Das Motto „never complain, never explain“ (zu Deutsch: „Beschwere dich nie, erkläre dich nie“) war lange Zeit die ungeschriebene Regel des englischen Königshauses für Äußerungen gegenüber der Öffentlichkeit: Gerüchte und Geschichten über Mitglieder des Königshauses blieben vom königlichen Hof (Royal Court) grundsätzlich unkommentiert.
Ursprung von „never complain, never explain“
Dabei stammt das Motto ursprünglich nicht von einem Mitglied der königlichen Familie. Vielmehr wird der Ausspruch dem britischen Premierminister Benjamin Disraeli (1804-1881) zugeschrieben, der das Amt des Premierministers zweimal unter Königin Victoria ausübte.
Die Maxime „never complain, never explain“ wurde ebenso zum Motto der britischen Königsfamilie wie auch anderer hochrangiger Briten. So war zum Beispiel auch Winston Churchill (1874-1965), der als Premierminister England durch den Zweiten Weltkriegs führte, ein überzeugter Vertreter des Grundsatzes.
Philosophische Wurzeln
Das Konzept des „never complain, never explain“ wurzelt in der Geisteshaltung des Stoizismus, einer philosophischen Strömung aus dem antiken Griechenland. Der Stoizismus sieht den Weg zu Glück und Weisheit in der Besonnenheit, einer selbstbeherrschten Gelassenheit auch in Krisensituationen. Die stoische Auffassung ist: Zwar können wir nicht kontrollieren, was passiert, aber wir können kontrollieren, wie wir auf das, was geschieht, reagieren.
Die Lehre des Stoizismus bietet auch heute noch praktische Lebenshilfe in schwierigen Situationen und zeigt den Weg, gelassener mit Krisen umzugehen: Indem man Schwierigkeiten mit „stoischer Ruhe“ begegnet. Diese „stoische Ruhe“ setzt ein großes Maß an Selbstdisziplin gegenüber den eigenen Gefühlen voraus. Das Motto „never complain, never explain“ appelliert an diese Selbstdisziplin. Wer danach handelt, behält die Kontrolle über die Ereignisse – schützt die Privatsphäre, vermeidet Dramen und glättet die Wogen.
Erfolgskonzept der britischen Monarchie bis weit ins 20. Jahrhundert
Georg V, König des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Irland von 1910 bis zu seinem Tod im Jahr 1936, war es extrem wichtig, Interna aus dem Königshof nicht an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen. Das Mysterium des Königlichen und die darauf gegründete Verehrung für das Königtum sollte erhalten bleiben. Insofern war er äußerst erbost, als seine zukünftige Schwiegertochter, die spätere Queen Elizabeth The Queen Mother (im Volksmund: Queen Mum, Mutter von Queen Elizabeth II), kurz nach ihrer Verlobung mit dem späteren König Georg VI einer Zeitung ein Interview über ihren Ring, die Hochzeit, ihren zukünftigen Ehemann und seine Familie gab. Diese Erfahrung prägte die Queen Mother nachhaltig: Bis zu ihrem Tod im Jahr 2002 machte sie „never complain, never explain“ zu ihrer Maxime und weigerte sich, schwierige Situationen in der königlichen Familie zu kommentieren. Genau wie ihre Mutter beherrschte die 2022 verstorbene Queen Elizabeth II perfekt die Kunst des „never complain, never explain“ und vertraute während ihrer 70jährigen Regentschaft in vielen schwierigen Situationen darauf.
Abschied vom königlichen Motto?
Bis in die 1980er Jahre bewährte sich das „Never Explain“ Modell: Es stärkte das Ansehen der Monarchie. Ab den 1980er Jahren erwies es sich immer wieder auch als schädlich: Für die Monarchie, weil unwahre Berichte nicht kommentiert wurden und damit unwidersprochen blieben. Und für einzelne Mitglieder des Königshauses, weil sie ihre Sichtweise nicht ungehört lassen wollten.
So brach Prinzessin Diana in den 1990er Jahren als eine der ersten Royals mit der „never complain, never explain“-Regel und äußerte sich in einer Reihe von Interviews über persönliche Angelegenheiten. Auch der damalige Prinz Charles entfernte sich 1994 von dem Motto seiner Großmutter und Mutter und erlaubte eine autorisierte Biografie und ein Fernsehinterview, in dem er seine Untreue gegenüber Prinzessin Diana bestätigte.
Im Jahr 2021 sorgten der gemeinsame Sohn von Diana und Charles, Prinz Harry, und seine Frau Meghan Markle für Aufsehen, als sie in einem Interview mit Oprah Winfrey Vorwürfe unter anderem über rassistische Vorurteile in der Königsfamilie erhoben. Sie brachten damit die königliche Familie in die schwierige Situation, die Vorwürfe stehen zu lassen oder eben doch zu kommentieren. Queen Elizabeth blieb bei ihrem Konzept der Zurückhaltung und ließ den Buckingham Palace veröffentlichen, dass „die Erinnerungen variieren können“. Prinz William dagegen nahm deutlich Stellung, indem er äußerte: „Wir sind keine rassistische Familie.“ Beobachter der Royals vermuten, dass die jüngere Generation der britischen Königsfamilie sich vom „never complain, never explain“-Motto verabschieden könnte.
Fazit: Was bedeutet „never complain, never explain“?
Der Leitspruch „never complain, never explain“ passte gut zur Selbstdisziplin („stiff upper lip“) des viktorianischen Zeitalters. Bis weit ins 20 Jahrhundert hinein war er das erfolgreiche Motto des britischen Königshauses: Es bewahrte die Monarchie vor einer Entzauberung und stärkte so ihre Position. In der Zukunft wird möglicherweise eine größere Offenheit und auch Nahbarkeit der königlichen Familie eher geeignet sein, den Fortbestand der Monarchie zu sichern.