Was bedeutet „normativ“? Bedeutung, Definition, Erklärung

Was bedeutet normativ, Bedeutung, Definition, Erklärung


Das Adjektiv normativ gilt zwar als mehrdeutig, weil es sich auf soziale, ethische und juristische Normen anwenden lässt. Allgemein wird aber darunter spontan verstanden, dass eine Sache einer bestimmten Norm entsprechen soll und dass diese Norm vorliegt, also erkennbar ist.

Zwischen sozialen, ethischen und juristischen Normen gibt es Wechselbeziehungen und Überschneidungen. Gleichzeitig beinhalten diese Teilbereiche des Normativen Regeln. Das Konzept unterscheidet sich insofern vom Deskriptiven und ist diesem entgegengesetzt, als dass Letzteres einen Zustand wertfrei beschreibt, während das Normative formuliert, wie er eigentlich sein sollte. Ursprünglich stammt diese Idee aus der Philosophie. Die Rechts-, Kultur- und Sozialwissenschaften haben sie dann übernommen.

Normative und deskriptive Theorien

Die Wissenschaftstheorie stellt für die Geisteswissenschaften die These auf, dass deren Theorien grundsätzlich wahlweise deskriptiv (beschreibend) oder normativ (vorschreibend, damit präskriptiv) sind. Es herrscht somit eine Dualität zwischen empirisch erfassbaren, beschreibbaren und in einem gewissen Rahmen auch messbaren Zuständen sowie den a priori (vor aller Erfahrung) gedachten Normen.

Einige Forschungsansätze verwenden das Adjektiv normativ sogar als Namensbestandteil, so etwa die normativ-ontologischen Ansätze. Diese gehören zur politischen Wissenschaft, die von einer vorhandenen Moral ausgeht, die zu normativen Aussagen führt. Das wäre in der internationalen Politik beispielsweise das Verbot eines Angriffskrieges. An einem ganz aktuellen Beispiel – des Ukrainekrieges – lässt sich auch gleich der Unterschied zwischen normativen und deskriptiven Theorien feststellen:

Rein normativ ist der Angriffskrieg verboten, weil ihn niemand wollen kann. Immerhin weiß jede Staatsführung, dass sie sich mit so einem Krieg zum Paria macht, ihn verlieren kann, die Welt gegen sich aufbringt und mit Sanktionen überzogen wird. Wenn wir die Welt des Jahres 2022 aber deskriptiv betrachten, findet so ein Krieg gerade statt. Wohlgemerkt handelt es sich beim Verbot des Angriffskrieges zwar um eine gültige Rechtsnorm aus der UN-Charta, jedoch gleichzeitig auch um eine normative Theorie.

Die Politikwissenschaft war theoretisch, aber eben auch rein normativ, wirklich der Ansicht, dass jeder Staat dem Verbot des Angriffskrieges zustimmen müsse, was die meisten Staaten einschließlich Russlands ja auch getan haben. Das bedeutet wiederum, dass normative Theorien von Wissenschaftlern (in diesem Fall Politikwissenschaftlern) aufgestellt werden, um einen wünschenswerten, normgerechten Zustand wissenschaftlich zu finden und zu begründen. Wenn dieser Zustand normativ erkannt wurde, lassen sich daraus praktische Handlungsregeln ableiten. Schon immer aber war dieser Ansatz umstritten, so etwa von den Verfechtern empirisch-analytischer Ansätze, die sich auf Humes Gesetz berufen (siehe nächster Abschnitt).

Normative Philosophie

Aus der Philosophie kommt das Konzept der Normativität. Einen wichtigen Stellenwert nahm seit der Renaissance die Moralphilosophie ein, die normativ klärte, was gut und böse ist. Daraus leitete sie moralisch gebotene Handlungen ab.

Im 18. Jahrhundert deckte der Philosoph David Hume den logischen Unterschied zwischen normativen und deskriptiven Sätzen auf und formulierte daraus „Humes Gesetz“ (Sein-Sollen-Dichotomie [Zweiteilung]). Es besagt auf metaethischer Ebene, dass nicht vom Sein auf das Sollen zu schließen ist. Rein deskriptive Aussagen können daher, müssen aber nicht auf normative Aussagen logisch verweisen. Beispiel:

  • Die meisten Länder streben Frieden mit ihren Nachbarn an (deskriptive Aussage). Die abgeleitete normative Aussage lautet, dass Frieden erstrebenswert ist.
  • Dennoch führen manche Länder Krieg. Die normative Aussage des erstrebenswerten Friedens lässt sich daher nicht logisch aus der deskriptiven Aussage des mehrheitlichen Friedenswunsches ableiten.

Da jedoch normative Philosophie durchaus zu zwingenden Schlüssen führt, haben sich Denkschulen seit der Antike damit beschäftigt. Vor der Renaissance trennte man noch nicht in deskriptive und normative Schlüsse, doch schon Platon und Aristoteles erforschten, ob sich bestimmten Aussagen vollkommen logisch begründen lassen und daher wahr sein müssen. Die führte im 18. Jahrhundert zum Konzept des „a priori“ (vor aller Erfahrung) von Immanuel Kant, das verkürzt besagt, wenn etwas vollkommen logisch begründbar ist, muss es stimmen. In der Mathematik stimmt es schließlich auch.

Das kleine Einmaleins und der Satz des Pythagoras basieren auf Logik und lassen sich praktisch überprüfen. Diese Denkschule reicht bis zum noch lebenden Jürgen Habermas (*1929). Die empirisch-analytische Philosophie unter anderem mit ihrem logischen Empirismus bestreitet den Ansatz jedoch. Letzterer bringt in der Tat die normative Philosophie in erhebliche Schwierigkeiten. Diese Überlegungen sind nicht nur rein philosophischer Natur, sondern sehr lebensnah.

Wenn es normative Schlüsse gibt, kann man aus ihnen Gesetze für das Völkerrecht ableiten. An diese Gesetze müssten sich dann die Staaten überwiegend halten. Die Gesetze müssen normativ erlassen werden, weil die Staaten mit ihrem Völkerrecht nicht erst auf Geschehnisse reagieren können. Nur so ist es möglich, sehr schlimme Ereignisse im Vorfeld zu unterbinden. Im Herbst 2022 wäre das konkret der Einsatz taktischer Atomwaffen auf dem Schlachtfeld der Ukraine.

Normative Rechtswissenschaft

Die Rechtswissenschaft ist das Paradefeld normativer Aussagen, denn gerade hier geht es ja um die Formulierung gültiger Normen, an die sich alle Akteure halten sollen.

Das Adjektiv normativ kommt bei der wissenschaftlichen Beschreibung von wertenden Rechtsbegriffen in Gesetzen oft vor. Auch gilt die Gesamtheit aller Gesetze als normative Ordnung. Die Gesetzgebung der Parlamente ist ebenfalls rein normativ. Normativbestimmungen im Gesellschaftsrecht betreffen beispielsweise die Satzungen von Firmen und Vereinen sowie im Arbeitsrecht die gesetzlichen Vorschriften zu Tarifverträgen.

Die Verabschiedung von Satzungen oder die Ausarbeitung von Tarifverträgen sind normative Tätigkeiten. Sie setzen Normen. Dabei ist zu beachten: Normative Tatbestandsmerkmale sind mehrdeutig und damit wertausfüllungsbedürftig. Es bedarf stets einer juristischen Bewertung, weshalb es Gerichte gibt, die Handlungen deskriptiv betrachten und dann die Abweichung von normativen Gesetzesvorgaben untersuchen, die aber uneindeutig sein wird. Das führt zu verschiedenenen Urteilen bei scheinbar sehr ähnlichen Handlungen und stellt für die Richterinnen und Richter eine echte Herausforderung dar.

Beispiele für uneindeutige Gesetzesvorgaben liefern etwa der § 242 StGB mit dem Begriff „fremd“ und der § 242 BGB mit dem Begriff „Treu und Glauben“.

Normative Sozialwissenschaften

Die Sozialwissenschaften gehen ebenfalls in ihren Beschreibungen normativ vor, wenn sie kulturelle und gesellschaftliche Strukturen der sozialen Aktivitäten in ihrer wünschenswerten Form benennen. Sie stellen damit gesellschaftliche Normen auf, die zu einer stabilen und homogenen Gesellschaftsordnung führen.

Als normatives Verhalten bezeichnet die Soziologie diejenigen sozialen Handlungen, mit denen eine gesellschaftliche Akzeptanz erreicht werden soll. Ein Vorgang soll normalisiert werden. Das können beispielsweise regelmäßige Treffen von Mietern eines Hauses sein, die damit vorhandene Probleme klären. Vorab stellt die Soziologie normativ fest, welche Art des Umgangs überhaupt wünschenswert und produktiv ist.

Autor: Pierre von BedeutungOnline

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