Greenflation (aus „Green“ und „Inflation“) bedeutet, dass die Energiewende eine Inflation auslöst. Das ist teilweise zu beobachten und wird noch mehr befürchtet. Hierfür gibt es zwei Hauptursachen:
- #1 Für die Energiewende sind bestimmte Rohstoffe nötig, zum Beispiel seltene Erden für Photovoltaikmodule und viel Stahl für Windräder. Die Rohstoffpreise steigen ohnehin schon. Die Energiewende erzeugt eine noch höhere Nachfrage, die preistreibend (inflationsbefeuernd) wirkt.
- #2 Der Anlagemarkt für grüne Finanzanlagen brummt schon länger und hat inzwischen allein in Europa die Zwei-Billionen-Euro-Grenze überschritten. So viel Kapital wirkt ebenfalls preistreibend.
Greenflation: Das Problem mit den Rohstoffen
Das Problem mit den Rohstoffen ist sehr real. Deren Preise steigen freilich aus unterschiedlichsten Gründen: wegen der anziehenden Weltkonjunktur im Allgemeinen, wegen politischer Unsicherheiten in manchen Fördergebieten und seit 2020 auch wegen der Coronapandemie, welche die Lieferketten manchmal durch Lockdowns und Quarantänemaßnahmen ins Stocken bringt. Nun kommt aber die gigantische Nachfrage nach Rohstoffen für Anlagen hinzu, die erneuerbare Energien produzieren. Beispiel Silizium für Solarzellen: Dieses ist schon von Natur aus knapp, weil es aufwendig hergestellt wird und der Anlauf einer neuen Produktionsstätte rund zwei Jahre dauert.
Die Hersteller investierten in der Vergangenheit eher vorsichtig, weil ein gigantischer Boom von Solarzellen mit der entsprechenden Siliziumnachfrage noch bis etwa 2015 nicht unbedingt absehbar war. Doch nun nimmt die Energiewende weltweit an Fahrt auf, weil die Folgen des Klimawandels nirgendwo auf dem Planeten noch zu übersehen sind. Es steigt daher rasant die Nachfrage nach Silizium, wozu noch weitere Faktoren beitragen: Stahl für Windräder gibt es möglicherweise genug, doch Windräder stoßen zumindest an Land vielfach auf den Widerstand der Bevölkerung. Solarzellen wären die viel weniger sichtbare und vor allem geräuschlose Alternative. Dass damit die Solarmodule und somit auch Silizium teurer werden, ist praktisch unausweichlich. Das ist nur ein Beispiel. Ein anderes wären seltene Rohstoffe wie Lithium und Cadmium für Batterien, die ebenfalls sehr dringend benötigt werden, wenn wir wirklich unseren Strom überwiegend aus erneuerbaren, in der Erzeugung hochvolatilen Energien beziehen wollen.
Da nachts keine Sonne scheint und der Wind unberechenbar ist, muss überschüssiger Strom aus Sonne- und Windkraft dringend in großem Stil gespeichert werden. Es drohen Engpässe bei diesen Rohstoffen und damit eine Aufwärtsspirale aus hoher Nachfrage und knappem Angebot, die extrem preistreibend wirken kann. Das ist Greenflation, die in der Tat beträchtliche Ausmaße annehmen könnte. Dabei haben wir den Agrarsektor noch gar nicht beachtet. Auch hier soll die Billigproduktion mit Pestiziden und Massentierhaltung einer umweltfreundlichen und nachhaltigen Wirtschaft weichen – welche teurer sein wird. Nicht umsonst kündigte der neue Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Grüne) Anfang 2022 höhere Lebensmittelpreise an.
Expertenmeinungen zur Greenflation
Fachleute beachten schon etwas länger den Trend zu höheren Rohstoffpreisen, der auch durch die Energiewende ausgelöst wird. Karl Lichtblau, Chef des IdW (Institut der deutschen Wirtschaft)äußerte Anfang 2022 gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, dass die Energiewende durchaus durch den Rohstoffmangel gefährdet sei.
Der Kölner Ökonom verwies auf Beschaffungsprobleme bei 22 wichtigen Rohstoffen, darunter Lithium, Kupfer und Platin. Kupfer ist für Windräder wichtig, Lithium für die Batterieherstellung und Platin für die Erzeugung von Wasserstoff. Ruchir Sharma, Chefstratege von Morgan Stanley, erwähnte explizit den neuen Ausdruck „Greenflation“. Er befürchtet so stark steigende Preise, dass die weltweite Klimapolitik gefährdet sei. Ein Problem sieht Sharma auch in neuen umweltpolitischen Vorgaben der meisten Staaten, welche die Förderung wichtiger Rohstoffe – darunter Bauxit (für die Aluminiumherstellung) und Kupfer – teurer machen. Diese Rohstoffförderung ging bislang mit einem großen Raubbau an der Natur einher, den es aber zu stoppen gilt. Das sei begrüßenswert, so Sharma, aber: Kohlendioxidfreier Strom werde unterm Strich wahrscheinlich sehr viel teurer werden, als die Weltgemeinschaft bisher angenommen hatte.
Der Bremer Ökonom Rudolf Hickel warnt vor sozialpolitischen Folgen der Greenflation. Er verweist auf die Addition politisch gewollter (siehe Özdemir, Agrarsektor) und marktbedingter Preissteigerungen. Diese würden unweigerlich Geringverdiener und Transferbezieher sehr stark belasten. Wenn Wohnen, Energie und Lebensmittel teurer würden, ginge das ernsthaft an die Substanz, so Hickel. Der Wirtschaftswissenschaftler kritisiert, dass die neue Ampelkoalition alle Auswirkungen solcher Entwicklungen noch nicht ausreichend analysiert habe. Dies werde auch politische Auswirkungen haben. Die explodierenden Preise dürften die Akzeptanz in der Bevölkerung für die Energiewende sinken lassen. Dieses Phänomen könne sogar weltweit die Energiewende ausbremsen, so der Experte weiter. Zwar seien in Deutschland und anderen entwickelten Ländern größere Transferleistungen an Geringverdiener denkbar – in der Mehrheit aller Staaten aber nicht.
Welchen Einfluss hat die Green Finance auf die Greenflation?
Grüne Anlagen gibt es schon seit den 1990er Jahren, doch im neuen Jahrtausend begannen sie zu boomen. Im Jahr 2007 legte dann die EIB (Europäische Investitionsbank mit Sitz in Luxemburg) neue Green Bonds auf, um den Anlegern mit zweckgebundenen Anleihen einen direkten Beitrag zum Klimaschutz zu ermöglichen.
Die Kapitalisierung der Green Bonds überstieg im Jahr 2021 die Grenze von zwei Billionen Euro. Da dieses Kapital in grüne Investments fließt, kann es preistreibend wirken. Dies untersuchten die Finanzexperten Simon Jessop und Sujata Raoder im Auftrag von Reuters. Sie stellten in der Tat punktuelle Preissteigerungen durch den Geldfluss aus den Green Bonds fest, merkten aber an, dass daraus nicht zwingend eine allgemeine Gesetzmäßigkeit abzuleiten sei: Es gebe nämlich auch den umgekehrten Effekt. Da Kapital auch technologische und unternehmerische Entwicklungen beschleunige, entstünden an einigen Stellen sogar preissenkende Effekte durch mehr Effizienz in der Produktion.
Allerdings machten Jessop und Raoder auf einen weiteren möglichen Effekt der Greenflation aufmerksam: Diese könne, so die Ökonomen, die Notenbanken wegen des Inflationsdrucks zu einer Verschärfung ihrer Geldpolitik veranlassen. Dies würde dann Rückkopplungseffekte auf Aktien-, Anleihen- und Währungensmärkte erzeugen. Dieser Effekt sei nur deshalb bis 2021 nicht beachtet worden, weil der Leitzins der EZB schon seit 2016 bei 0,0 % steht und auch die anderen wichtigen Zentralbanken (Fed, BoE, BoJ, SNB) mit äußerst niedrigen Leitzinsen operieren. Ein wenig Inflation wurde bis Anfang 2021 sogar herbeigesehnt. Nun ist sie da, die Greenflation kommt hinzu. Dies müsse die Finanzwelt durchaus beachten, wenn nicht beunruhigen, so Jessop und Raoder.
Einfluss auf die Realwirtschaft
Eine Greenflation scheint unausweichlich, sodass es gilt, ihren Einfluss auf die übrige Realwirtschaft zu untersuchen. Diese soll grüner und nachhaltiger werden, sie dürfte aber in Zukunft auch teurer produzieren. Den Unternehmen stehen als Reaktion darauf zwei Mittel zur Verfügung, die sie im Sinne eines Kompromisses auch miteinander kombinieren können:
- #1 Sie geben die Preisüberwälzungen an ihre Kunden weiter, was die Inflation befeuert. Die Verbraucher reagieren darauf mit der Forderung nach Lohnerhöhungen, die ebenfalls die Inflation antreiben.
- #2 Die Unternehmen leben mit geringeren Gewinnmargen. Dies ist nicht so unwahrscheinlich, wie es zunächst erscheint. Unternehmen haben auch ein grünes Gewissen, außerdem herrscht in dieser Hinsicht Wettbewerb. Preistreiber könnten vom Markt verschwinden.
Dass es in der Realwirtschaft zu gewaltigen Veränderungen kommen wird, ist unausweichlich. Betroffen sind nämlich die größten Industrien überhaupt, so die Stahlerzeugung, die Wasserstoff als Energieträger nutzen soll, die Automobilindustrie, die Elektroautos anstelle der Verbrenner produzieren soll, die Bauwirtschaft, die energetisch bauen soll, die Umweltindustrie (Hersteller von Windkraft- und Solaranlagen) sowie der Agrarsektor. Verbraucher*innen müssen sich in einigen Bereichen auf Preissteigerungen einstellen. Möglicherweise werden sie sich auch von bestimmten Gewohnheiten und Verhaltensweisen verabschieden müssen, weil diese einfach zu teuer werden. Ein Beispiel dürfte die Urlaubsreise mit dem Billigflieger sein.
Fazit: Greenflation
Die Greenflation ist real, doch sie ist auch zu bewältigen. Darüber hinaus ist sie im Grunde alternativlos, weil ohne Umbau der Wirtschaft und des Konsums der Planet unweigerlich klimatechnisch kollabiert.