Warum heißt Deutschlands Verfassung „Grundgesetz“? Wie kam es dazu? Geschichte, Erklärung, Bedeutung

Warum heißt Deutschlands Verfassung Grundgesetz, Geschichte, Erklärung, Bedeutung


Die Bundesrepublik Deutschland hatte längere Zeit keine vollwertige Verfassung wie die meisten anderen vergleichbaren westeuropäischen Staaten. Wie kam es historisch und politisch zu diesem Sonderweg eines Grundgesetzes? Wie hängt das mit den beiden Weltkriegen und der deutschen Wiedervereinigung zusammen?

Deutschland: Wortbedeutung Grundgesetz und Verfassung

Dass es „Grundgesetz“ und nicht wie in den meisten anderen Staaten „Verfassung“ genannt wurde, was auch die Westalliierten ursprünglich so wollten, sollte auf den damals provisorischen Charakter hinweisen aufgrund der deutschen Teilung und der Meinungsverschiedenheiten zwischen den vier alliierten Besatzermächten, besonders zwischen der damaligen Sowjetunion und den drei westlichen. Auch daher konnten die Deutschen in der Sowjetischen Besatzungszone, der späteren DDR, und im Saarland nicht an der Entstehung des Grundgesetzes mitwirken. Das Grundgesetz sollte für eine Übergangszeit nur eine Art vorläufige Teilverfassung für Westdeutschland sein. So griff man auf den rund 300 Jahren alten deutschen Begriff „Grundgesetz“ zurück, der sich laut Sprachwissenschaftlern aus dem Begriff „lex fundamentalis“ der lateinischen Rechtssprache herleitet. Somit ist das „staatsgrundlegende Gesetz“ gemeint, quasi das rechtliche Fundament der Bundesrepublik, um den Begriff Verfassung vermeiden zu können, bis ein endgültiger Friedensvertrag und die deutsche Einheit da sein sollten.

Deutschland: Der mühsame Weg zum Grundgesetz

Auf Initiative der drei westlichen Besatzungsmächte USA, Großbritannien und Frankreich, überbrachten ihre Militärgouverneure gut drei Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges am 1. Juli 1948 den westdeutschen Ministerpräsidenten die sogenannten Frankfurter Dokumente. Darin war die Ermächtigung an die Ministerpräsidenten enthalten, eine Versammlung einzuberufen, die eine demokratische Verfassung mit einer Grundrechtsgarantie und Bundesländern ausarbeiten sollte. Die Alliierten wollten dabei den Eindruck vermeiden, dem deutschen Volk und seinen gewählten Politikern zu viele Inhalte des Grundgesetzes zu diktieren. So legten sie auch nur als einzige Frist den 1. September 1948 fest, an dem spätestens eine verfassunggebende Versammlung zusammenkommen sollte. Sie behielten sich jedoch vor, dass sie zuletzt den Inhalt des Grundgesetzes genehmigen müssen.

Zwei Wochen im August 1948 arbeitete der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee im Auftrag der Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder im Alten Schloss auf der Herreninsel im bayerischen Alpenvorland. Es handelte sich um eine Art Sachverständigenrat mit der Aufgabe, einen Verfassungsentwurf auszuarbeiten, der dem Parlamentarischen Rat als Arbeitsgrundlage für das Grundgesetz dienen könne. Das Ergebnis, den so genannten „Herrenchiemsee-Bericht“, genehmigten die Ministerpräsidenten der westdeutschen Bundesländer.

Die deutschen Politiker erarbeiteten dann nicht in einer wie von den Alliierten gewünschten „verfassungsgebenden Versammlung“, sondern aufgrund der für sie ungelösten deutschen Frage (Wiedervereinigung) im in Bonn tagenden Parlamentarischen Rat seit September 1948 das Grundgesetz. Dieser umfasste 65 von den damaligen Landtagen der westdeutschen Länder gewählte Abgeordnete.

Deutsche Verfassung: Lehren aus Weimar

Er sollte dieses Mal eine wehrhaftere Demokratie erschaffen, die nicht so leicht von ihren Feinden von rechts- und linksaußen erst ausgehöhlt und dann hinweggefegt werden kann wie die Weimarer Verfassung vom NS-Regime. Der Bundespräsident wurde eingeführt als im Vergleich zur Weimarer Republik neutrales und wesentlich entmachtetes Staatsoberhaupt. Die schlechten Erfahrungen mit dem greisen Hindenburg, der den Nationalsozialisten in heute naiver Weise die Macht übergab, wirkten noch nach. So bekam der Bundespräsident des Grundgesetzes vor allem repräsentative Aufgaben.

Im Grundgesetz wurden Volksabstimmungen nur in engen Grenzen zugelassen, damit sie nicht populistische Demokratiefeinde wie in der Weimarer Republik ausnutzen können. Wegen Lehren aus der NS-Diktatur kann das Grundgesetz nur mit einer Zweidrittelmehrheit des Bundestages und des Bundesrates geändert werden. Vor allem aber darf laut Artikel 79 GG gar nicht geändert werden: die föderale Gliederung in Bundesländer und deren Mitwirkung an der Gesetzgebung, die Grundsätze von Artikel 1 mit der Menschenwürde und der Gewaltenteilung sowie die in Artikel 20 geschützten Rechtsgüter wie Demokratie, Sozialstaat, Gewaltenteilung, freie Wahlen und ein Widerstandrecht der Bürger im absoluten Verfassungsnotfall.

Grundgesetz: Inkrafttreten nach alliierter Genehmigung und durch klare Mehrheit der Bundesländer

Symbolträchtig genau vier Jahre nach Kriegsende, nämlich am 08.05.1949, war es soweit: der Parlamentarische Rat beschloss das Grundgesetz. Das Grundgesetz war somit das verfassungs- und staatsrechtliche Fundament für die damit zeitgleich erfolgte Gründung der Bundesrepublik Deutschland (Westdeutschland). Die damals noch Deutschland dominierenden alliierten Besatzungsmächte beobachteten seit Kriegsende immer noch kritisch, ob das kürzliche NS-Deutschland die westlichen Demokratieregeln sauber umsetzt und lebt. Daher genehmigten sie wie vorher von Ihnen festgelegt den Entwurf.

Da Deutschland die zentralistische Ausrichtung fast ausschließlich auf Berlin als Hauptstadt mit der Nazi-Regierung nicht gutgetan hatte, wurde mit dem Grundgesetz eine föderale Gliederung in Bundesländer eingeführt. Die Länder haben demnach in manchen Bereichen wie der Bildung das Sagen und müssen in anderen Bereichen in Form des Bundesrates, ihrer Vertretung, Bundesgesetzen erst zustimmen. So mussten sie auch das neue Grundgesetz annehmen, was alle Länder in ihren damaligen Grenzen auch taten, bis auf Bayern, die mehr Rechte für die Bundesländer haben wollten. Aber die Mehrheit von zwei Drittel der Länder reichte und auch der Bayerische Landtag akzeptierte mehrheitlich verbindlich die Geltung des Grundgesetzes. So konnte das brandneue Grundgesetz (rechtliche Abkürzung: GG) für die Bundesrepublik Deutschland am 23.05.1949 verkündet werden und am Tag danach in Kraft treten.

Deutschland: Entwicklung zur Verfassung eines souveränen Staates

Aufgrund des Sonderfalls als Kriegsverlierer und verbunden mit den beispiellosen NS-Verbrechen erhielt die BRD trotz Grundgesetz erst seit dem 05.05.1955 die Stellung eines souveränen Staates aufgrund des Deutschland-Vertrages. Selbst damals hielten die vier alliierten Siegermächte Vorbehalte aufrecht, die erst mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag, unterzeichnet am 12. September 1990 in Moskau, im Zuge der deutschen Wiedervereinigung entfielen. Dieser gilt als die politisch geforderte und rechtlich notwendige Friedensregelung der Alliierten mit Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg und bedeutet das Ende der Nachkriegszeit, denn Deutschland inklusive Berlin ist seitdem endgültig von den besatzungsrechtlichen Einschränkungen befreit.

Dass die gesamtdeutsche Verfassung weiterhin „Grundgesetz“ heißt, ist nur scheinbar ein Widerspruch. Das Grundgesetz erfüllt rechtlich alle Voraussetzungen einer Verfassung, hat sich seit Jahrzehnten als Verfassung einer weltweit ankerkannten friedlichen Bundesrepublik Deutschland bewährt und wird international oft als Beispiel für die Grundlage einer freiheitlichen westlichen Demokratie geachtet. Somit ist die Beibehaltung des ursprünglichen Namens Grundgesetz nur noch geschichtlich bedingt und anerkennt so bis heute die weitsichtige Pionierarbeit des Parlamentarischen Rates, die viele Jahrzehnte später immer noch als erfolgreich gilt. Vereinfacht kann man festhalten: das Grundgesetz ist mittlerweile die deutsche Verfassung, heißt nur anders.

Autor: Pierre von BedeutungOnline

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