Deutschlands Erfolge beim Eurovision Song Contest gleichen einer Achterbahnfahrt. In mehr als 60 Jahren ESC Geschichte konnte die Nation nur zweimal den Sieg für sich verbuchen. Wesentlich öfter landeten die deutschen Interpreten weit abgeschlagen im Feld. Seit der Wettbewerb über Semifinal-Runden ausgetragen wird, profitiert Deutschland trotz der mäßigen Gesangserfolge von einer Sonderregelung und ist immer im Finale dabei.
ESC und Deutschlands Teilnahme: Das Desaster von 1996 und seine Folgen
Im Jahr 1996 erlebte der Sänger Leon mit seinem Schlager „Blauer Planet“ was vorher kein deutscher Interpret erleiden musste – er war beim Finale in Oslo einfach nicht dabei!
In vierzig Jahren ESC Geschichte hatte es dies noch nie gegeben. Was war passiert? Durch die gestiegene Anzahl Teilnehmer am Wettbewerb wurde ein Vorentscheid notwendig. Leon lag zunächst gut im Rennen. Kein Verantwortlicher aus deutschen Landen hatte sich ein Scheitern des smarten Newcomers vorstellen können. Dennoch passierte es. Für Leon kam das vorzeitige Aus und Deutschlands ESC Stimmung lag am Boden.
Das Finale in Oslo wurde mangels Zuschauerinteresse nur noch in den dritten Programmen übertragen. Die Einschaltquoten rutschten in den Keller.
Dass die deutschen Zuschauer der Sendung den Rücken kehrten, sorgte für Entsetzen bei den Sponsoren. Die Werbeeinnahmen im Umfeld der Show zählen zu den wichtigsten finanziellen Stützen des Wettbewerbs. Deutschland ist, Gesangsleistungen hin oder her, ein nicht wegzudenkendes Ur-Gestein beim Song Contest. Die Deutschen sind ein kaufstarkes Volk und eines der Hauptzielländer für alle Werbetreibenden.
ESC: Eine Lösung musste gefunden werden
Nachdem die Sponsoren der Show auf die Barrikaden gegangen waren, musste der Dachverband handeln. Die Europäische Rundfunkunion (kurz EBU) erstellte unter Einbezug der Hauptteilnehmerländer sowie der Sponsoren einen Lösungsplan.
Ein Nebengedanke befasste sich mit dem Möglichen Aus für viele traditionelle Teilnehmer durch die neue Wertung und den Vorentscheid. Da Länder wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien die Sendung von Anfang an mitgestalteten und maßgeblich an deren Erfolg beteiligt waren, sollten sie unbedingt im Contest bleiben. Schließlich entschloss sich die EBU zu einer „Big Four“ Regelung. Anfangs holte man Spanien noch mit ins Boot. Schließlich zählt der Eurovision Song Contest auch dort zu den medialen Großereignissen und bringt jährlich sehr gute Einschaltquoten.
Wie aus den „Big Four“ die „Big Five“ wurden und Deutschland automatisch gesetzt ist
Natürlich stieß die Entscheidung der EBU auf teils harsche Kritik von anderen Teilnehmer-Ländern. Böse Stimmen behaupteten, die „Big Four“ würden sich die Teilnahme am Contest erkaufen. Tatsächlich bezahlt jede Nation ein Startgeld für den ESC. Außerdem bekommt die EBU von allen Mitgliedern der Europäischen Rundfunkzone Beiträge für die Nutzung von Sendefrequenzen. Der Rest der aufwändigen Produktion wird aus Einnahmen der EBU und den Werbegeldern finanziert.
Die größte Kritik kam aus Italien und der Türkei. Italien blieb dem Contest von 1998 bis 2011 schließlich fern. Offiziell begründeten die Italiener die Entscheidung damit, dass das Interesse an der Show im eigenen Land deutlich gesunken sei. Nachdem die EBU erneut in Verhandlungen mit den italienischen Rundfunkverantwortlichen getreten war, nahm sie das Land ab 2011 in die Sonderregelung auf. Seitdem haben wir die „Big Five“ beim ESC. Den Türken blieb dieser Zugang bisher verwehrt. Als Folge er Entscheidung trat die Türkei von 2013 bis heute in den ESC-Boykott. (Dafür nehmen Israel und Australien teil.)
ESC / Eurovision und Deutschland: automatische Teilnahme ist nicht nur Vorteil
Was zunächst wie ein immenser Vorteil für die „Big Five“ wirkt, hat tatsächlich auch Nachteile. Seit 2008 die großen beiden Semifinale eingeführt wurden und viele neue ESC-verrückte Nationen dazu gekommen sind, gehen die „Großen Fünf“ nämlich etwas unter!
Rund um die Halbfinale herrscht in vielen Ländern ein riesen Hype. Es wird gefiebert und abgestimmt. Interpret und Titel der „Big Five“ werden zwar in einem kurzen Clip vorgestellt, sie treten aber nicht live auf. Kenner der Show munkeln, dass genau dies zum Absturz zweier großer ESC-Nationen geführt habe. Insgeheim hätten viele der Zuschauer in den Vorrunden bereits ihren Favoriten gewählt.
Die Ergebnisse der einst erfolgsverwöhnten Länder Frankreich und Großbritannien untermauern diese These. Großbritannien schaffte es nur noch 2002 mit Jessica Garlick und „Come Back“ sowie 2009 mit Jade Ewen und „My Time“ unter die Top 10. Ganz ähnlich erging es den Franzosen. Das einst erfolgreiche Land verbuchte mehr Platzierungen im letzten Drittel als jemals zuvor.
Und Deutschland? Sonderregelungen hin oder her, der Überraschungserfolg von Lena 2010 zeigt, dass Erfolg doch möglich ist, wenn ein Titel einfach einschlägt. Nach dieser Ausnahme pendelte sich Deutschlands ESC-Kurve wieder irgendwo zwischen Mittelfeld, kurzem Hoch und Absturz ein. Egal, die Fans lieben die Show trotzdem, die Sponsoren bleiben dem ESC erhalten und davon profitieren schlussendlich alle Teilnehmer des Wettbewerbs!