Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte: Aufmerksamkeit und Aufregung leicht gemacht
Ursprung von „Change my Mind“
Am 16. Februar 2018 twitterte der politisch als konservativ geltende US-amerikanische frühere Comedian, Kommentator und Videoproduzent Steven Blake Crowder (Jahrgang 1987) ein Bild von sich mit Kaffeetasse auf einem Stuhl und an einem Tisch sitzend hinter einem Schild mit der Aufschrift „Male Privilege is a myth – Change My Mind“ (Männliche Privilegien sind ein Mythos – Ändere meine Meinung) vor der Texas Christian University in Fort Worth.
Versehen mit dem Aufruf, ihn am Ort der Aufnahme aufzusuchen, war das Bild/Schild ein Bestandteil von Crowders Wirken auf dessen Podcast und YouTube-Kanal, mit denen er Menschen mit gegenteiligen Standpunkten von verschiedenen Themen zu überzeugen sucht. Der damals von seinen Fans wie auch Gegnern viel beachtete Beitrag erhielt in nur vier Tagen mehr als 900 Retweets und 6.400 Likes. Darüber hinaus dient das so schnell bekannt gewordene Foto bis heute sowohl Anhängern und Befürwortern als auch Opponenten seiner Ansichten als intensiv genutzte Vorlage für unzählige ablehnende oder zustimmende Parodien und Memes.
Die Diskussion um das Bild blieb vorrangig auf die Vereinigten Staaten beschränkt
Schon kurze Zeit, nachdem Crowder das Bild gepostet hatte, begannen die ersten Leute, das Foto zu karikieren und den Text zu verändern. So wurde zum Beispiel Crowders Kopf durch denjenigen eines weinenden Michael Jordan ersetzt. Das Schild wurde auch mit dem neuen Text „The cl*toris is a myth“ (Die Kl*toris ist ein Mythos) und „Gonna drink this mug of Hot Piss“ (Ich werde diesen Krug heißer Pisse trinken) und der jeweils folgenden Forderung „Ändere meine Meinung“ gezeigt.
Inzwischen existieren online Hunderte, wenn nicht gar Tausende von Variationen des ursprünglichen Bildes und Textes, die sich in der Regel vor allem mit innenpolitischen Themen der USA, seltener auch mit internationalen Phänomenen und Problemen auseinandersetzen. Wie auch für viele populäre Memes der jüngeren Vergangenheit, existiert mittlerweile ebenfalls eine Bild-Vorlage namens „Change My Mind Meme Maker“, mit der entsprechend interessierte und einschlägig aktive Nutzer Crowders äußerst kontrovers diskutiertes Campus-Schild nach eigenem Geschmack und Gutdünken verändern können.
„Change my Mind“ als Musterbeispiel für typische Funktionsweisen des Internets
Angesichts der geradezu überwältigenden Fülle der teilweise erstaunlich einfallsreichen, kreativen sowie recht gelungenen satirischen Interpretationen des besagten Memes ist es schwierig geworden, deren Gewichtung nach den Kriterien Ablehnung oder Zustimmung bezüglich des Originals exakt zu bestimmen.
Der große und anhaltende Erfolg des Bildes bzw. Schildes und die intensive Beschäftigung, mit welcher sich zahlreiche Nutzer dessen Modifikation widmen, scheint aber auf tiefer zugrunde liegende (populär-)kulturelle, soziale und politische Ursachen zu hinzudeuten, die über rein humoristische und komödiantische Aspekte weit hinaus gehen. Je nach individuellem Standpunkt und persönlicher Sichtweise der Kommentierenden wurde Crowders folgenreiche Aktion entweder als bedeutender und wichtiger Diskussionsbeitrag zur Meinungsfreiheit gelobt oder als billiger, polemischer und einfach zu durchschauender Werbetrick zum Zwecke der Selbstvermarktung kritisiert.
Ein wenig Einigkeit bezüglich der Einstufung und Wertung herrscht bei ideologisch ansonsten sehr stark voneinander abweichenden Teilnehmern allerdings dahingehend, dass es eben eine spezielle Eigenart des zeitgenössischen Internets sei, dass provokative Memes gerne und oft in ihrer ursprünglichen Aussage geändert oder ins Gegenteil vertauscht werden.
Auch entschiedene Gegner billigten der Aktion doch wenigstens einigen Erfolg zu
Letztlich komme es auch aufgrund der immensen Geschwindigkeit des Netzes und der für niemanden mehr vollkommen überschaubaren Masse an sich rasant abwechselnden und häufig auch grundlegend widersprechenden Inhalten gar nicht mehr in erster Linie darauf an, was genau eine spezielle Botschaft aussagen soll, sondern wie schnell, viel und lange sie in der Lage sei, das immer knapper werdende Gut Aufmerksamkeit zu wecken.
Denn ganz unabhängig davon, ob man nun Crowders eher konservative und plakative Ansichten befürworte oder ablehne, habe er es doch immerhin geschafft, mit vergleichsweise wenig Aufwand und Kosten seinem eingängigen Slogan „Change my Mind“ über viele Jahre im Bewusstsein der digitalen Öffentlichkeit zu verankern. Insofern relativiert sich auch der von manchen seiner Gegner generell getätigte Ratschlag, sich nicht mit einem Schild online zu präsentieren, da dies so gut wie nie dem eigentlichen Anliegen diene, sondern eher heftige Kritik und Ablehnung hervorrufe sowie ironische, sarkastische oder zynische Reaktionen auslöse.
Crowder ist in konservativen Kreisen ein Star und arbeitet eifrig an seiner Karriere
Ebenso wenig darf Crowders bisherige berufliche Biografie, Karriere und Vorgehensweise bei der Beurteilung der womöglich durchaus beabsichtigten sowie gewollten Aufregung um „Change my Mind“ außer Acht gelassen werden.
Provokation als Prinzip begleitet Crowder schon seit Beginn seines Schaffens im zarten Alter von 17 Jahren als Stand-up-Comedian auf kleinen Clubbühnen überall in den USA. Darüber hinaus machte er sich von 2009 bis 2012 als streitbarer und wortgewandter Moderator beim konservativen US-amerikanischen TV-Sender „Fox News Channel“ landesweit einen Namen. Ab 2009 publizierte Crowder regelmäßig satirische Videos auf politisch konservativen Medien wie „Pajamas Media“ und „Andrew Breitbarts Big Hollywood“.
Crowder arbeitete 2011 als Zeremonienmeister auf der „Conservative Political Action Conference (CPAC)“ und löste nur ein Jahr später bei der gleichen Veranstaltung mit einem vielfach als rassistisch kritisierten Rap-Video, das er dort uraufführte, diverse recht erbittert geführte Kontroversen aus. Sein aggressives Auftreten bei einer Demonstration der konservativen Interessengruppe „Americans for Prosperity“ gegen eine Kundgebung der Gewerkschaft „AFL-CIO“ im Dezember 2012 und vor allem auch seine immer wieder als frauen- und minderheitenfeindlich bemängelten Aussagen im seit 2013 verfügbaren Onlinekanal „Louder with Crowder“ zeigen ihn als einen ganz gezielt provozierenden, dabei aber geschickt die Grenzen der Gesetze beachtenden sowie kühl kalkulierenden Medienprofi.
Genau diese ambivalente, raffinierte und vielschichtige Arbeitsweise macht Crowder laut renommierten Soziologen und Extremismusforschern schon seit geraumer Zeit vor allem bei jungen, weißen und konservativen Wählern sehr beliebt. Crowder spielt dabei gekonnt mit den in der europäisch stämmigen US-amerikanischen Mittel- und Unterschicht noch immer gängigen Klischees und Vorurteilen gegenüber Asiaten und Schwarzen, ohne sich jedoch zu sehr aus dem Fenster zu lehnen sowie möglicherweise strafrechtlich verfolgt zu werden. Vermutlich versteht er sich selbst als ein Fürsprecher der sog. „moral majority“ in den USA, die man in Deutschland wohl eher als schweigende Mehrheit bezeichnet werden würde.
In diesem Lager versammeln sich in mehr oder weniger trauter Eintracht zahlreiche konservative bis rechtsradikale Gruppen von Abtreibungsgegnern über enttäuschte Trump-Wähler und Waffennarren bis hin zu offen antisemitisch agierenden Neonazis, die allesamt die von ihnen als vermeintliche „Verschwörungstheorie des Kulturmarxismus“ empfundene politische Korrektheit sowie den Multikulturalismus ablehnen oder sogar aktiv bekämpfen. Dass man mit diesem Segment der Bevölkerung bei passender Ansprache auch viel Geld verdienen und reich werden kann, stellt das Beispiel Steven Crowder samt aktuell etwa 7 Millionen Abonnenten seiner Onlinekanäle und zahlreichen Käufern seiner Bücher letztlich nur erneut unter Beweis.