Gemäß der Keimtheorie werden diverse Krankheiten durch Mikroorganismen ausgelöstet und verbreitet. Durch zum Beispiel Husten oder Niesen von erkrankten Personen gelangen Mikroorganismen in die Umwelt und können so von anderen Menschen aufgenommen werden, die dann ihrerseits erkranken.
Die Keimtheorie bezieht sich dabei nicht nur auf Atemwegserkrankungen, sondern auf alle Erkrankungen, die durch Mikroorganismen ausgelöst werden.
Die Keimtheorie wird heute nicht mehr als Theorie bezeichnet, da ihre Inhalte belegt sind und heute eine medizinische Selbstverständlichkeit darstellen.
Ursprung der Keimtheorie
Ihren Ursprung hat die Keimtheorie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In Südfrankreich kam es im Jahr 1865 zu einem Massensterben der Seidenraupe, was zu finanziellen Problemen der dort angesiedelten Textilindustrie führte.
Der Chemiker Louis Pasteur wurde damit beauftragt, die Gründe für das Sterben der Raupen zu ermitteln. Im Rahmen seiner Untersuchungen entdeckte er unter dem Mikroskop kleine Parasiten und er konnte nachweisen, dass diese zunächst die Nahrung der Raupen befielen und über diese in die Tiere selbst gelangten.
Durch die Vernichtung der vom Parasiten befallenen Raupen konnte die Krankheit eingedämmt und schließlich besiegt werden.
Unabhängig davon hatte der ungarische Arzt Ignaz Semmelweis ebenfalls in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts festgestellt, dass in den Wiener Krankenhäusern viele Frauen dem Kindbettfieber erlagen. Brachten Frauen hingegen ihr Kind mithilfe einer Hebamme zur Welt, lag die Zahl der Todesfälle infolge des Kindbettfiebers weitaus niedriger. Semmelweis schlussfolgerte daraus, dass die Ursache des Kindbettfiebers von den Ärzten auf die Schwangeren übertragen wurde. Er ordnete darauf eine gründliche Desinfektion der Hände vor jeder medizinischen Maßnahme an. Die Sterberate infolge von Kindbettfieber in den Krankenhäusern sank daraufhin drastisch.
Folgen der Keimtheorie
Das veränderte Bewusstsein über die Ursachen von bestimmten Erkrankungen veränderte sowohl einerseits das bisherige Verständnis von bestimmten Erkrankungen, ebnete aber vor allem den Weg zu neuartigen Behandlungs- und Präventionsmethoden.
Der deutsche Mediziner Robert Koch griff den Ansatz auf und wurde der Erste, der Mikroorganismen systematisch auf ihre Pathogenität, also auf ihre krankmachende Wirkung, hin untersuchte. Der Nachweis des Zusammenhangs gelang ihm mit der Entdeckung des damals gefürchteten Erregers der Tuberkulose. Die damals auch unter dem Namen „Schwindsucht“ bekannte und berüchtigte Krankheit verursachte im 19. Jahrhundert eine große Krankheitslast in so gut wie allen europäischen Ländern.
Ebenso entstand ein verändertes Bewusstsein über die ärztlichen Tätigkeiten. Es stellte sich nun heraus, dass das Risiko von postoperativen Entzündungen, die nicht selten zum Tod der Patienten führten, deutlich reduziert werden konnte, wenn Operationsbesteck vor einem Eingriff gründlich desinfiziert wurde.
Die neuen Erkenntnisse fanden rasch auf den Schlachtfeldern der Welt Anwendung: Die Überlebenschancen von verwundeten Soldaten erhöhten sich erheblich, wenn bei einer Behandlung durch den Feldarzt sowohl die medizinischen Instrumente als auch die Wunden desinfiziert wurden.
Die Keimtheorie als Wurzel der öffentlichen Gesundheitsvorsorge
Das Bewusstsein über die Übertragungswege bestimmter Krankheiten eröffnete vielerlei Möglichkeiten, die Entstehung von Krankheiten schon im Vorfeld zu vermeiden und so die Krankheitslast in der Bevölkerung zu reduzieren.
So führte die Keimtheorie zu der Erkenntnis, dass sauberes Wasser Durchfallerkrankungen wie Typhus und Cholera verhindern konnte. Als es im Jahr 1892 in Hamburg zum letzten schweren Ausbruch von Cholera in Deutschland kam, verteilte die Medizinalbehörde Handschriften mit Verhaltensmaßregeln und Wagen verteilten abgekochtes Wasser. Im Verlauf der Epidemie wurden Häuser und ganze Straßenzüge mit verschiedenen Chemikalien behandelt, die die in der Umwelt verbliebenen Cholera-Erreger abtöten sollten.
Auf der Keimtheorie basierte auch die zunehmende Entwicklung und Verbreitung von Impfstoffen.
Einschränkungen und Kritik an der Keimtheorie
Wenngleich die Keimtheorie heute keine Theorie mehr ist, sondern die Tatsache, dass verschiedene Krankheiten von Mikroorganismen verursacht werden, wissenschaftlicher Konsens ist, ist sie nicht gänzlich unwidersprochen.
Teilweise wurde behauptet, dass zu große Hygiene die Ursache für die Vielzahl an Allergien ist, unter denen viele Menschen in den Industrienationen leiden. Diese Hygienehypothese besagte, dass Erkrankungen wie Asthma und Heuschnupfen seltener bei Kindern auftreten, die auf einem Bauernhof groß geworden sind als bei solchen Kindern, die in der Stadt aufgewachsen sind. Diese Hypothese konnte inzwischen durch Studien belegt werden; so stellten Forscher fest, dass Kinder seltener an Allergien leiden, wenn sie häufig rohe Kuhmilch trinken oder sich in Ställen mit lebendem Vieh aufhalten.
Verschiedene Forscher gehen deshalb davon aus, dass Kinder Kontakt zu Schmutz und Keimen benötigen, um ein funktionierendes Immunsystem zu entwickeln.
Neuere Erkenntnisse zeigen allerdings, dass nicht nur ein zu hohes Maß an Hygiene Allergien verursachen kann, sondern auch die genetische Veranlagung, Luftschadstoffe und Tabakrauch die Entwicklung des kindlichen Immunsystems negativ beeinflussen können. Auch verschiedene Infektionen im Kindesalter, psychische Faktoren und der persönliche beziehungsweise familiäre Ernährungsstil sind möglicherweise Auslöser für Allergien.
Vereinzelte Stimmen lehnen die heute wissenschaftlich anerkannte Tatsache, dass bestimmte Krankheiten durch Mikroorganismen übertragen werden, vollkommen ab. Diesen Ansichten nach zielten derartige Behauptungen lediglich darauf ab, sich durch die Entwicklung eigentlich unnötiger Medikamente finanziell zu bereichern.
Dabei handelt es sich jedoch um vereinzelte Aussagen, die nicht dem wissenschaftlichen Konsens entsprechen. In zahlreichen Studien konnte im Verlauf der letzten 120 Jahre nachgewiesen werden, dass bestimmte Mikroorganismen bestimmte Krankheiten verursachen. Dank moderner hochauflösender Mikroskope ist heute auch der optische Nachweis kleinster Viruspartikel in der Größenordnung von Nanometern möglich.