Algospeak ist ein Begriff, der sich aus den Worten Algorithmus und Speak zusammensetzt und von der Journalistin Taylor Lorenz (Washington Post) geprägt wurde. Gemeint ist mit „Algospeak“ die Erfindung neuer Wörter, die dazu dienen, den Algorithmus der Social-Media-Plattformen zu überlisten. Denn die Algorithmen filtern Worte und unterdrücken Themen, die die Betreiber der Social-Media-Plattformen anstößig, unmoralisch oder falsch finden. Durch die Nutzung dieser Fantasiewörter hat sich unter Jugendlichen eine regelrechte Geheimsprache entwickelt, die man vor allem auf TikTok und Instagram findet.
Ein Beispiel gefällig? „Seggs“ ist ein Begriff für Geschlechtsverkehr, der von Algorithmen noch nicht erkannt wird. Der Ausdruck „Seggs“ ermöglicht es, über Geschlechtsverkehr in den sozialen Medien zu reden, ohne das der Algorithmus Inhalte dazu unterdrückt.
Was ist Algospeak? Bedeutung, Definition, Erklärung
Anstößige Wörter, Hassreden, Ü18-Begriffe und Begriffe aus der LGBTQ-Community werden im Internet häufig in ihrer Sichtbarkeit reduziert. Aber auch Themen wie Gewalt, Tod und Verschwörungstheorien werden in ihrer Sichtbarkeit reduziert. Das bedeutet, Inhalte, die Worte aus diesen Themenbereichen enthalten, werden in ihrer Sichtbarkeit sehr stark eingeschränkt. (Siehe: Shadowban)
Für die Nutzer und Nutzerinnen ist der Algorithmus größtenteils intransparent, sie können nicht einschätzen, welche Worte für TikTok & Co. auf dem Index stehen. Zudem werden sie nicht darüber informiert, wenn eine Reduzierung der Sichtbarkeit erfolgt und sie erfahren auch nicht, wo der „Fehler“ lag, sodass sie ihn korrigieren könnten. Teils ist es unerheblich, ob die Begriffe in einem sachlichen Zusammenhang stehen. Alleine die Erwähnung reicht den Plattformen aus, den gesamten Content zu sperren.
So blieb und bleibt InfluencerInnen, deren beruflicher Erfolg auf Reichweite beruht, und anderen jungen Menschen nichts anderes übrig, als eine Sprache zu benutzen, die quasi wie ein Chiffriercode funktioniert. Gezwungen durch den Algorithmus wurden und werden nahezu täglich verfängliche Wörter verändert und Bestandteil von Algospeak. Um die Wortfilter auf den Social-Media-Plattformen zu umgehen, verwenden User und UserInnen neben Abkürzungen auch gezielt Schreibfehler, Hashtags und Sonderzeichen. Nahezu alle jungen UserInnen, die regelmäßig auf Instagram oder TikTok aktiv sind, kennen die Codes und können sie problemlos dechiffrieren. Typische Beispiele sind die Fantasiebegriffe Seggs, wo die drei mittleren Buchstaben das x ersetzen, oder der Begriff F3tisch, in dem die Zahl 3 den Buchstaben e ersetzt.
Warum unterdrücken Social-Media-Plattformen bestimmte Worte? Warum gibt es Algospeak?
Die Social-Media-Plattformen wollen ein Ort sein, an denen Werbekunden gern Geld ausgeben. Hier wird oft der Ausdruck „familienfreundlich“ verwendet. Hinter dem Ausdruck „familienfreundlich“ steckt das Ansinnen, dass Inhalte auch für Nutzer, die erst über 13 Jahre alt sind, geeignet sind. Das schließt z.B. Themen wie Geschlechtsverkehr oder Gewaltdarstellungen aus.
Für die Social-Media-Plattformen ist es bei Themen nicht ersichtlich, ob diese z.B. der Aufklärung oder der Darstellung dienen. Daher entscheiden die Plattformen einfach, auf Nummer sicher zu gehen und bestimmte Themen stark zu unterdrücken, um eben ihre „Familienfreundlichkeit“ ergo „Werbefreundlichkeit“ zu erreichen.
Die Einschränkung der Sichtbarkeit von bestimmten Themen erzeugt ein Problem: Denn damit wird zwar die Darstellung dieser Themen reduziert, und auch die Aufklärung. Jugendliche erhalten somit z.B. keine Aufklärung mehr in den sozialen Medien, können aber im Internet weiterhin z.B. Ü18-Inhalte konsumieren. Algospeak ist hier eine Lösung. Denn damit kann weiterhin über diese Themen gesprochen werden.
Die Social-Media-Plattformen bewegen sich also zwischen den Polen: Schutz von Minderjährigen, Meinungsfreiheit und Zensur.
Algospeak: Beispiele, Liste
- 🍆 = Penis
- 🍑 = Po
- 🍒 = Brüste
- 🌽 = Erwachsenenfilmindustire
- Gest0rben = gestorben (Das „o“ wurde durch eine Null ersetzt.)
- G3w4lt = Gewalt
- Le Dollar Bean = Lesbian
- Le$bean = Lesbian
- Nip nops = Nippel
- P⭐️ = Darsteller in Erwachsenenfilmen
- Seggs = Geschlechtsverkehr
- Unalive = dead, tot, Tod
- T?d = Tod
TikTok: Algospeak
NDR, WDR und die Tagesschau-Redaktion der ARD recherchierten, dass TikTok Deutschland Beiträge, in denen die Begriffe „homosexuell“, „Ausschwitz“, „Nationalsozialismus“ und „LGBTQ“ vorkommen, weniger NutzerInnen anzeigt als Posts, die diese Wörter nicht enthalten. Auch Wörter, die die Buchstaben „ss“ enthalten, z. B. Hass, und Rassismus, aber auch Wasser, wurden im deutschen Sprachraum bereits häufig zensiert. Die Tagesschau testete 100 verschiedene Wortkombinationen und konnte 19 Wörter ausfindig machen, die TikTok zensiert. Auf Nachfrage gab TikTok an, mit dem Filtern Hassreden und Spam vorbeugen zu wollen. Diese Erklärung ist jedoch wenig glaubwürdig zu sein.
Unter den Folgen leiden hauptsächlich Bevölkerungsgruppen, die sich ihre Sichtbarkeit hart erkämpft haben und nun Gefahr laufen, erneut marginalisiert zu werden.
Wer auf den erwähnten Social Media Kanälen über besondere Themen sprechen möchte, ohne seine Reichweite einzubüßen, muss daher kritische Begriffe umschreiben oder durch Fantasiewörter ersetzen. Algospeak ist mittlerweile so verbreitet, dass man die Formulierungen für eine neue Jugendsprache halten könnte. Immerhin benutzt ein Drittel der auf Social-Media-Plattformen aktiven Menschen zwischen 14 und 29 Jahren diese Wendungen. Doch die Ausdrucksweise ist keineswegs eine neue Jugendsprache. Es handelt sich vielmehr um eine Notlösung, aufgezwungen durch die Zensur der Internet-Konzerne. Die hat jedoch erhebliche Folgewirkungen, auch auf die nicht digitale Sprache. Sogar unsere Denkweise wird davon tangiert.
Mittlerweile bedienen sich viele Interessensgruppen Algospeak, um ihre Inhalte auf Social Media unzensiert platzieren zu können. Tatsächlich entwickelt sich Algospeak zu einer eigenständigen Sprache mit neuartigen Vokabeln, die Insidern vertraut sind. Heute stehen die Tech-Konzerne verstärkt unter Druck und werden in die Verantwortung genommen, weniger in die Meinungsfreiheit einzugreifen.