1. Ansehen und Prestige im gehobenen Wohnungsbau um 1900: Altbauten und hohe Decken
Zum nahenden Ende der Kaiserzeit gab es hierzulande, und andernorts unter ähnlichen Umständen, einen immer noch bestehenden Standesunterschied. Darum waren gerade die Mitglieder vermeintlich höherer Stände spätestens seit der Erstarkung des Bürgertums sehr darauf bedacht, den eigenen sozialen Status klar und deutlich zu repräsentieren.
Bei der Mode waren das aufwendige Garderoben für die Damen mit komplizierten Regeln zur Nutzung und Etikette. Je höher der soziale Stand, desto wichtiger und aus heutiger Sicht seltsamer muteten die tatsächlichen, also sichtbaren Beispiel dieser Machtdarstellung an.
Dabei war der soziale Rang mindestens genauso wichtig wie die finanzielle Stärke. Bis in die untersten Klassen überzeugte diese aufdringliche Zurschaustellung, denn Luxus und Wohlstand gelten seit jeher als erstrebenswert.
Das gilt dann natürlich auch für die Stadtwohnungen. Sie mussten nämlich nicht nur in bester Lage bestehen, sondern auch durch Aufbau und Nutzung einen klaren Unterschied darstellen zu den engen, dunklen, stickigen und überfüllten Mietskasernen der Arbeiter. Raum ist auch heute noch dort besonders teuer, wo die Lage günstig ist und die Nachfrage groß.
Im Gegensatz zu den vormals herrschaftlichen Wohnungen und Häusern bestach darum nicht die effektive und wirtschaftliche Funktionalität der Wohnräume. Großzügige Grundrisse, nicht zu kleine Fenster und vor allem ein hohes, lichtes Deckenmaß waren und sind drei wichtige Kriterien für attraktive Wohnräume in der Stadt.
Und dieser Effekt wird immer noch sehr geschätzt, denn Altbauten mit hohen Decken wirken geräumig, hell und stets elegant. Die Neigung dazu, Wände und Decken zu kalken oder anderweitig zu weißen, war ebenfalls eine damals neue und innovative Idee, die so ganz anders, aber vor allem hygienischer wirkte als der verspielte Biedermeier oder ein überladener Klassizismus.
2. Licht, Luft und Sonne für gesunde und menschengerechte Lebensbedingungen: Hohe Decken bei Altbauten
Die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg war für viele Menschen sehr schwierig, wenn sie nicht das Glück hatten, wohlgeboren zu sein oder zumindest inmitten einer gutbürgerlichen Gesellschaft. Für den größten Teil der Bevölkerung waren Armut und harte Arbeit miteinander untrennbar verbunden. Das galt für die Landbevölkerung ganz besonders, sodass hier eine starke Stadtflucht passierte.
Mit der Hoffnung auf eine besser bezahlte Tätigkeit und die infrastrukturellen Vorteile von Ballungsgebieten zogen viele arme Bauern, Mägde und Knechte in die Zentren, denn hier florierte die industrielle Produktion. Was diese Menschen fanden, waren jedoch unmenschliche Arbeits- und Lebensbedingungen, wie sie vorher nicht bekannt waren.
Vor allem die Wohnungssituation war verheerend, wovon noch heute Begriffe berüchtigt sind wie Mietskasernen und Schichtschläfer, die typisch waren für diese Zeit. Nach dem Ersten Weltkrieg und mit dem wirtschaftlichen Aufschwung kam allerdings keine Wende im Wohnungsmarkt, vielmehr wurde diese durch die Krise 1930 noch weiter verschärft.
Wissenschaftler, Gelehrte und Kritiker forderten darum die Umsetzung der Maxime nach Licht, Luft und Sonne. In den engen Mietskasernen waren vor allem die hygienischen Bedingungen katastrophal, sodass immer wieder flächendeckende Krankheiten ausbrachen. Das Prinzip von Wohnräumen, die lichtdurchflutet und frisch belüftet werden können galt somit als gesundes Ideal im damaligen Wohnungsbau.
Zuerst begann diese Idee sich im Bereich der Krankenhäuser und Sanatorien umzusetzen, wo viele Zeitgenossen aufgrund von Lungenleiden behandelt wurde. Hier wurden auch schwache Patienten selbst bei kaltem Wetter zum Sonnenbaden aufgerufen. Die Patientenräume waren entsprechend hoch und hell, was auch angenehm und befreiend auf die Patienten wirkte.
3. Feuer und Flamme – Die Versorgung von Altbauwohnungen mit Licht und Wärme
Wer es sich leisten konnte, eine große Wohnung mit hohen Decken in einer exklusiven städtischen Lage zu bewohnen, hatte meist keine größeren Probleme damit, den täglichen Bedarf zu finanzieren. Dabei spielt es auch keine Rolle, dass besonders hochwertige Altbauten lediglich große und hohe Räume besaßen für die vornehme Gesellschaft. Das Hauspersonal und die Dienstboten mussten meist immer noch unter deutlich einfacheren und engeren Bedingungen zurechtkommen.
Der Vorteil niedriger Raume mit kompakten und effektiven Grundrissen besteht insbesondere in der Wartung und Instandhaltung, also in Bezug Heizung und Licht. Gerade ein behagliches Raumklima ist außerhalb der Sommermonate auch heute noch schwierig zu erreichen, wenngleich Altbauten dabei etwas behilflicher sind. Zwar besitzen diese Altbauten oft noch klassisches Mauerwerk, doch große Fenster lassen viel von der Außenatmosphäre in die Wohnung hinein.
Das bedeutet gerade im Winter einen hohen Aufwand, um diese Räume angemessen zu beheizen. Jedoch besteht neben diesen Nachteilen auch ein praktischer Vorteil darin, Räume mit hohen Decken zu nutzen. Tatsächlich wurden diese Gebäude ursprünglich vornehmlich mit Gas beheizt und beleuchtet. Üblich waren dafür Gasöfen mit offenen Flammen und Lichter, die nach dem Prinzip von Petroleumleuchten funktionierten.
Somit wirkte die hohe Decke nicht nur gestalterisch attraktiv und standesgemäß, sondern auch funktional zur Sicherheit der Bewohner. Das leichtere Gas konnte nämlich aufgrund dieser Gestaltung einfach zur Decke ziehen, ohne dass die Menschen im Raum in Gefahr gerieten. Ebenso verhindert dieser eigentlich einfache bauliche Trick, dass sich das brennbare Gas allzu bald so weit im Raum ansammelt, dass die Beleuchtung ein Brandrisiko sein könnte.