Eine Tierwohlabgabe (Fleischsteuer) brachte von Regierungsseite erstmals im Januar 2020 die damalige Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) ins Gespräch. Aus Kreisen von Umwelt- und Tierschützern ist die Forderung schon älter. Die Abgabe auf Milch und Fleisch soll dazu verwendet werden, Tiere artgerechter zu halten. Sie würde tierische Produkte durchaus verteuern, nach den damaligen Plänen das Fleisch wohl um durchschnittlich 40 bis 50 ct/kg.
Noch gibt es die Abgabe in Deutschland nicht, sie könnte aber kommen (Stand: März 2022): In den Koalitionsverhandlungen zwischen den Parteien, welche die gegenwärtige Bundesregierung bilden, hatte die FDP im Oktober 2021 ihren anfänglichen Widerstand gegen die Fleischsteuer aufgegeben. Die SPD und die Grünen waren ohnehin dafür gewesen. Unumstritten ist, dass tierische Lebensmittel in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern extrem günstig angeboten werden.
Wie teuer könnte eine Tierwohlabgabe für die Verbraucher werden?
Nach den Berechnungen verschiedener Experten würde eine Verteuerung von Fleisch und Milch per Tierwohlabgabe den durchschnittlichen Verbraucher etwa vier bis zehn Euro pro Monat kosten. Das wäre nach der Auffassung von Umwelt- und Tierschützern, aber auch der zuständigen Minister (derzeit: Cem Özdemir von den Grünen) und des Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes Joachim Rukwied durchaus vertretbar. Greenpeace begrüßt das Vorhaben ebenfalls.
Seit Anfang 2020 ringen nun die Verbände und Ministerien um eine Ausgestaltung dieser Fleisch- und Milchsteuer. Unter anderem legten Umweltschützer Vorschläge auf den Tisch, die zu einer klimafreundlicheren Ernährung führen könnten. Es geht nicht nur um das Tierwohl, sondern auch um den Umweltschutz, denn Massentierhaltung mit ihren Unmengen an Gülle und Methan belastet auch die Böden und das Klima. Für das Tierwohl wiederum müssen Bauern dabei unterstützt werden, ihre Ställe artgerecht umzubauen.
Von Greenpeace kommt der Vorschlag, neben der direkten Tierwohlabgabe auf jedes Kilogramm Fleisch und jeden Liter Milch (wahrscheinlich auch auf jedes Ei sowie auf Leder und weitere Tierprodukte) auch die Mehrwertsteuer auf Fleisch- und Milchprodukte zu erhöhen. Diese beträgt wie für alle Lebensmittel in Deutschland 7 %. Es müsste dann also der Standardsteuersatz von 19 % gelten. Der Agrarexperte von Greenpeace Martin Hofstetter hofft mit solchen Schritten auf drei Effekte:
- #1 Die Bundesbürger würden weniger tierische Produkte konsumieren, was die Massentierhaltung einschränken würde.
- #2 Weniger Tiere würden die Umwelt entlasten.
- #3 Die Landwirte könnten mit den verbesserten Einnahmen durch die Tierwohlabgabe in tierfreundlichere Ställe investieren.
Über die Höhe einer Tierwohlabgabe gibt es bislang keine Einigung. Greenpeace kann sich Aufschläge von bis zu 50 ct/kg auf den Fleischpreis und bis zu 1,5 ct/l auf den Milchpreis vorstellen. Doch auch Differenzierungen zwischen einzelnen Produkten sind denkbar, weil der Umbau einzelner Ställe unterschiedlich teuer ist. So wären 75 ct/kg auf Rindfleisch, 50 ct/kg auf Schweinefleisch und 20 ct/kg bei Geflügel denkbar. Auf Bioprodukte könnte es auch gar keine Aufschläge geben.
Was könnte eine Tierwohlabgabe bringen? Wirkung, Erklärung
Das FÖS (Forum Ökologisch-soziale Marktwirtschaft) hat für Greenpeace berechnet, dass diese Abgabe (direkter Aufschlag + Erhöhung der Mehrwertsteuer) in die Kasse der Regierung 2,9 bis 7,3 Milliarden Euro pro Jahr spülen könnte. Diese müssten dann zu den Bauern weitergeleitet werden, die damit tierfreundliche Investitionen vornehmen. Aus dieser prognostizierten Spanne ergibt sich die mögliche Belastung für die Verbraucher von vier bis zehn Euro pro Monat. Unter Umständen könnte die Abgabe durch eine Reduzierung der Tierbestände 6,6 Millionen Tonnen CO₂-Ausstoß vermeiden.
Diskussionen um die Tierwohlabgabe
Der Vorschlag für eine Tierwohlabgabe kommt von Greenpeace und Tierschützern schon seit Jahren, doch im Jahr 2019 griffen ihn auch Bündnis 90/Grüne – damals in der Opposition – sowie die damalige Regierungspartei SPD auf. Beide Parteien wollten zumindest die Mehrwertsteuer auf Fleisch und Wurst erhöhen, kassierten aber zunächst für ihren Vorstoß heftige Kritik nicht nur aus den Reihen der Union, sondern auch der Linken und teilweise der AfD. Man warf ihnen vor, mit so einer Steuererhöhung den unteren Einkommensschichten einen Fleischkonsum fast unmöglich zu machen.
Dafür hatte Greenpeace die kreative Idee, die Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse vom deutschen ermäßigten Satz (7 %) auf den EU-Mindeststeuersatz von 5 % zu senken. Immerhin könnte das auch die etwas gesündere Ernährung fördern. All das konnte sich bislang nicht durchsetzen, obwohl es viel prominenten Zuspruch für solche Vorschläge gibt. Die Ex-Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast (Bündnis 90/Grüne) forderte aus ihren eigenen Erfahrungen im Amt heraus eine bessere Tierhaltung. Sie stellte klar, dass sich die Verbraucher*innen maximal empören würden, wenn sie wirklich wüssten, unter welch miserablen Bedingungen etwa Schweine gehalten werden. Unter anderem sprach Künast den wochenlangen Kastenstand von Sauen an. Eine finanzielle Unterstützung der Bauern für nötige Umbauten in den Ställen sei unabdingbar, die Tierwohlabgabe könne dazu beitragen. Daneben seien auch ein verbessertes Ordnungsrecht und umfassende Kennzeichnungen von Fleisch und Wurst nötig.
Künast forderte die Einrichtung einer Kommission, welche das Ende der Massentierhaltung organisiert und begleitet. Dieser Aufgabe müsse sich die Gesellschaft stellen. Die damalige Landwirtschaftsministerin Klöckner brachte ein staatliches Tierwohllabel und staatliche Zuschüsse für die Bauern ins Spiel. Die seinerzeitige niedersächsische Agrarministerin Barbara Otte-Kinast von der CDU schloss sich schon zeitig der Forderung einer direkten Tierwohlabgabe an. Die SPD und die Grünen wollen eine Gestaltung der Tierwohlabgabe, die auf den Erkenntnissen des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung basiert, das der ehemalige Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert leitet.
Was bedeutet Tierwohl konkret? Bedeutung, Definition, Erklärung
Die Begrifflichkeiten Tierwohl und Tierschutz vermengen sich teilweise ein wenig. Auch von Tiergerechtigkeit ist oft die Rede. Nicht nur Tierschutzverbände operieren mit diesen Begriffen, auch Wissenschaftler geben seit Jahren zu Protokoll, dass man sich um Tierwohl und -schutz durchaus kümmern müsse. Beim Tierwohl kritisieren sie beispielsweise nicht artgerechte Haltungsbedingungen in deutschen Ställen. Die Begriffe könnten sich auf verschiedene Weise definieren lassen, etwa so:
- Mit Tierwohl ist eher das Wohl von Nutztieren gemeint, so die Haltung von Rindern, Schweinen und Geflügel in Ställen.
- Tierschutz ist ein übergreifender Begriff, der alle Tiere, also auch Haustiere und wilde Tiere, umfasst.
In der politischen und wissenschaftlichen Diskussion hat sich allerdings eine andere Sichtweise auf diese beiden Begriffe etabliert. Demnach bezieht sich der Begriff Tierwohl darauf, wie es Tieren ergeht, während der Tierschutz die Maßnahmen meint, die Menschen für das Tierwohl ergreifen. So soll der Tierschutz rechtliche Rahmenbedingungen für die Haltung von Nutztieren und für den Umgang mit allen Tieren schaffen. Das ist in Ordnung, nur sollten wir wissen, dass in der öffentlichen Diskussion die Begriffsbestimmungen nicht immer einheitlich sind.
Was sagt die deutsche Gesetzgebung zum Tierschutz?
In Deutschland ist der Tierschutz seit 2002 im Artikel 20a des Grundgesetzes verankert. Die allgemeinen Anforderungen beschreibt das Tierschutzgesetz, während die Nutztierhaltungsverordnung den Tierschutz bei der Haltung von Nutztieren mit detaillierten Vorschriften ausformuliert. Allerdings ist diese Verordnung nicht lückenlos. So fehlen Vorschriften für Milchkühe, Mastrinder und Puten. Wo es konkrete rechtliche Regelungen gibt, betreffen diese
- die Zucht von Tieren,
- die Tierhaltung,
- die Schlachtung und
- nicht kurative Eingriffe (Kürzen von Ferkelschwänzen, Enthornen von Rindern).
Expert*innen verweisen nun darauf, dass diese gesetzlichen Vorgaben nur absolute Basisstandards beschreiben. Hier kommt die Tierwohlabgabe ins Spiel: Die meisten Landwirte kommen über die Einhaltung dieser Standards aus finanziellen Gründen nicht hinaus. Dafür müssten die Großhandelspreise steigen, was nur über eine Tierwohlabgabe zu steuern wäre.
Siehe: Was ist die 5D-Regel?
Ist Tierwohl messbar?
Um die Messung des Tierwohls wird gerungen, weil sich eine in exakten Preisen bemessene Tierwohlabgabe an exakten Daten des Tierwohls orientieren müsste. Indes gibt es solche Daten bislang noch nicht. Dennoch existieren zumindest verbale Definitionen des Tierwohls. Prof. Dr. Ute Knierim ist Nutztierethologin an der Universität Kassel. Sie hat Gutachten zum Tierwohl verfasst und bezeichnet es als den Grad an Gesundheit und Wohlbefinden von einzelnen Tieren und Tieren in einer Herde. Das Wohlbefinden lässt sich daran ablesen, inwieweit sich das Tier seiner Natur entsprechend mit seiner Umgebung auseinandersetzen und dabei positiv empfinden kann.
Ein Tier, das Freigang gewöhnt ist, kann sich im Stall nicht wohlfühlen, das ist vollkommen klar. Laut Prof. Knierim gibt es Tierwohl von sehr niedriger bis höchster Ausprägung. In niedrigster Ausprägung ist das Tier krank und stirbt möglicherweise an seiner Umgebung, wie es in Ställen immer wieder passiert. In höchster Ausprägung kann sich das Tier seiner Natur entsprechend frei bewegen und wird möglicherweise im Notfall sogar noch vom Menschen versorgt. Das wäre bei Wildtieren (unter anderem bei Rehen und Hirschen) der Fall, die in einer natürlichen Umgebung ohne natürliche Feinde leben und im Winter Futter an einer vom Menschen eingerichteten Fressstelle vorfinden.
Dies ist ein Paradies für diese Tiere, das Kritiker schon nicht mehr als artgerecht bezeichnen. Aus diesem paradiesischen Zustand erwächst eine zu hohe Wildpopulation, die zu Flurschäden führt. Dann treten die Jäger auf den Plan, die dem überbordenden Tierwohl wieder etwas die Flügel stutzen, wenn es schon keine Wölfe und Bären gibt. Das Tierwohl unserer Nutztiere bewegt sich bestenfalls auf einer mittleren Skala. Freilaufende Hühner in einem ausreichend großen Areal sind in ihrem kurzen Leben halbwegs glücklich, Rinder auf der Alm bestimmt auch.
In engen Ställen eingesperrte Tiere sind es ganz sicher nicht. Die Messung des Tierwohls versucht in Deutschland das Projekt NaTiMon (Nationales Tierwohl-Monitoring). Wenn es zu exakten Daten kommen sollte, dürften diese die Basis für eine Tierwohlabgabe darstellen. Vor solchen Ergebnissen bleibt diese Abgabe eine politische und damit stets umstrittene Entscheidung, die gleichwohl überfällig wäre.