Die Hufeisentheorie (auch Hufeisenschema genannt) geht davon aus, dass das politische Spektrum einer Gesellschaft mit einem Hufeisen vergleichbar ist. Politische Kräfte sollen sich insofern nur dadurch unterscheiden, dass sie den Staat und seine Ordnung entweder akzeptieren, unterstützen und erhalten oder ablehnen bis bekämpfen.
Hufeisentheorie: Es gibt nur zwei große Kräfte: Gemäßigte und Extremistische
Das Hufeneisen ist zunächst in zwei Teile auf der horizontalen Achse unterteilt: Gemäßigte und extremistische Kräfte. Die gemäßigten Kräfte unterscheiden sich insofern von extremistischen Kräften, dass sie die freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht angreifen oder verändern wollen – was extremistische Kräfte wollen.
Auch der Verfasssungsschutz bezeichnet als extremistische Bestrebungen Aktivitäten, die dass Ziel verfolgen, die verfassungsgemäße Ordnung und freiheitliche Demokratie anzugreifen oder zubeseitigen.
Extremistische Kräfte richten sich gegen Elemente der freiheitlich-demokratische Grundordnung wie den Pluralismus.
Extremistische Kräfte bedienen sich eines starken Feind-Freund-Denkens und haben großen ideologischen Dogmatismus.
Hufeisenschema: Links, Mitte, Rechts
Das Hufeisen ist auf der vertikalen Achse in drei Teile unterteilt: Linke Kräfte auf der linken Seite, die gemäßigte Mitte in der Mitte und rechte Kräfte auf der rechten Seite. Ihre Übergänge sind teils unscharf.
Linke und rechte Kräfte werden jeweils in gemäßigte und extremistische Kräfte unterteilt. In den Übergangen von linken zu linksextremen Kräften finden sich linksradikale Kräfte wieder. Für rechts gilt das gleiche. Im Übergang von rechts zu rechtsextrem findet sich rechtsradikal wieder. Für die gemäßigte Mitte gibt es im Hufeisenschema kein extremistisches Gegenstück.
Hufeisentheorie: Schlußfolgerungen und Kritik
Die Hufeisentheorie erlaubt folgende Schlußfolgerungen:
Linksextremismus kann man mit Rechtsextremismus gleichgesetzt werden. Daraus kann geschlussfolgert werden, dass Linksextreme und Rechtsextreme in ihren Methoden, ihrer Struktur, ihrem Wesen und ihren Zügen sich ähneln und gewisse Gemeinsamkeiten aufweisen. (Gemeinsamkeiten sind unter anderem: Gewaltbereitschaft, Ablehnung des Staates oder der Polizei als Ordnungsmacht, Ablehnung Andersdenkender, Wunsch nach anderer/geänderter Staatsform)
Dass sich die Ziele von Linksextremen und Rechtsextremen, ihr Menschenbild und ihr Weltbild unterscheiden, wird nicht berücksichtigt. Auch findet keine Unterscheidung von totalitären oder anarchistischen Kräften statt.
Das Hufeisenschema suggeriert, dass es Gemeinsamkeiten zwischen Linksextremen und Rechtsextremen gibt. Ob es mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede gibt und was überwiegt, wird nicht betrachtet.
Auch steht die Hufeisentheorie dafür, dass sich links- und rechtsextreme näher sind als das eine Extrem (oder beide Extreme) zur gemäßigten Mitte.
Eine Folge der Hufeisentheorie ist, dass Linksextremen Faschismus vorgeworfen werden kann und das Ähnlichkeiten zwischen Links- und Rechtsextremen gezielt gesucht werden.
Fundamentalismus wie z.B. Islamismus ist im Hufeisenschema nicht abgebildet.
Der Einfluß des Wirtschaftssystems auf das politische Spektrum und die Lebensumstände von Menschen werden in der Hufeisentheorie nicht berücksichtigt und nicht abgebildet.
Das Hufeisenschema ist lediglich eine Annahme über die Zusammenhänge der Kategorien Gemäßigt-Extremistisch und Linksextrem-Rechtsextrem.
Das Hufeisenschema ist keine lineare Abbildung des politischen Spektrums.
Wer hat das Hufeisenschema erfunden?
Die Hufeisentheorie wurde vom französischen Philosophen Jean-Pierre Faye in den 1990er Jahren erdacht und entwickelt. Mit der Form des Hufeisens und der Folge, dass links- und rechtsextreme Kräfte gleichgesetzt werden können, wollte er den Totalitarismus beider Seiten abbilden und zeigen, dass sich Links- und Rechts-extreme in ihren Ansichten und Wesen näher sind, als zur gemäßigten Mitte.
Die Idee zur Hufeisentheorie kam Jean-Pierre Faye als er historische Ähnlichkeiten zwischen Linken / Linksextremen und Rechten / Rechtsextremen entdeckte. Ein Beispiel ist z.B. der Überfall von Hitler-Deutschland auf Polen, der zusammen mit der Sowjetunion durchgeführt wurde. Im Deutsch-sowjetischer Nichtangriffspakt haben sich Faschisten und Kommunisten (kurzzeitig) zusammengeschlossen.
Danke für den schönen Artikel. Ich habe zu einem Aspekt in Jean-Pierre Fayes These eine kleine aber wichtige Frage.
War das denn überhaupt Kommunismus in der UdSSR, als die Zusammenarbeit mit den Nazis stattfand? Stalin war Diktator. Die Macht extrem zentralisiert. Die Kommunen ohne wirksame Stimme oder Hand. Humanismus war auch nicht gerade das Wort der Wahl in der Beschreibung des Staatscharakters, um es mal gelinde zu sagen.
Mit diesen Prämissen, mal angenommen, dass meine Einwände realistisch sind, erscheint es mir vollkommen unmöglich die UdSSR, insbesondere zu der Zeit, im linken Bereich des Spektrums zu verorten. Links ist ja ein hochabstrakter Begriff, begründet in der Zeit der ersten Parlamente. Der Richtung zugewiesen, die die Macht in den Händen Vieler sehen wollte und Humanismus als das höchste Gut betrachtete. Die besonders hohe Abstraktionsebene bringt ja eine sehr hohe Stabilität der Begrifflichkeit mit sich. Etwas das Begriffen, die nicht so prinzipiell und konzeptuell begründet sind, häufig nicht zu eigen ist. Daher denke ich, dass der Begriff ‚links‘ schon immer synonym für Machtverteilung und Humanismus stand und die Implikationen, die sich daraus folgelogisch ergaben. Namentlich die Menschenrechte und Grundrechte. Fest darin verortet: Demokratie, Emanzipation, Vermögensähnlichkeit, Chancengleichheit, Weltfrieden. Was gab es davon denn schon in der UdSSR? Diese Werte hat man sich durchaus auf die Fahnen geschrieben oder als Zielvektor verkündet. Was aber nicht von Bedeutung ist, wenn es weder kurz-, noch langfristig ein echter Teil des Staatskörpers wird.
Oder liege ich mit meiner Einschätzung komplett daneben? Ist es so, wie es aktuell die rechte Szene breitzutreten versucht? Nämlich, dass ‚links‘ und ‚rechts‘ gar nicht mehr ihren nativen Werten zuordenbar sind oder sogar eine Spiegelung erfolgt ist.
Ich halte das nämlich für einen Täuschungsversuch. Insbesondere weil die Methoden und angewandten Stilmittel der Protagonisten dieser Idee, sich sehr oft von ihrem proklamierten Wertekanon fundamental unterscheiden oder diesem sogar diametral gegenüberstehen.
Vielleicht können Sie mir ja einen kleinen Tipp geben. Danke schonmal.
Ich finde es wichtig die Herkunft der Begriffe zu verorten.
Die Begriffe „Links“ und „Rechts“ gehen auf die Sitzplatzanordnung der französischen Nationalversammlung zurück.
Links saßen die „Progressiven“ und Rechts die „Konservativen“ Kräfte.
Die einen wollen möglichst viel verändern und umkrempeln und die anderen möglichst viel von dem Bestehenden bewahren und beibehalten.
Eigentlich braucht es in jedem politischen Entscheidungsprozess beide Kräfte im ausgewogenen Maß.
Ich finde es ist daher im Hintergrund der historischen Herleitung her relativ leicht die sozialistische Revolution der UDSSR als Links zu bezeichnen, da es ja eine progressive Absicht hatte. Ebenso lässt sich die Gleichstellung aller Menschen nur mit diktatorischen Mitteln erzwingen. Von daher sehe ich keinen Widerspruch zu Links sein und den angepriesenen Werten wie Humanismus und alle anderen „positiven Erzählungen“ in einer Diktatur, da die absolute Befreiung von Macht und Hierarchien zwischen den Menschen nicht anderes als mit staatlicher Brutalität durchgesetzt werden kann.
Die Menschen sind gleichgestellt und sind daher alle komplett unfrei.
Niemand herrscht mehr, es herrscht nur noch das System.
Kommen wir nun zur Rechten Seite.
Die Leute, die das alte System beibehalten wollten, waren damals natürlich alles Monarchisten.
Das ist heute selbstverständlich nicht mehr so, da die „alte Ordnung“ in unserem Falle ja die Demokratie ist. Konservative Menschen sind mitnichten demokratiefeindlich.
Konservative wollen einfach nur das beibehalten, was bereits vorhanden ist.
Daher ist es ein Trugschluss Konservative mit Rechtsextremen gleichzusetzen, welchen ja bekanntlich Demokratie an sich schon zu Links ist und einen Pluralismus ablehnen.
Ich halte es persönlich zu einfach unsere Politik auf Links und Rechts heute noch so einfach zu reduzieren.
Selbst die CDU ist hierzulande sehr progressiv mittlerweile, was man z.B. an der Ehe für alle, der Anerkennung eines dritten Geschlechts und Frauenquote sieht.
Sie ist somit nach Definition viel progressiver, also Links als in der Vergangenheit, wo ein solches Verhalten noch undenkbar gewesen wäre.
Das erklärt auch den Aufstieg der AfD, da vielen Wählern die CDU nicht mehr konservativ genug ist.
Es wird immer Kräfte geben, die das bewahren wollen, was andere verändern wollen und umgekehrt.
Daher halte ich falsch, diesen Kräften an sich „Links“ oder „Rechts“ bestimmte Werturteile oder Attribute zuzusprechen, da das an der komplexen Realität vorbei geht.
Beispielsweise gibt es ja auch innerhalb von Gruppen wie der Partei die Linke Flügelkämpfe, da sie sich nicht darauf einigen kann, welche Art von Veränderung denn überhaupt wünschenswert wäre.
Die Theorie muss schon früher als in den 90’ern veröffentlicht wurden sein, denn sie wurde bei mir schon im Wiso-Unterricht Ende der 70’er diskutiert. Die englische Wikipedia spricht sogar von der Zeit der Weimarer Republik.
Dankeschön für die tiefgreifende und verständliche Erklärung 🙂