Als Lippenbekenntnis wird eine Zusage beschrieben, die praktisch wertlos ist. Der Grund dafür liegt entweder darin, dass der Inhalt der Zusage vorab nicht ernst genommen und daher nicht eingehalten wird, oder er so vage und unzureichend formuliert wird, dass alle anderen Personen, an die das Bekenntnis gerichtet sind, keinerlei konkrete Ergebnisse erwarten dürfen. Der Begriff Lippenbekenntnis ist daher so zu verstehen, dass nur die Lippen bzw. der Mund der zusagenden Person das Bekenntnis verlautbaren, aber die Gedanken dahinter tun es nicht.
Lippenbekenntnisse haben vor allem eine Funktion als rhetorisches Stilmittel bei Verhandlungen, in denen eine bestimmte Person oder Partei situationsbedingt gezwungen ist, sich zu etwas zu bekennen, weil andererseits der Verlust der Glaubwürdigkeit droht. Mithilfe einer ungenauen Zusage behält die entsprechende Partei ihren Platz am Verhandlungstisch, da sie bei den anderen Parteien eine zumindest schwache Hoffnung auf Mitarbeit weckt. Andererseits schützt man sich mit einer vagen Ausdrucksweise davor, später nicht auf bestimmte Eckpunkte der Vereinbarung festgenagelt zu werden, denen man sonst deutlich zugestimmt hätte. Das Aussprechen von Lippenbekenntnissen kann sehr unangenehm für die betreffende Person sein, da sie oft auch im Interesse ihrer Vorgesetzten, Firma, Partei, Wählerschaft oder Glaubensgemeinschaft handelt und dieses wahren muss. Das zwingt sie vor allem bei Verhandlungen mit sehr kontroversen Meinungen, so wenig wie möglich auf die Gegenseite einzugehen, wenn sie nicht gleichzeitig ihr Klientel verraten will.
Was ist ein Lippenbekenntnis? Bedeutung, Definition, Erklärung
Wohl mit Abstand am häufigsten findet man Lippenbekenntnisse in der Politik vor. Gerade auch in einem demokratischen Rechtsstaat ist der Erfolg von der Kunst abhängig, Kompromisse zwischen Verhandlungspartnern zu finden. Häufig betreten zwei Parteien einen Verhandlungsraum mit sehr gegensätzlichen Positionen, einigen sich aber im Laufe der Gespräche auf beiderseitige Abschwächung der eigenen Forderungen, bis man einen gemeinsamen Nenner gefunden hat. Schwierig wird es dann, wenn eine Seite von der anderen eine Zusage verlangt und von dieser Forderung nicht absehen will. Dann kann die andere Seite ein Lippenbekenntnis aussprechen, sodass niemand die Verhandlungen mit leeren Händen verlässt.
Ebenfalls politischer Natur sind Lippenbekenntnisse gegenüber der Wählerschaft. Man verfolgt mit seiner Partei eine klare Agenda, aber ihre Umsetzung gestaltet sich oft kompliziert. Da ist es besser, sich über die konkreten Schritte zur Erfüllung der Wahlversprechen auszuschweigen, um nicht später daran erinnert zu werden. Hoffnung spielt hier eine wichtige Rolle, da ein Lippenbekenntnis oft leicht erkannt wird, es aber den Angesprochenen zumindest eine theoretische Möglichkeit auf weitere konkrete Schritte einräumt.
Lippenbekenntnisse können auch bloße Floskeln sein, mit der eine Verhandlungspartei auf die denkbar höflichste Art ihre Ablehnung aller Vorschläge oder Forderungen der Gegenseite zum Ausdruck bringen will. Sind die Verhandlungen festgefahren oder gescheitert, ist eine Zusage ohne konkrete Ankündigungen meist ein guter Weg, die Verhandlungspartner nicht vor den Kopf zu stoßen, ihnen aber zu verstehen zu geben, dass der eingeschlagene Weg zu keinem für alle Seiten befriedigendem Ergebnis führen kann.
Beispiele für Lippenbekenntnisse
Viele Opferverbände kritisieren die mutmaßliche Verzögerungstaktik der katholischen Kirche in Deutschland und anderswo bei der Aufklärung der Missbrauchsfälle, auch wenn die Vertreter der Kirche selbst eine „schonungslose Aufarbeitung“ angekündigt haben. Die Betroffenen hingegen klagen über geschwärzte Berichte, ausgebliebene Rücktritte oder schleppende Ermittlungen. Insofern kann man von einem Lippenbekenntnis sprechen.
Ein weiteres Beispiel für ein Thema mit vielen Lippenbekenntnissen seitens der Politik ist der Klimawandel. Politiker quer durch alle Lager sehen sich einerseits mit dem Fakt der Erderwärmung inklusive aller damit einhergehenden Probleme konfrontiert, andererseits müssen viele von ihnen Rücksicht auf Interessenverbände aus Industrie und Wirtschaft nehmen, wie auch auf die Sorgen ihrer Wählerinnen und Wähler, die sich durch eine allzu klimafreundliche Politik möglicherweise mit teuren Energieumlagen konfrontiert sehen.
Je weniger konkrete Angaben eine Zusage erhält, desto wahrscheinlicher handelt es sich um ein Lippenbekenntnis. Gerade beim Thema Klimawandel ist das gut zu beobachten, wenn keine Zahlen ausgesprochen werden, z.B. dass „man sich auf die Reduzierung von Treibhausgasen einigt“ oder „sich über Maßnahmen beraten wird“. Besser ist es dagegen, konkrete und statistisch verwertbare Punkte anzusprechen, z.B. durch Aussagen wie „eine Senkung der Ausstoßes der Treibhausgase auf 50% des Wertes von 1990“, oder „Klimaneutralität bis 2030“. Natürlich müssen diese Zusagen eingehalten werden. Oder, im Falle einer Nichteinhaltung, sollte ein guter Grund für das Scheitern der zugesagten Punkte vorliegen.
Gerade politisch interessierte Menschen sollten besser in der Lage sein, Lippenbekenntnisse zu erkennen. Das hilft ihnen, die eigenen Erwartungshaltungen anzupassen. Man braucht aber jene, die Lippenbekenntnisse häufiger aussprechen, nicht pauschal moralisch verurteilen. Oft genug bleibt ihnen keine andere Wahl.