Was bedeutet Linksrutsch? Bedeutung, Definition, Erklärung

Was bedeutet Linksrutsch, Bedeutung, Definition, Erklärung


Mit „Linksrutsch“ ist im politischen Sprachgebrauch das Verschieben der Machtverhältnisse hin zu Parteien mit linken Positionen gemeint. Das kann in der Regel nur durch Wahlen geschehen, weshalb der Begriff fast nur im Wahlkampf gebraucht wird, und zwar als Warnung durch bürgerliche, dem politisch eher rechten Lager zuzuordnende Parteien. Die eher linksgerichteten Parteien sprechen selbst nicht vom Linksrutsch. Damit ist der Ausdruck ein Wahlkampfbegriff.

Was sind linke und rechte Parteien und Positionen? Linksrutsch und Rechtsruck

Zu unterscheiden sind gemäßigt linke oder rechte Positionen und die Parteien, die sie vertreten, von radikalen Positionen. Eine scharfe Abgrenzung ist hingegen nicht möglich, weshalb es sich auch eingebürgert hat, von Parteien und Positionen „links der Mitte“ und „rechts der Mitte“ zu sprechen, die in Deutschland die SPD und Grünen (links der Mitte) sowie die Union aus CDU und CSU (rechts der Mitte) wären. Die beiden ehemals großen Volksparteien SPD und CDU bezeichnen sich selbst sogar gern als die Mitte, was allerdings auch die FDP und die Grünen für sich in Anspruch nehmen. Vor allem die FDP betrachtet sich als vollkommen in der Mitte verankert. Extremere linke Positionen nimmt die Partei Die Linke ein, extremere rechte Positionen die AfD. Schauen wir uns noch die Positionen mit Stand Herbst 2021 an:

Linke Positionen:

  • flächendeckender Mindestlohn
  • Begrenzung von Mietsteigerungen bis hin zur Enteignung von Wohnungskonzernen
  • Austritt aus der NATO (extreme Position, von der Partei Die Linke vertreten), Verabschiedung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr
  • Steuererhöhungen für Vermögende
  • Umverteilung zugunsten sozial schwächerer Gruppen
  • höhere staatliche Regulierung (so zum Beispiel für den Klimaschutz)
  • Abschaffung der privaten Krankenversicherung zugunsten einer Bürgerversicherung

Rechte Positionen

  • Lohnverhandlungen eher durch die Tarifpartner
  • kein Mietendeckel, aber Mietpreisbremse
  • feste Verankerung im westlichen Bündnis, mögliches Engagement der Bundeswehr bei NATO- und UN-Missionen auch im Ausland
  • keine Steuererhöhungen, eher Steuerentlastungen von Unternehmen
  • keine gezielte Umverteilung von oben nach unten
  • weniger staatliche Regulierung
  • keine Abschaffung der privaten Krankenversicherung

Beim Klimaschutz sind sich alle Parteien (bis auf die AfD) darüber einig, dass er forciert werden muss.

Wie fix sind diese Positionen?

Sie sind keinesfalls in Stein gemeißelt, sondern eher eine Momentaufnahme nach der Bundestagswahl im September 2021 (Zeitpunkt dieses Beitrags: Anfang Oktober 2021). Gerade die Positionen der großen Parteien SPD und CDU/CSU verschieben sich und nähern sich auch aneinander an. Zwei wichtige eher vom linken Spektrum initiierte Vorhaben – Mindestlohn und Mietpreisbremse – hat beispielsweise die Große Koalition aus Union und SPD in Deutschland gemeinsam in den 2000er-Jahren umgesetzt. In der praktischen politischen Arbeit sind starre Positionen nicht hilfreich. Es geht dabei um das Ausloten von Kompromissen.

Warum hat dann die Union vor einem Linksrutsch gewarnt?

Dies war wie erwähnt ein Wahlkampfbegriff, der unentschlossene Wählerinnen und Wähler aufrütteln sollte. Er wurde vor allem ab dem späten August bis Mitte September 2021 eingesetzt, als sich abzeichnete, dass die Union mit ihrem Kanzlerkandidaten Armin Laschet (CDU) an Zuspruch verliert, die SPD hingegen mit ihrem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz in Umfragen gewinnt und sich gleichzeitig Scholz kurz vor der Wahl nicht eindeutig von einer rot-rot-grünen Koalition gemeinsam mit der Linken und Bündnis 90/Grüne distanzieren wollte. Dies tat er erst, nachdem er feststellen musste, dass extreme Positionen der Linken wie der geforderte Austritt aus der NATO auch bei den eigenen Stammwähler*innen nicht gut ankommen. Mit seinen anfänglichen Zögern, sich von der Linken als möglichem Koalitionspartner abzugrenzen, lieferte er der Union eine Vorlage für ihre Warnung vor einem Linksrutsch. Sie warnte eindringlich davor, dass durch diesen die Wirtschaft schwer beschädigt würde, die Arbeitslosigkeit steigen könne, eine Einschränkung der Freiheitsrechte zu befürchten sei und verbohrte linke Ideologen das Regierungshandeln bestimmen würden. Sie warnte auch vor ausufernder Staatsverschuldung und außenpolitischer Isolation.

Wie berechtigt waren diese Warnungen?

Ein Teil der Polemik gehört zum Lagerwahlkampf, den die Union gern pflegt, und zwar seit 70 Jahren. „Freiheit statt Sozialismus“ war ein sehr früher Slogan der CDU, auch wurde linke Parteien als „rote Socken“ bezeichnet (eine Kampagne aus den 1990er-Jahren). Allerdings ist nicht zu verhehlen, dass es in der SPD des Jahres 2021 und in ihrer deutlich verjüngten Bundestagsfraktion Personen wie die Vorsitzende Saskia Esken und den ehemaligen Juso-Chef Kevin Kühnert gibt, die explizit linke Positionen vertreten und sich weniger kompromissbereit gegenüber bürgerlichen Parteien als beispielsweise Olaf Scholz zeigen könnten. Auch bei Bündnis 90/Grüne finden sich linke Positionen wie Steuererhöhungen und zusätzliche Schulden. Beides schreckt bürgerliche Wähler*innen eher ab. Daher war der Versuch, vor einem Linksrutsch zu warnen, ein durchaus legitimes Wahlkampfmanöver. Es hat allerdings der Union nicht ausreichend viele Stimmen eingebracht, weil es sehr plakativ wirkt. Die Bürger*innen wissen mehrheitlich, dass sich Politik nicht mit dem einen Wort Linksrutsch erklären lässt.

Woher kommen die politischen Begriffe „rechts“ und „links“?

Sie sind schon sehr alt: Die französische Abgeordnetenkammer führte ab 1814 eine Sitzordnung ein, bei der links vom Präsidenten eher Parteien saßen, die untere Milieus vertraten und zu deren Gunsten Veränderungen anstrebten, während rechts von ihm die Vertreter derjenigen Parteien platziert waren, welche die Verhältnissen zugunsten bürgerlicher und adliger Schichten erhalten wollten. Die Einordnung in ein rechtes und linkes Spektrum ist allerdings nur grob, weshalb diese Begriffe umstritten sind. Sie halten sich dennoch hartnäckig in der politischen Auseinandersetzung, der Alltagssprache und den Medien.

Aktuelles Verständnis von linken Positionen

Linke Politik strebt nach aktuellem Verständnis soziale Gleichheit und eine Dominanz allgemeiner über individuelle Interessen an. Nach Untersuchungen der Meinungsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann verbinden Menschen mit linken Werten diese Begriffe:

  • Gleichheit
  • Gerechtigkeit
  • Wärme und Nähe
  • Formlosigkeit
  • Spontaneität
  • internationales und kosmopolitisches Denken
  • das „Du“

Aktuelles Verständnis von rechten Positionen

Die politische (bürgerliche) Rechte geht von einer Ungleichheit der Individuen aus. Zu unterscheiden sind hiervon Positionen der extremen Rechten, die wiederum (auch) eine nationalsozialistische Nivellierung anstrebt. Die bürgerliche Rechte befürwortet hierarchische Strukturen mit Leistungsträgern an der Spitze und traditionelle Normen und Werte. Die individuelle Freiheit stellt sie über die soziale Gleichheit. Noelle-Neumann stellt die Verknüpfung von bürgerlich-rechten Haltungen mit diesen Begriffen fest:

  • Betonung von Unterschieden
  • Autorität
  • Distanz
  • Disziplin
  • normierte Umgangsformen
  • Vorrang des Nationalen
  • das „Sie“

Welche Positionen sind der politischen Mitte zuzuordnen?

Diese Mitte ist sehr interessant, weil allein durch die langjährige Regierungsarbeit einer Großen Koalition aus Union und SPD in Deutschland die Kräfte und Ideen in die Mitte streben – anders hätten sich die Vertreter beider Lager nicht einigen können. Natürlich ist auch die sogenannte Mitte begrifflich umstritten. Interessant ist, dass sich die größeren Parteien sehr gern selbst in die politische Mitte einordnen. Positionen der Mitte sollen sein:

  • Menschen sind unterschiedlich, daher ist um des sozialen Friedens willen ein Ausgleich anzustreben.
  • Die Gesellschaft soll so gerecht wie möglich gestaltet werden. Absolute Gleichheit aber kann und darf es nicht geben.
  • Nationales und Internationales müssen im Einklang stehen. Deutsche Politiker der Mitte sind beispielsweise große Europäer.
  • Eine gewisse Disziplin ist nötig, doch sie darf uns nicht zu sehr einschränken.

Bedeutet die Warnung vor einem Linksrutsch auch die Warnung vor linksextremen Tendenzen?

Diese Warnung klingt latent an, wenn beispielsweise Armin Laschet seinen Kontrahenten Olaf Scholz eindringlich befragt, wieso er keine Koalition mit den Linken ausschließt, wie in einem der Kanzlerkandidatentrielle geschehen. Allerdings verfängt diese Warnung nicht wirklich, weil in Deutschland kaum jemand ernsthaft glaubt, dass linksextreme Parteien oder Strömungen die Macht übernehmen könnten. Linksextreme lehnen ebenso wie Rechtsextreme die demokratische Grundordnung ab. Die Linksextremen fordern ein „herrschaftsfreies“, die Rechtsextremen ein nationalsozialistisches System. Beides funktioniert nicht, wie gerade die deutsche Geschichte gezeigt hat. Es findet auch in der Bevölkerung zu wenig Zustimmung, um sich über Wahlen durchsetzen zu können. Daher ist die latent konnotierte Warnung vor einer linksextremen Herrschaft im Kampfbegriff „Linksrutsch“ ein eher durchsichtiges Manöver.

Warum wurde dann durch bürgerliche Politiker vor einem Linksrutsch gewarnt?

Diese Warnung war eine Zuspitzung des Lagerwahlkampfes, als sich durch Umfragen abzeichnete, dass die Union massiv an Zuspruch verliert. Dies ist eine, schon eingangs kommunizierte Erklärung, eine andere findet sich in unserer immer stärker fragmentierten Medienlandschaft und Informationsgesellschaft. Wähler*innen werden mit so vielen Informationen überschüttet, dass es offenkundig plakativer Begriffe bedarf, um sie effizient anzusprechen. „Linksrutsch“ ist so ein Begriff, es ist ein einziges Wort. Die Wahlkampfstrategen der Union operieren gern auf diese Weise (wie ebenfalls eingangs schon aufgezeigt). Das könnte daran liegen, dass sie der Wirtschaft nahestehen, die in ihrer Werbung auch sehr gern nur ein einziges Wort als plakativen Begriff verwendet. Von linken Parteien bis hin zur eigentlich der Mitte sehr nahestehenden SPD hört man solche Begriffe nicht. Sie versucht zwar auch, ihre Botschaften zu verknappen (Wahlkampfslogan 2021: „Zukunft. Respekt. Europa.“), doch etwas so Plakativ-Griffiges wie „Linksrutsch“ erfindet sie nicht. Hierfür genügt es nicht, nur ein oder auch drei Worte wie „Zukunft. Respekt. Europa.“ zu verwenden. Diese drei Worte lösen völlig verschiedene Assoziationen aus und zwingen zum Nachdenken, das aber viel zu lange dauert. Über „Linksrutsch“ hingegen muss niemand nachdenken. Der Begriff pflanzt sich ohne Umwege ins Angstzentrum ein: Hilfe, die Kommunisten kommen!

Autor: Pierre von BedeutungOnline

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