Was ist der Eurasismus? Bedeutung, Definition, Erklärung

Was ist der Eurasismus, Bedeutung, Definition, Erklärung


Die Ideologie des Eurasismus wurde in den 1920-er Jahren von russischen Emigranten aufgestellt. Eurasisten gehen davon aus, dass sich zwischen Europa und Asien ein von Russland beherrschter Kontinent namens Eurasien befindet. Eurasien steht dabei in einem krassen Gegensatz zur westlichen Welt mit ihrer romano-germanischen Prägung.

Um den klassischen Eurasismus zu verstehen, ist es zunächst notwendig, sich mit der Entstehungsgeschichte der Strömung zu befassen. Dabei begeben wir uns in die Zeit zwischen den Kriegen, welche ohnehin voller Krisen und sozialer Spannungsherde erscheint. Nach der Abschaffung der alten Monarchie in Europa herrschte unter der Bevölkerung Orientierungslosigkeit und zahlreiche politische Ideen keimten auf. In diese Zeit des geistigen Umbruchs kann der Eurasismus eingeordnet werden.

Die Entstehung der Bewegung des Eurasismus

Im Jahre 1921 wurde in Sofia der Sammelband „Exodus nach Osten“ herausgebracht. Das in einem russischen Emigrantenverlag herausgegebene Werk enthielt verschiedene Aufsätze. Autoren wie der Theologe Georgi Florowski, der Musikologe Pjotr Suwtschinski oder Ökonom und Philosoph Pjotr Sawizki stehen stellvertretend für das in dem Band vorgestellter Konzept, dem sie die Bezeichnung Eurasismus gaben.

Als einige Anhänger der Bewegung Lehraufträge in Prag erhielten, verlagerte sich das Zentrum der Bewegung. In Berlin wurde der Eurasische Verlag ins Leben gerufen. Mehr und mehr Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens bekannten sich zur Bewegung. Darunter der Literaturwissenschaftler Dmitri Swjatopolk-Mirski.

Die Anhänger der Bewegung erarbeiteten Pläne, im Untergrund eine Partei zu gründen, welche den Sturz der Bolschewiki zum Ziel hatte. Infiltriert vom russischen Geheimdienst sagten sich vermehrt Anhänger los und es bildete sich Ende der 1920-er Jahre ein antisowjetischer und ein prosowjetischer Flügel heraus.

Zum Sitz der „linken Eurasier“ wurde Paris erklärt. In den 1930-er Jahren verließen mehrere Vertreter Frankreich und siedelten in die Sowjetunion über. Während der Stalin-Diktatur kamen Vertreter der Eurasier ums Leben. Ihnen wurde der Prozess aufgrund der Mitgliedschaft in einer „weißgardistischen Organisation“ gemacht.

Verfall und Renaissance

Die eurasische Bewegung wird zu den originellsten Strömungen der russischen Emigrationswelle zwischen 1920 und 1940 gezählt. Die Themen der Bewegung sorgten für Diskussionsstoff im russischen Exil. Der Zerfall der Bewegung kündigte sich Ende der 1930-er Jahre an.

Fünfzig Jahre später lebte der Eurasismus wieder auf. Als das Ende von Gorbatschow`s Perestroika sich ankündigte, wurde nach neuen Formen gesucht, das sowjetische Reich zu einen. Dabei stieß man, eher zufällig, auf den eurasischen Gedanken.

Die Eurasismus-Ideologie unter der Lupe

Nach der Weltsicht der Eurasier befand sich in etwa auf dem Areal des früheren russischen Zarenreichs der Kontinent Eurasien und mit ihm eine unüberwindbare Grenze zur Ideologie des westlichen, romanisch-germanisch geprägten Europas.

Um die Ideologie verstehen und allgemein anwenden zu können, begeben wir uns in deren Zentrum, den „Raum“. Der Raum steht für die Annahme, dass jede Kultur auf ein gewisses Territorium beschränkt bleibt. Auf Russland bezogen, wird von einer eurasischen Kultur ausgegangen, einer Kultur, die von asiatischer Seite aus beeinflusst wird. Der westliche Kulturkreis wird dabei nicht abgelehnt, lediglich als ungeeignet für Russland betrachtet. Weiterhin wird davon ausgegangen, dass sich westeuropäische Kulturen im Verfall befinden.

Die Ziele der Eurasier

Als Ziel strebte die Vereinigung an, die christliche Kirche zu vereinigen. Die Führung soll von der russisch-orthodoxen Kirche ausgehen. Der Katholizismus wird abgelehnt und als Verfälscher des ursprünglichen Christentums angesehen. Der Staat Eurasien soll auf christlichem Fundament stehen und von einem Zaren regiert werden.

Angestrebt wird die Gleichberechtigung aller Nationalitäten. In diesem eurasischen Reich soll auch der Ukraine ein Platz zugewiesen werden. Für den Anspruch ukrainischer Nationalisten, sich Europa zugehörig zu fühlen, gebe es laut Eurasismus keinen historischen Grundsatz. Als wichtigster Nachbar Eurasiens wird China betrachtet.

Neo-Eurasismus – die Gegenströmung

Zu Beginn der 1990er Jahre propagierte der russische Philosoph und Autor Alexander Dugin mit dem Neo-Eurasismus eine Gegenströmung. Der Neo-Eurasismus geht nicht davon aus, dass mit Eurasien ein dritter Kontinent zwischen Europa und Asien existiert. Eurasien wird stattdessen als Europa und Asien definiert.

Dugin setzt sich für die Schaffung eines eurasischen Imperiums ein, welches sich zwischen Dublin und Wladiwostok erstrecken soll und unter der Führung Russlands steht. Der Neo-Eurasismus sieht den wahren Grenzverlauf Russlands bei Cadiz und Dublin. Europa ist laut Dugins Auffassung dazu bestimmt, sich der Sowjetunion anzuschließen.

Beide Strömungen begegnen einem Hauptfeind. Klassische Eurasier sehen das kulturell abweichend geprägte Europa als Feind an. In der Vorstellung der Neo-Eurasier führen eurasische Landstreitkräfte unter russischer Führung einen Krieg mit Seemächten unter der Führung der Vereinigten Staaten. Dugin sieht Europa von Amerika belagert und schreibt Russland die Rolle des Befreiers zu. Das russische Volk bestimmt in seiner Erstarkung den Erfolg der eurasischen Idee. Die Weltsicht Dugins erreicht apokalyptische Züge und schafft vor dem geistigen Auge ein End-Szenario aus Land- und Seeschlacht.

Dugin rief im Jahre 2003 die Internationale Eurasierbewegung ins Leben. Die Bewegung tritt unter anderem bei Kranzniederlegungen am Grabe Stalins öffentlich in Erscheinung. Dugin ist auch in der extremen rechten Szene Deutschlands kein Unbekannter. Der rechtsextreme Verleger Dietmar Munier vertreibt seine Publikationen.

Russland und der Ukraine-Konflikt im Spiegel der eurasischen Ideologie

Russland positioniert sich zunehmend als Großmacht zwischen Europa und Asien. Viele haben nicht daran geglaubt, dass Putin die Ukraine angreift. Die Welt wurde eines Besseren belehrt. Taucht die Frage auf, was sich in Putins Kopf abspielt und ob sich der Angriff vorhersehen ließ, lohnt die Spurensuche.

Tatsächlich hat Putin schriftlich Stellung bezogen, wohlgemerkt, ohne öffentlich ernst genommen worden zu sein. In Verbindung mit dem 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges sind einige Aufsätze aus Putins Feder aufgetaucht. Dort bezieht er klar Stellung und bezeichnet die Ukraine als ein von Russland abgespaltenes Gebiet, welches keine Anerkennung als selbstständiger Staat verdient.

Die Ukrainer stellen, nach Putins Auffassung, keine eigenständige Nation dar, sondern sind als Teil der großrussischen Nationen zu sehen und zu verstehen. Putin bemängelt den Rückgang der russischen Sprache auf ukrainischem Gebiet.

Seine Position wurde damit deutlich, nicht aber die Bereitschaft, einen Krieg zu beginnen, dessen Ausmaße und Ungeheuerlichkeiten in der aktuellen Zeitgeschichte keine Parallelen finden.

Putin – eine Rückschau

Putin wuchs auf als Kind des Kalten Krieges und stieg als Erwachsener zum Mann des Geheimdienstes auf. Zu Beginn seiner Amtszeit wird Putin als sachlicher Gesprächspartner beschrieben. Doch plötzlich ging eine Veränderung mit dem Kreml-Chef vor. Putin sympathisierte mit den russischen Philosophen-Schulen des 19. Jahrhunderts.

Im Jahre 2011 begleitete Putin das Amt des russischen Ministerpräsidenten. Im Herbst selben Jahres lässt eine Veröffentlichung in der Zeitschrift „Iswestija“ aufhorchen. Dort stellte Putin sein Gegengewicht zur Europäischen Union vor und sprach sich für die Schaffung einer Eurasischen Union aus.

Die Vision von Putins „Großeuropa“ wurde spätestens im Jahre 2014 zerschlagen, als sich die Ukraine von Russland abwandte. Anstelle des gescheiterten „Großeuropa“ trat nun „Großeurasien“ als russischer Machtfaktor. Putin weiß, dass sich dies nur realisieren lässt, wenn Russland seine Machtposition stärkt und nicht ein Einfluss verliert.

Eurasien als Zündstoff des Krieges

Zu Putins engsten Stichwortgebern zählt Alexander Dugin und dessen propagiertes Großrussisches Reich, zwischen Dublin und Wladiwostok. Diese Gedankengänge haben den Ukraine-Konflikt geschürt und letztlich das Feuer des Krieges entfacht.

Die Ukraine ist für Putin ein unverzichtbarer Teil seines eurasischen Projektes. Tatsächlich hat sich das Land in Richtung Europäische Union gewandt. Zunächst ging es um einen wirtschaftlichen Vorteil. Anschließend stellte der Westen die Ukraine vor eine Entscheidungsfrage, welche im Nachhinein wohl so nicht hätte formuliert werden sollen.

Wie stark ist die Macht Russlands?

Die im Jahre 2015 gegründete Eurasische Wirtschaftsunion hat ihren Einfluss auf die Nachbarstaaten gefestigt. Hervorgegangen aus der Zollunion zwischen Russland, Kasachstan und Weißrussland, zählen heute auch Kirgistan und Armenien zum Bündnis.

Die Mitglieder haben sich zur Schaffung eines einheitlichen Marktes und der freien Zirkulation von Personen, Waren und Dienstleistungen verpflichtet. Damit werden Parallelen zur Vorgehensweise in der EU deutlich. Im Vordergrund der Bemühungen steht die Wiederherstellung der Sowjetunion.

Russlands Interesse scheint dabei nur bedingt wirtschaftlichen Ursprungs. Auf die vier Mitgliedsstaaten entfallen nur gerade einmal vier Prozent des russischen Gesamthandelspakets. Worum es Russland wirklich geht, ist die Geopolitik. Russland möchte seine internationale Bedeutung durch regionale Allianzen stärken. Das Ziel besteht in einer Art Pförtnerrolle, welche alle Bewegungen überwacht und ein mögliches Ausscheren verhindert.

Russland hat sein Ziel, eine vollwertige Wirtschaftsgemeinschaft zu schaffen, noch längst nicht erreicht. Doch das Projekt gewinnt an Wertigkeit. Die Handelsbeziehungen entwickeln sich positiv. Meinungsumfragen fördern zutage, dass die Mehrheit der Bevölkerung einer Annäherung der früheren Sowjetrepubliken positiv gegenübersteht.

Eurasismus: Welche Entwicklungen sind denkbar?

Welchen Entwicklungsverlauf die Eurasische Union nimmt, ist nicht zuletzt von der Rolle Europas abhängig. Auch wenn Asien an Bedeutung gewinnt, bleibt die EU nach wie vor der wichtigste wirtschaftliche Partner der Eurasischen Union. Brüssel verweigert die Dialogaufnahme, während Asien sich als willkommener Kooperationspartner darzustellen weiß. Sollte es nicht baldmöglichst zu einer Normalisierung der Beziehungen zwischen Europa und Russland kommen, ist die Verschiebung der Handelsströme in Richtung Osten wohl als logische Folge zu betrachten.

Behalten wir Putins Vorstellungen von einem großrussischen Reich zwischen Pazifik und Atlantik im Auge, sind die weiteren Entwicklungen schwer abzuschätzen. Eine mögliche Vorstellung wäre ein Angriff auf das Baltikum. Damit wäre die NATO direkt in diesem Krieg involviert und die Folgen nicht abzusehen.

Autor: Pierre von BedeutungOnline

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