenhang aufgetaucht. 1978 veröffentlichte die nur kurzlebige (1977-1979) britische Rockband „The British Lions“ einen dergestalt betitelten Song auf ihrem ersten wie auch einzigen gleichnamigen Album, wobei die seinerzeit wirtschaftliche problematische Lage in Großbritannien maßgeblich Anteil an dessen Entstehung gehabt haben dürfte.
1983 tat es ihnen die Schweizer Formation „Krokus“ gleich und benannte den zweiten Song auf deren Album „Headhunter“ ebenfalls nach dem revolutionären Slogan. Im selben Jahr publizierte die englische N.W.O.B.H.M.-Band „Tysondog“ ihre erste Single „Eat the Rich“, die auf dem Album „Crimes of Insanity“ von 1986 erneut erschien. 1987 war es dann die ebenfalls aus England stammende Band „Motörhead“ um deren charismatischen Gründer, Bassisten und Sänger Ian „Lemmy“ Fraser Kilmister (1945-2015), die den Titelsong für den Spielfilm „Eat the Rich“ von Peter Richardson schrieben.
In der grotesken schwarzen Komödie spielten neben Kilmister als unheimlicher Waffenhändler „Spider“ auch weitere bekannte Musiker wie Paul McCartney (ex Beatles), Shane MacGowan (The Pogues), Bill Wyman (Rolling Stones), Hugh Cornwell (Stranglers) und Wendy O. Williams (Plasmatics) mit.
Natürlich gefiel es den Reichen absolut nicht, dass ihresgleichen als Dinner dienten
Trotz der diesbezüglich hochkarätigen Besetzung rief der Film bei Kritikern nur gemischte Reaktionen hervor, vor allem bemängelt wurden eine billig wirkende Ausstattung und der zu langsame Spannungsbogen. Bei eingefleischten Fans sowie manchen Filmexperten genießt der Streifen aber bis heute Kultstatus:
Während konservative Stimmen die heftige Darstellung von tatsächlichem Kannibalismus an den typischen reichen „Yuppies“ der Ära im edlen Restaurant „Bastards“ bemängelten, lobten progressivere Beobachter gerade die überzeichnete Story aus den Zutaten Mord, Musik und Menschenfleisch als angemessene und berechtigte Satire auf die neoliberalen und spätkapitalistischen Zustände unter der als „Iron Lady“ bekannten und in der Arbeiterklasse gefürchteten britischen Premierministerin Margaret Thatcher (1925-2013). Laut Eigenaussage vom besagten Film inspiriert wurde der US-amerikanische Autor und Schriftsteller Patrick Jake O’Rourke (1947-2022) für den Titel seines 1998 erschienenen Buches „Eat the Rich: A Treatise on Economics“, in dem er auf recht humoristische Weise Wirtschaftswissenschaften erklärt, letztlich jedoch ein Loblied auf den Kapitalismus singt.
Eat the Rich: Heute ist der Slogan weltweit bekannt und erlebt vielerorts eine Art Renaissance
Abschließend sowie zusammenfassend kann konstatiert werden, dass der griffige Slogan „Eat the Rich“ international Eingang gleichermaßen in die Protest- wie auch Populärkultur gefunden hat und immer wieder aufs Neue von seinen Anhängern und Apologeten mehr oder weniger ernst gemeint zitiert wird.
Während manche französische Journalisten sogar vermuten, dass es sich nach Claude Lévi-Strauss (1908-2009) beim klassenspezifisch proklamierten Kannibalismus in Wahrheit um eine anthropologisch versteckte Huldigung derer, die man isst, handelt, wird die radikale Forderung anderenorts weitaus bissiger und aggressiver geäußert. Generell wird der Ausdruck im 21. Jahrhundert als Reaktion auf die zunehmende Vermögensungleichheit und Ernährungsunsicherheit verwendet.
In den USA bauten Demonstranten 2020 eine Guillotine vor dem Haus von Amazon-Chef Jeff Bezos auf, 2021 nahm die US-Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez an einer Gala teil und trug ein Kleid mit einer Abwandlung des Satzes „Tax the Rich“ und in Südafrika wurde der Satz „Eat the Rich“ als Wahlkampfslogan für die Kommunalwahlen im selben Jahr verwendet. Der Satz hat sich in den wichtigsten sozialen Netzwerken im Internet verbreitet, so auch seit den 2010er-Jahren auf TikTok, wo Nutzer in Videos die Reichen kritisierten. Die Verwendung des Slogans hat nach den COVID-19-Sperren („Lockdowns“) im Jahr 2020 deutlich zugenommen.