Warum singt Till Lindemann auf Russisch? Lubimiy Gorod, Inhalt, Bedeutung, Erklärung


Der Frontmann der deutschen Band Rammstein Till Lindemann hat im Frühjahr 2021 einen Song auf Russisch eingespielt, namens „Lubimiy Gorod“. Der Hintergrund: Schon immer hatte er ein besonderes Verhältnis zu Russland. In der Tat wird der im ostdeutschen Leipzig geborene Sänger in Russland vielleicht mehr verehrt als hierzulande.

In welchem Kontext steht Lubimiy Gorod? Rammstein / Lindemann

Der sehr prominente Sänger von Rammstein, dessen Fans teilweise bis zu zehn Stunden für ein Autogramm von ihm anstehen, hat das Lied auf Russisch Ende April 2021 zusammen mit einem Videoclip veröffentlicht. Der Titel Lubimiy Gorod (Любимый город) heißt übersetzt „Lieblingsstadt“, schon einen Monat nach der Veröffentlichung hatte das Video auf YouTube über zwei Millionen Klicks eingesammelt.

Das Lied gehört zum russischen Film Devyatayev und basiert auf einem Lied aus dem Jahr 1939 (Komponisten: Yevgeniy Dolmatovsky, Nikita Bogoslovsky), das zum Kulturgut der Sowjetunion wurde. Lindemann trägt es in moderner Fassung, aber mit dem nötigen Pathos vor, zu dem orchestrale Opulenz beiträgt: Die Trauerarbeit übernehmen schluchzende Geigen. Den Videoclip drehte Serghey Grey inhaltlich passend in den Räumen der Moskauer Eremitage. Ursprünglich war der Sowjetsong als ruhige Klavierballade die Filmmusik eines Kriegsstreifens über Jagdflieger.

Diese verteidigen ihre Heimat, das Lied besingt sie als Kameraden, die glücklicherweise überleben und am Ende ihre geliebte Heimatstadt wiedersehen. Für diese haben sie in der Luft gekämpft, sie durfte daher währenddessen ruhig schlafen, so eine der zentralen Aussagen des Liedes. Der neu arrangierte Soundtrack gehört wiederum zu einem Heldenfilm, denn Devyatayev (Regie: Timur Bekmambetow) erzählt eine wahre Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg. Damals zog der sowjetische Kampfpilot Michail Dewjataew für sein Land in den Krieg, geriet in deutsche Gefangenschaft, wurde auf der Ostseeinsel Rügen interniert, konnte sich dort aber ein Flugzeug beschaffen und damit nach Hause fliehen. Lindemann greift das Sujet im Musikvideo auf, wo er neben den Bühnenszenen auch im Cockpit eines sowjetischen Kampffliegers zu sehen ist.

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„Lubimiy Gorod“ von Rammstein / Lindemann: Rezeption in Russland

In Russland nahm man das Video begeistert auf, auch russische Staatsmedien berichteten darüber ausgiebig. Man beachte immer den Kontext: Die Veröffentlichung fand ein knappes Jahr vor dem Ausbruch des Ukraine-Krieges statt. Wie Lindemann dazu steht und ob er heute so ein Projekt durchführen würde, ist mit Stand 14.03.2022 nicht bekannt. Damals hatte er den Song für den Film Devyatayev selbst initiiert, wie dessen Regisseur Bekmambetow in einem Interview berichtet hatte.

Demnach sei der Frontmann von Rammstein auf ihn mit dem Vorschlag zugekommen, den Song als Filmmusik zu bearbeiten und selbst zu performen. Die Idee war Lindemann wohl gekommen, nachdem er Kenntnis von den Dreharbeiten bekam. Seine Motive liegen offenkundig in seiner Kindheit: Demnach hatte ihm seine Mutter das originale Lied des früheren sowjetischen Fliegerfilms oft vorgesungen. In der DDR hielt man die Erinnerung an sowjetische Helden hoch, das gehörte zur Staatspropaganda.

Da die russische Kultur natürlich eigene Werte hat, die sich unter anderem in den oft schwermütigen, in Molltonarten komponierten russischen Liedern niederschlagen, wirkte diese kulturelle Beeinflussung auch. Heute freuen sich nun die russischen Fans von Rammstein und Lindemann sowohl über die Rezeption eines russischen Liedes durch einen deutschen Künstler als auch über die kulturelle Brücke zwischen Deutschland und Russland, die dadurch gebaut wird. Im Sinne der Völkerverständigung nach dem Zweiten Weltkrieg ist das durchaus zu begrüßen. Im Lichte des Ukraine-Krieges erscheint es fragwürdig.

Kritik am Projekt „Lubimiy Gorod“

Im März des Jahres 2022 erscheint es mehr als wohlfeil, so ein Projekt zu kritisieren und es einfach in die Putin-freundliche Ecke zu stellen. Doch den Ukraine-Krieg konnte Lindemann nicht vorhersehen. Allerdings gab es auch im Frühsommer 2021 schon kritische Stimmen sogar aus Russland.

Einige Rezipienten fanden es geschmacklos, ausgerechnet einen Deutschen im Cockpit eines sowjetischen Kampfjets anzutreffen. Noch schärfer wurde die Kritik länderübergreifend von Putin-Gegnern formuliert: Demnach hatte sich Lindemann von der russischen (postsowjetischen) Propagandamaschine vereinnahmen lassen. Diese zeichnet wie eh und je ein glattgeschliffenes Bild von den Heldentaten der Sowjetarmee im Zweiten Weltkrieg, die scheinbar im Alleingang Nazideutschland besiegt hatte. So war es allerdings bei allem Opfermut der Sowjetvölker nicht: Hitlerdeutschland wurde von Alliierten besiegt. Dieser Kritik begegnete Lindemann im Jahr 2021 recht diplomatisch, indem er russischen Journalisten gegenüber äußerte, dass es für ihn eine Ehre sei, mit diesem Lied Brücken zwischen den Völkern zu bauen. Inzwischen könnte ihm diese Haltung angesichts der russischen Aggression in der Ukraine auf die Füße fallen, denn dass Putin und seine Generäle keine Waisenknaben sind, sondern regelmäßig Kriegsverbrechen begehen, war durch die russischen Kampfeinsätze in Syrien mit unzähligen durch russische Jagdbomber getöteten Zivilisten auch schon 2021 bekannt. Damit stünde Lindemann allerdings nicht allein: Der gesamte Westen – wir alle – hat vor dem 24. Februar 2022 Putins Großmachtstreben ausgeblendet, solange er uns günstige Rohstoffe lieferte.

Autor: Pierre von BedeutungOnline

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